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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Hitze oder bei durchnässendem Regen die armen Leute nutzlos abgehetzt, daß sie
Abends hungrig und todtmüde in die Quartiere kamen. Durch mangelhafte
Anordnung und Berechnung stopfte sich die Masse häusig so. daß ein längerer
und unnützer Halt gemacht werden mußte; und um dann die verlorene Zeit
wieder einzubringen, ging es um so rascher wieder vorwärts. So war hier
und da, bei anscheinender Gemächlichkeit in den Bewegungen wieder eine
Hast bemerklich. welche die Kräfte der Mannschaften nutzlos aufrieb, und bei
allem mitgeführten Vorrath darbten die armen Burschen.

Eigenthümlich und nichts weniger als ansprechend war auch die Behand¬
lung der Soldaten von Seilen ihrer Vorgesetzten. Die weltbekannten drastischen
und kcrnwücksigcn Flüche, Schimpfwörter und volksthümlichen Redensarten des
guten Bayerlandes kamen namentlich bei der Soldateska überreich in Anwen¬
dung und was hier und da noch fehlte, ersetzte die erhitzte Phantasie. Aber
damit wars noch nicht abgethan: es setzte auch Ohrfeigen, Knüffe und Püffe
nach rechts und links, was noch an die alte gute Zeit erinnerte, in der man
seinem Zorne und der Galle noch ungenirt Luft machen konnte und nicht so
viel Aerger wie jetzt in sich hineinfrcssen mußte. Auch herrschte noch daS D u
durchweg als Prädicat für den "Gemeinen", freilich nicht immer mit der Farbe
herzlicher Vertraulichkeit. In Mainz ritt ein Stabsoffizier einer andern Truppe
an einer bayerischen Wache vorüber. Der gemüthlich und gemächlich auf und
ab wandelnde Posten, der in der Neichsuniformsmusterkarte noch nicht ganz
tactfest war -- was wir ihm durchaus nicht zu hart anrechnen wollen, da es
selbst Offizieren nicht besser erging --, hatte in seinem Zweifeln und Schwan¬
ken das übliche Herausrufen verpaßt. Der wachthabende Coiporal als Com¬
mandant hatte das durchs Fenster beobachtet, wuthschnaubend kam er mit seiner
acht Mann starken Rotte herausgestürzt, ein echtes Bayerkind mit mächtigem,
sichelförmigem Schnauzbart und dicken Backenknochen. Mit Löwenstimme inutile
er den verblüfften Posten an: "Ja du Eselsviech, du dummes, kannst nit raus¬
rufen?" Der noch im Bereiche sich befindende Stabsoffizier war in seinem
Diensteifer gar nicht für ihn da.

Bei einer solchen nichts weniger als liebevollen Behandlung konnte echte
Kameradschaft und Herzlichkeit sowie die Zuneigung der Untergebenen schwer ge¬
wonnen werden. So sprach sich denn auch ein gewisser Mißmuth, etwas Gleich-
giltiges, zuweilen gar ein Nichtächten oder etwas Störriges gegen die Anord¬
nungen der Oberen in Mienen oder Geberden und anderen Dingen ohne Worte
aus, und es geschah, daß man sich bei Anordnungen und Weisungen keines¬
wegs im Entgegenkommen und Ausführen überstürzte, man ließ es im Gegen¬
theil erst an sich kommen. Daher siel es selbst Laien nicht wenig auf, wenn
beim Stellen der Compagnien, selbst wo es nach dem Signal eilig war, die
Soldaten langsam und "drahnig", wenn wir uns dieses bezeichnenden Volks-


Hitze oder bei durchnässendem Regen die armen Leute nutzlos abgehetzt, daß sie
Abends hungrig und todtmüde in die Quartiere kamen. Durch mangelhafte
Anordnung und Berechnung stopfte sich die Masse häusig so. daß ein längerer
und unnützer Halt gemacht werden mußte; und um dann die verlorene Zeit
wieder einzubringen, ging es um so rascher wieder vorwärts. So war hier
und da, bei anscheinender Gemächlichkeit in den Bewegungen wieder eine
Hast bemerklich. welche die Kräfte der Mannschaften nutzlos aufrieb, und bei
allem mitgeführten Vorrath darbten die armen Burschen.

Eigenthümlich und nichts weniger als ansprechend war auch die Behand¬
lung der Soldaten von Seilen ihrer Vorgesetzten. Die weltbekannten drastischen
und kcrnwücksigcn Flüche, Schimpfwörter und volksthümlichen Redensarten des
guten Bayerlandes kamen namentlich bei der Soldateska überreich in Anwen¬
dung und was hier und da noch fehlte, ersetzte die erhitzte Phantasie. Aber
damit wars noch nicht abgethan: es setzte auch Ohrfeigen, Knüffe und Püffe
nach rechts und links, was noch an die alte gute Zeit erinnerte, in der man
seinem Zorne und der Galle noch ungenirt Luft machen konnte und nicht so
viel Aerger wie jetzt in sich hineinfrcssen mußte. Auch herrschte noch daS D u
durchweg als Prädicat für den „Gemeinen", freilich nicht immer mit der Farbe
herzlicher Vertraulichkeit. In Mainz ritt ein Stabsoffizier einer andern Truppe
an einer bayerischen Wache vorüber. Der gemüthlich und gemächlich auf und
ab wandelnde Posten, der in der Neichsuniformsmusterkarte noch nicht ganz
tactfest war — was wir ihm durchaus nicht zu hart anrechnen wollen, da es
selbst Offizieren nicht besser erging —, hatte in seinem Zweifeln und Schwan¬
ken das übliche Herausrufen verpaßt. Der wachthabende Coiporal als Com¬
mandant hatte das durchs Fenster beobachtet, wuthschnaubend kam er mit seiner
acht Mann starken Rotte herausgestürzt, ein echtes Bayerkind mit mächtigem,
sichelförmigem Schnauzbart und dicken Backenknochen. Mit Löwenstimme inutile
er den verblüfften Posten an: „Ja du Eselsviech, du dummes, kannst nit raus¬
rufen?" Der noch im Bereiche sich befindende Stabsoffizier war in seinem
Diensteifer gar nicht für ihn da.

Bei einer solchen nichts weniger als liebevollen Behandlung konnte echte
Kameradschaft und Herzlichkeit sowie die Zuneigung der Untergebenen schwer ge¬
wonnen werden. So sprach sich denn auch ein gewisser Mißmuth, etwas Gleich-
giltiges, zuweilen gar ein Nichtächten oder etwas Störriges gegen die Anord¬
nungen der Oberen in Mienen oder Geberden und anderen Dingen ohne Worte
aus, und es geschah, daß man sich bei Anordnungen und Weisungen keines¬
wegs im Entgegenkommen und Ausführen überstürzte, man ließ es im Gegen¬
theil erst an sich kommen. Daher siel es selbst Laien nicht wenig auf, wenn
beim Stellen der Compagnien, selbst wo es nach dem Signal eilig war, die
Soldaten langsam und „drahnig", wenn wir uns dieses bezeichnenden Volks-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/490>, abgerufen am 22.07.2024.