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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Wir haben nichts dagegen, wenn sie grollend bei Seite stehen, mögen sie im
Kreise ihrer Gesinnungsgenossen stille Fronde machen gegen die neue Zeit, und
in ihren Häusern die Tage zurücksehnen, wo sie zum Welfenhofe fuhren. Aber
sie sollen sich hüten, den bösen Willen, den sie im stillen Herzen bewahren,
fernerhin bei politischen Acten zu bethätigen. Nicht die Regierung Preußens
allein haben sie zu fürchten, diese mag ihnen noch lange kluge Nachsicht ge¬
währen, sie sind jetzt in der ungünstigeren Lage, von unserem Volk aufmerksam
und mit Argwohn beobachtet zu werden. Ihr behagliches Stillleben im kleinen
Staat hat ein Ende, sie sind vor 26 Millionen Deutschen verantwortlich ge¬
worden für ihr politisches Verhalten, und es wird nach dem Aufschwünge, den
das Nationalgefühl in diesem Sommer gewonnen hat, eine genaue Controle
sein, welche die öffentliche Meinung über sie üben wird.

Es ist wahr, der Weg, auf welchem Preußen den Besitz deutscher Länder
durchgesetzt hat, war nicht nach Wunsch und Willen der Völker. Es war
demüthigend auch für die Besten, daß deutsche Länder aus einer Herrenhand
in die andere übergingen durch Waffengewalt, ohne daß den.Völkern gestattet
war. bei der Entscheidung über ihre Zukunft anzurathen. Aber auch dieser
Umstand entschuldigt nicht den Widerstand der varticularistischen Grundbesitzer
in den gewonnenen Ländern. Denn sie waren ihr Lebtag Gegner jeder Partei,
welche auf friedlichem Wege die engere Verbindung der deutschen Völker er¬
strebte und sie wären Gegner deutscher Einheit gewesen, gleichviel wie diese
Einheit durch die Parteien und Interessen gesunden worden wäre.

Jetzt wird an dem Wege gearbeitet, auf welchem die gewonnenen Länder
mit dem preußischen Staat vereinigt werden sollen. Die Arbeit ist nicht klein,
und es ist wohl möglich, daß uns dabei Fehlgriffe nicht erspart werden. Aber
so schwierig, als unsere Gegner wünschen, wird diese Vereinigung doch nicht
sein. Alle Staaten des deutschen Nordens haben seit zweihundert Jahren durch
gemeinsame politische Schicksale, gleichartige Bildung, nahe Verwandtschaft der
Stämme eine merkwürdig gleichartige Physiognomie erhalten. Nur Schleswig-
Holstein hat mehr Eigenthümlichkeiten. In den-übrigen aber sind im sechzehnten
Jahrhundert die kursächsischen Verordnungen von Friedrich dem Weisen bis
Kurfürst August mit geringen Modificationen Grundlagen der Polizei und Ver¬
waltung geworden, in allen haben die Landesherren auf den Ruinen des drei¬
ßigjährigen Krieges ihren Staat gegründet, in allen sind die Rechte und Pri¬
vilegien der mittelalterlichen Corporationen bis auf wenige Spuren beseitigt,
alle wurden Beamtenstaaten, zuerst durch ein Jahrhundert despotisch regiert,
dann durch Zeitideen und durch fremde Eroberung humanisirt. endlich mit einer
Verfassung beschenkt. In allen kämpfte grade jetzt das junge Verfassungsrecht
gegen die Gewöhnung der Fürsten an persönliches Regiment, alle sind grade


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Wir haben nichts dagegen, wenn sie grollend bei Seite stehen, mögen sie im
Kreise ihrer Gesinnungsgenossen stille Fronde machen gegen die neue Zeit, und
in ihren Häusern die Tage zurücksehnen, wo sie zum Welfenhofe fuhren. Aber
sie sollen sich hüten, den bösen Willen, den sie im stillen Herzen bewahren,
fernerhin bei politischen Acten zu bethätigen. Nicht die Regierung Preußens
allein haben sie zu fürchten, diese mag ihnen noch lange kluge Nachsicht ge¬
währen, sie sind jetzt in der ungünstigeren Lage, von unserem Volk aufmerksam
und mit Argwohn beobachtet zu werden. Ihr behagliches Stillleben im kleinen
Staat hat ein Ende, sie sind vor 26 Millionen Deutschen verantwortlich ge¬
worden für ihr politisches Verhalten, und es wird nach dem Aufschwünge, den
das Nationalgefühl in diesem Sommer gewonnen hat, eine genaue Controle
sein, welche die öffentliche Meinung über sie üben wird.

Es ist wahr, der Weg, auf welchem Preußen den Besitz deutscher Länder
durchgesetzt hat, war nicht nach Wunsch und Willen der Völker. Es war
demüthigend auch für die Besten, daß deutsche Länder aus einer Herrenhand
in die andere übergingen durch Waffengewalt, ohne daß den.Völkern gestattet
war. bei der Entscheidung über ihre Zukunft anzurathen. Aber auch dieser
Umstand entschuldigt nicht den Widerstand der varticularistischen Grundbesitzer
in den gewonnenen Ländern. Denn sie waren ihr Lebtag Gegner jeder Partei,
welche auf friedlichem Wege die engere Verbindung der deutschen Völker er¬
strebte und sie wären Gegner deutscher Einheit gewesen, gleichviel wie diese
Einheit durch die Parteien und Interessen gesunden worden wäre.

Jetzt wird an dem Wege gearbeitet, auf welchem die gewonnenen Länder
mit dem preußischen Staat vereinigt werden sollen. Die Arbeit ist nicht klein,
und es ist wohl möglich, daß uns dabei Fehlgriffe nicht erspart werden. Aber
so schwierig, als unsere Gegner wünschen, wird diese Vereinigung doch nicht
sein. Alle Staaten des deutschen Nordens haben seit zweihundert Jahren durch
gemeinsame politische Schicksale, gleichartige Bildung, nahe Verwandtschaft der
Stämme eine merkwürdig gleichartige Physiognomie erhalten. Nur Schleswig-
Holstein hat mehr Eigenthümlichkeiten. In den-übrigen aber sind im sechzehnten
Jahrhundert die kursächsischen Verordnungen von Friedrich dem Weisen bis
Kurfürst August mit geringen Modificationen Grundlagen der Polizei und Ver¬
waltung geworden, in allen haben die Landesherren auf den Ruinen des drei¬
ßigjährigen Krieges ihren Staat gegründet, in allen sind die Rechte und Pri¬
vilegien der mittelalterlichen Corporationen bis auf wenige Spuren beseitigt,
alle wurden Beamtenstaaten, zuerst durch ein Jahrhundert despotisch regiert,
dann durch Zeitideen und durch fremde Eroberung humanisirt. endlich mit einer
Verfassung beschenkt. In allen kämpfte grade jetzt das junge Verfassungsrecht
gegen die Gewöhnung der Fürsten an persönliches Regiment, alle sind grade


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/475>, abgerufen am 22.07.2024.