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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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nicht hinreichend gesorgt. So war das auf eine Menge Wagen geladene Brod
von dem auffallenden Regenwetter so durchweicht worden, daß es eine breiige
Masse und ganz ungenießbar geworden war. Ebenso war es mit dem mit¬
gefühlten Fleisch, das bei der Wärme in Fäulniß übergegangen war. Das
Meiste wurde in die Werra geworfen. Die Wagen waren sämmtlich unbedeckt
und so konnte es nicht anders kommen. Besonders ausfallend war auch der
mächtige Train. Zum Transport des Heergeräths kamen die Equipagen, Pferde
und Dienerschaft der vielen Prinzen und der höheren Generale. Namentlich
ging da der Commandirende, Prinz Karl, selbst mit gutem Beispiel voran,
der fast seinen ganzen zahlreichen Haushalt mit sich geschleppt haben soll. Die
Nichtcombattanten, Auditoren, Aerzte, Verwaltungsbeamte fuhren meist in Kut¬
schen. Ueberraschend wär bei den meisten Offizieren die unzureichende geogra¬
phische und topographische Kenntniß. Kaum über die vaterländische Grenze hin¬
aus und man war schon in einer terrs, iireognita. Die Franzosen, bekannt¬
lich durch Unkenntniß unseres vaterländischen Bodens berühmt, wurden in die¬
ser Beziehung von manchen dieser süddeutschen Krieger noch übertroffen, und
das will gewiß viel sagen. Kaum daß sie in der Geographie ihres eigenen
Landes, das sie eben verlassen, etwas tacifester erschienen. Manche, die von
Mellrichstadt über einen unbedeutenden Höhenzug, die "Schanze", der sich auf
der einen Seite ins Bayerische absenkt und dessen Kamm die Grenze bildet, mit
herübergekommen waren, hielten das für den thüringer Wald und freuten sich,
diesen so rasch und unangefochten überschritten zu haben.

Was noch mehr Wunder nimmt, ist, daß sich nur einzelne dieser Herren
mit Karten versehen hatten. Bei dem nun fühlbaren Mangel und gewitzigt
durch üble Erfahrungen, wurde bald eine wahre Jagd darauf gemacht, so daß
man sogar Schulknaben aus irgendeinem Atlas Blatter abkaufte. Ein Haus¬
wirth zeigte eine solche auf Wunsch der beiden einquartirten Lieutenants vor,
die sie sich ausbaten. Er überließ sie ihnen und glücklich darüber soll der eine zum
andern gesagt haben: "Du, laß sie ja dem Major nicht sehn, sonst sind wir drum."

Ein anderer suchte auf der Karte herum und mit dem Finger auf einen
Punkt zeigend, fragte er seinen Genossen: "Was ist denn das Kalten da?"
-- "Das ist Kallennordheim auf der Rhön." -- "Ach so, das hab ich grad
g'sucht!" So war es auch. Der Name Kaltennordheim war auf der Karte
durch das Zeichen des dazwischenliegenden Ortes getrennt.

So blieben denn auch bei größeren Truppenthcilen Verirrungen aller Art
nicht aus. die, wenn auch auf verhältnißmäßig beschränktem Terrain, doch etwas
an die lamentabeln Irrfahrten des Odysseus erinnern. Es kam Vor, daß man
Von einem Orte zum andern, in einer Entfernung von drei Stunden, die drei-
und vierfache Zeit brauchte und statt auf der geraden und guten Straße einen
mächtigen und schlechten Umweg gemacht hatte. So wurden denn in der argen


Grenjboten III. 18LK. 58

nicht hinreichend gesorgt. So war das auf eine Menge Wagen geladene Brod
von dem auffallenden Regenwetter so durchweicht worden, daß es eine breiige
Masse und ganz ungenießbar geworden war. Ebenso war es mit dem mit¬
gefühlten Fleisch, das bei der Wärme in Fäulniß übergegangen war. Das
Meiste wurde in die Werra geworfen. Die Wagen waren sämmtlich unbedeckt
und so konnte es nicht anders kommen. Besonders ausfallend war auch der
mächtige Train. Zum Transport des Heergeräths kamen die Equipagen, Pferde
und Dienerschaft der vielen Prinzen und der höheren Generale. Namentlich
ging da der Commandirende, Prinz Karl, selbst mit gutem Beispiel voran,
der fast seinen ganzen zahlreichen Haushalt mit sich geschleppt haben soll. Die
Nichtcombattanten, Auditoren, Aerzte, Verwaltungsbeamte fuhren meist in Kut¬
schen. Ueberraschend wär bei den meisten Offizieren die unzureichende geogra¬
phische und topographische Kenntniß. Kaum über die vaterländische Grenze hin¬
aus und man war schon in einer terrs, iireognita. Die Franzosen, bekannt¬
lich durch Unkenntniß unseres vaterländischen Bodens berühmt, wurden in die¬
ser Beziehung von manchen dieser süddeutschen Krieger noch übertroffen, und
das will gewiß viel sagen. Kaum daß sie in der Geographie ihres eigenen
Landes, das sie eben verlassen, etwas tacifester erschienen. Manche, die von
Mellrichstadt über einen unbedeutenden Höhenzug, die „Schanze", der sich auf
der einen Seite ins Bayerische absenkt und dessen Kamm die Grenze bildet, mit
herübergekommen waren, hielten das für den thüringer Wald und freuten sich,
diesen so rasch und unangefochten überschritten zu haben.

Was noch mehr Wunder nimmt, ist, daß sich nur einzelne dieser Herren
mit Karten versehen hatten. Bei dem nun fühlbaren Mangel und gewitzigt
durch üble Erfahrungen, wurde bald eine wahre Jagd darauf gemacht, so daß
man sogar Schulknaben aus irgendeinem Atlas Blatter abkaufte. Ein Haus¬
wirth zeigte eine solche auf Wunsch der beiden einquartirten Lieutenants vor,
die sie sich ausbaten. Er überließ sie ihnen und glücklich darüber soll der eine zum
andern gesagt haben: „Du, laß sie ja dem Major nicht sehn, sonst sind wir drum."

Ein anderer suchte auf der Karte herum und mit dem Finger auf einen
Punkt zeigend, fragte er seinen Genossen: „Was ist denn das Kalten da?"
— „Das ist Kallennordheim auf der Rhön." — „Ach so, das hab ich grad
g'sucht!" So war es auch. Der Name Kaltennordheim war auf der Karte
durch das Zeichen des dazwischenliegenden Ortes getrennt.

So blieben denn auch bei größeren Truppenthcilen Verirrungen aller Art
nicht aus. die, wenn auch auf verhältnißmäßig beschränktem Terrain, doch etwas
an die lamentabeln Irrfahrten des Odysseus erinnern. Es kam Vor, daß man
Von einem Orte zum andern, in einer Entfernung von drei Stunden, die drei-
und vierfache Zeit brauchte und statt auf der geraden und guten Straße einen
mächtigen und schlechten Umweg gemacht hatte. So wurden denn in der argen


Grenjboten III. 18LK. 58
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/489>, abgerufen am 22.07.2024.