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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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den Hessen ihr Marburg nicht nehmen dürfen, aber man kann durch bessere
Dotation desselben wenigstens einige Uebelstande, unter denen die kleine Uni¬
versität leidet, vermindern. Wichtiger >se Göttingen, und vor dieser Universität,
welche in den Geisteswissenschaften unter den ersten Deutschlands zählt, wird
die preußische Regierung hohen Sinn zu bewähren haben. Es ist kein Ge¬
heimniß, daß, mit Ausnahme der Philologen und der jüngeren Lehrer, der
größte Theil der älteren Professoren der Annexion abgeneigt ist. Möge man
das der Universität nicht entgelten lassen, und ihr vor allem nicht die Selb¬
ständigkeit verkümmern. Will Preußen einen segensvollen Einfluß auf diese
große Anstalt ausüben, so ist reiche Gelegenheit geboten, indem man dort die
Naturwissenschaften, für die unter den Weisen verhciltiußmcißig wenig geschehen,
reichlicher bedenkt und durch das Einleiten ihrer Lehrkräfte die gegenwärtige
Physiognomie der Akademie umformt.

Zu den größten Ausgaben, welche die neue Zeit der preußischen Regierung
stellt, gehört, daß sie selbst die Bedürfnisse des geistigen Lebens in dem weiten
Terrain, welches jetzt Preußen heißt, höher faßt. Und grade auf dem Gebiete
der idealen Interessen ist in Preußen selbst noch am meisten zu thun. Das
preußische Ministerium des Auswärtigen hat während dieser Wochen Gelegen¬
heit in einem einzelnen Falle zu zeigen, daß es diese Interessen in ihren Schutz
zu nehmen weiß. Der deutsche Bundesstaat hat sein wichtigstes Archiv ver¬
loren: das große Archiv des deutschen Reichserzkanzlers, des Kurfürsten von
Mainz, war von Mainz nach Frankfurt geflüchtet worden, von da wurde es
im Jahre 18S2 durch Oestreich eigenmächtig nach Wien transportirt. Dieses
Archiv gehört dem Bundesstaat. Jetzt, wo mit Oestreich, um Theilung des ge"
sammlen Bundeseigenthums gehandelt werden soll, würde die Rückforderung
einer Hauptquelle für die deutsche Reichsgeschichte unsere Geschichtswissenschaft
zum größten Danke verpflichten.




den Hessen ihr Marburg nicht nehmen dürfen, aber man kann durch bessere
Dotation desselben wenigstens einige Uebelstande, unter denen die kleine Uni¬
versität leidet, vermindern. Wichtiger >se Göttingen, und vor dieser Universität,
welche in den Geisteswissenschaften unter den ersten Deutschlands zählt, wird
die preußische Regierung hohen Sinn zu bewähren haben. Es ist kein Ge¬
heimniß, daß, mit Ausnahme der Philologen und der jüngeren Lehrer, der
größte Theil der älteren Professoren der Annexion abgeneigt ist. Möge man
das der Universität nicht entgelten lassen, und ihr vor allem nicht die Selb¬
ständigkeit verkümmern. Will Preußen einen segensvollen Einfluß auf diese
große Anstalt ausüben, so ist reiche Gelegenheit geboten, indem man dort die
Naturwissenschaften, für die unter den Weisen verhciltiußmcißig wenig geschehen,
reichlicher bedenkt und durch das Einleiten ihrer Lehrkräfte die gegenwärtige
Physiognomie der Akademie umformt.

Zu den größten Ausgaben, welche die neue Zeit der preußischen Regierung
stellt, gehört, daß sie selbst die Bedürfnisse des geistigen Lebens in dem weiten
Terrain, welches jetzt Preußen heißt, höher faßt. Und grade auf dem Gebiete
der idealen Interessen ist in Preußen selbst noch am meisten zu thun. Das
preußische Ministerium des Auswärtigen hat während dieser Wochen Gelegen¬
heit in einem einzelnen Falle zu zeigen, daß es diese Interessen in ihren Schutz
zu nehmen weiß. Der deutsche Bundesstaat hat sein wichtigstes Archiv ver¬
loren: das große Archiv des deutschen Reichserzkanzlers, des Kurfürsten von
Mainz, war von Mainz nach Frankfurt geflüchtet worden, von da wurde es
im Jahre 18S2 durch Oestreich eigenmächtig nach Wien transportirt. Dieses
Archiv gehört dem Bundesstaat. Jetzt, wo mit Oestreich, um Theilung des ge«
sammlen Bundeseigenthums gehandelt werden soll, würde die Rückforderung
einer Hauptquelle für die deutsche Reichsgeschichte unsere Geschichtswissenschaft
zum größten Danke verpflichten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/480>, abgerufen am 03.07.2024.