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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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letzten Kunde von kriegerischen Ereignissen auf diesem Terrain hat ein kurzer
ereignißreicher Zeitraum die Gestalt der europäischen Verhältnisse geändert und
die auf jenen vielzerstampften Gefilden Norditaliens streitenden Parteien stehen
in völlig neuen Verhältnissen einander gegenüber.

Die Geschichte der neuesten Zeit belehrt uns, daß der Waffenstillstand von
Villafranca zusammenfällt mit dem Entschlüsse Preußens, sein Schwert zu Gun¬
sten des Kaisers von Oestreich in die Wagschale des Streites von damals zu
werfen. Der deutsche Bund erstreckte seine Autorität zu jener Zeit über Welsch-
tirol, und das Festungsviereck galt noch als der unerläßliche Schutzwall des
deutschen Reiches gegen italienische und französische Invasion.

So ähnlich nach den neuesten Mittheilungen des Telegraphen die Positio¬
nen der feindlichen Armeen denjenigen sind, welche sie inne hatten, als vor den
Thoren Veronas die Friedenspräliminarien stattfanden, so groß ist die Ver¬
änderung, die sich mittlerweile in der politischen Stellung der betheiligten Mächte
vollzogen hat. Der deutsche Bund, der damals das Engadin, den Stilfser- und
Brenner-Paß schützte, hat infolge der letzten Vorgänge zu existire" aufgehört,
und für Preußen hat das Dogma von der Nothwendigkeit des Festungsvierecks
für Deutschland keine Geltung mehr. Dieselbe Armee, die sich 1859 zum in-
directen Succurs der ermüdeten und geschlagenen Oestreicher in Bewegung setzte,
marschirt heute durch die Pässe der Lausitz und des Riesengebirges gegen das
kaiserliche Kronland Böhmen.

In Italien beginnt der Feldzug von 1866 genau wo der von 1859 auf¬
hörte. Für Oestreich ist diese Lage der Dinge jetzt vortheilhafter. Denn hätte der
Erzherzog statt der Vertheidigung von Verona, Peschiera, Mantua und Legnago
die Aufgabe, die Linien des Tessin und Po zu halten, so wäre seine Situation
über alle Vorstellung hilflos; so aber kann es sich für die Oestreicher nur um
harte Vertheidigung handeln, und wir zweifeln nicht, daß sie das ganze offene
Land südlich von Mantua und dem untern Laufe der Etsch preisgeben werden,
ja unter Umständen sogar entschlossen sind, das Terrain bis Padua und Vicenza
aufzugeben.

Nach der Schlacht von Solferino stand die Sarto-französische Armee in der
Front des Vierecks, auf einem Boden, welcher der Operation gegen Verona
und dem Versuch, die Stadt von Norden her zu fassen, die größten Hindernisse
in den Weg legte. Denn um die Höhe am Ostufer des Gardasees zu gewin¬
nen, waren sie zur Einschließung Peschieras gezwungen, welches nur durch
regelmäßige Belagerung genommen werden konnte. Den Marsch um die Nord¬
spitze des Sees verwehrte der Umstand, daß dieselbe auf deutschem Bundes¬
gebiet lag, und so hätte man die Etsch bei Pastrengo und Bussolengo im
Angesicht des Feindes Passiren müssen. Daß dieser Plan im Juli 1859
wirklich gefaßt war, ist denjenigen bekannt, welche mit den militärischen Be-


letzten Kunde von kriegerischen Ereignissen auf diesem Terrain hat ein kurzer
ereignißreicher Zeitraum die Gestalt der europäischen Verhältnisse geändert und
die auf jenen vielzerstampften Gefilden Norditaliens streitenden Parteien stehen
in völlig neuen Verhältnissen einander gegenüber.

Die Geschichte der neuesten Zeit belehrt uns, daß der Waffenstillstand von
Villafranca zusammenfällt mit dem Entschlüsse Preußens, sein Schwert zu Gun¬
sten des Kaisers von Oestreich in die Wagschale des Streites von damals zu
werfen. Der deutsche Bund erstreckte seine Autorität zu jener Zeit über Welsch-
tirol, und das Festungsviereck galt noch als der unerläßliche Schutzwall des
deutschen Reiches gegen italienische und französische Invasion.

So ähnlich nach den neuesten Mittheilungen des Telegraphen die Positio¬
nen der feindlichen Armeen denjenigen sind, welche sie inne hatten, als vor den
Thoren Veronas die Friedenspräliminarien stattfanden, so groß ist die Ver¬
änderung, die sich mittlerweile in der politischen Stellung der betheiligten Mächte
vollzogen hat. Der deutsche Bund, der damals das Engadin, den Stilfser- und
Brenner-Paß schützte, hat infolge der letzten Vorgänge zu existire» aufgehört,
und für Preußen hat das Dogma von der Nothwendigkeit des Festungsvierecks
für Deutschland keine Geltung mehr. Dieselbe Armee, die sich 1859 zum in-
directen Succurs der ermüdeten und geschlagenen Oestreicher in Bewegung setzte,
marschirt heute durch die Pässe der Lausitz und des Riesengebirges gegen das
kaiserliche Kronland Böhmen.

In Italien beginnt der Feldzug von 1866 genau wo der von 1859 auf¬
hörte. Für Oestreich ist diese Lage der Dinge jetzt vortheilhafter. Denn hätte der
Erzherzog statt der Vertheidigung von Verona, Peschiera, Mantua und Legnago
die Aufgabe, die Linien des Tessin und Po zu halten, so wäre seine Situation
über alle Vorstellung hilflos; so aber kann es sich für die Oestreicher nur um
harte Vertheidigung handeln, und wir zweifeln nicht, daß sie das ganze offene
Land südlich von Mantua und dem untern Laufe der Etsch preisgeben werden,
ja unter Umständen sogar entschlossen sind, das Terrain bis Padua und Vicenza
aufzugeben.

Nach der Schlacht von Solferino stand die Sarto-französische Armee in der
Front des Vierecks, auf einem Boden, welcher der Operation gegen Verona
und dem Versuch, die Stadt von Norden her zu fassen, die größten Hindernisse
in den Weg legte. Denn um die Höhe am Ostufer des Gardasees zu gewin¬
nen, waren sie zur Einschließung Peschieras gezwungen, welches nur durch
regelmäßige Belagerung genommen werden konnte. Den Marsch um die Nord¬
spitze des Sees verwehrte der Umstand, daß dieselbe auf deutschem Bundes¬
gebiet lag, und so hätte man die Etsch bei Pastrengo und Bussolengo im
Angesicht des Feindes Passiren müssen. Daß dieser Plan im Juli 1859
wirklich gefaßt war, ist denjenigen bekannt, welche mit den militärischen Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/48>, abgerufen am 22.07.2024.