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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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endloser Widerwärtigkeiten. Eine eigensinnige Laune des Papstes verursacht
nutzloseste Zeitvergeudung. Er hatte sich -- unter hämischer Verdächtigung
Michelangelos -- einreden lassen, daß ein besserer Marmor als der carrarische
zwischen Pietra Santa und Serravezza. auf florentiner Gebiet, also wohlfeiler,
sich gewinnen lasse. Aber der Marmor war schwer zu bearbeiten, schon die
Fortschaffung aus den Brüchen bot die größten Schwierigkeiten und erforderte
eigene langwierige Straßenbauten. Vier Jahre vergehen auf diese Weise dem
Künstler rein nutzlos, denn nach all der Mühe wird das ganze Project von
Leo aufgegeben -- es waren dieselben Jahre, in welchen Rafael vollends die
höchsten Staffeln des Ruhmes erstieg. Wir meinen auch diese Situation würde
passen, und die alte Ergebenheit, die Michelangelo betheuert, der Gedanke, daß
er einst hoffte, durch die hohe Stellung seines Herrn emporgetragen zu werden,
die Erinnerung an die verlorene Zeit scheinen diese Deutung zu begünstigen.

Ein anderes Sonett, gleichfalls voll leidenschaftlicher Aufregung, und in
seltsam dunklen Ausdrücken, dehnt die Klage über Zurücksetzung weiter aus:
"Das Kriegsgetümmel und die in Rom herrschende Ruchlosigkeit läßt wahres
Verdienst nicht aufkommen. Aus Kelchen werden Schwerter und Helme gemacht,
Kreuz und Dornen werden zu Lanzen und Schildern. Christus selbst hat die
Geduld verloren, und -- möge er nie wieder nach dieser Stadt kommen, wo
man ihn (das Sacrament) zu unsinnigen Preisen verkauft. Wenn ich je, fährt
der Dichter fort, den Wunsch hatte, für Werke der Kunst, die von mir aus>
gingen, einen Schatz zu erwerben, so durfte ich dies von dem im Priestermantel
erwarten, der mich in Unthätigkeit läßt und, ein zweites Medusenhaupt, mich
zu Stein verwandelt. Und was nützt mir der Trost, daß Armuth in jenem
Leben angenehm ist, wenn das jetzige Treiben die Hoffnung aus ein künftiges
Leben überhaupt zerstört?" -- Michelangelo der Jüngere glaubte dieses Gedicht
während der Belagerung Roms im Jahre 1527 geschrieben, Guasti bezieht es
auf die Zeit des kriegerischen Julius des Zweiten. Allein unter dessen krie¬
gerischer Leidenschaft hatten die Künste, und speciell Michelangelo nicht zu leiden.
Dagegen kämpfte in denselben Jahren, die Michelangelo größtentheils in jenen
Steinbrüchen von Pietra santa zubrachte. Lorenzo, Pietros Sohn, um das Herzog-
thum Urbino, was dem Papst, seinem Oheim, ungeheure Summen kostete, und
eben diese Ausgaben waren es, die nebst dem Tode Lorenzos (1519) den Papst
bewogen, den kostspieligen Fa^adenbau von San Lorenzo einzustellen. Auch
erklärt sich wohl das seltsame Bild vom Medusenhaupt am besten so. daß der
Künstler unthätig in die Steinbrüche festgebannt, selbst zu Stein erstarrt zu
sein sich dünkt. -- Vielleicht gehört derselben Zeit, aber einer resignirtercn
Stimmung, das Fragment eines Sonetts (96) an, des Inhalts: "Wun es irgend
erlaubt wäre, sich selbst zu tödten in der Hoffnung, durch den Tod zum Himmel
zu gelangen, so wäre es dem zu verzeihen, der mit solcher Treue dienend eknd


endloser Widerwärtigkeiten. Eine eigensinnige Laune des Papstes verursacht
nutzloseste Zeitvergeudung. Er hatte sich — unter hämischer Verdächtigung
Michelangelos — einreden lassen, daß ein besserer Marmor als der carrarische
zwischen Pietra Santa und Serravezza. auf florentiner Gebiet, also wohlfeiler,
sich gewinnen lasse. Aber der Marmor war schwer zu bearbeiten, schon die
Fortschaffung aus den Brüchen bot die größten Schwierigkeiten und erforderte
eigene langwierige Straßenbauten. Vier Jahre vergehen auf diese Weise dem
Künstler rein nutzlos, denn nach all der Mühe wird das ganze Project von
Leo aufgegeben — es waren dieselben Jahre, in welchen Rafael vollends die
höchsten Staffeln des Ruhmes erstieg. Wir meinen auch diese Situation würde
passen, und die alte Ergebenheit, die Michelangelo betheuert, der Gedanke, daß
er einst hoffte, durch die hohe Stellung seines Herrn emporgetragen zu werden,
die Erinnerung an die verlorene Zeit scheinen diese Deutung zu begünstigen.

Ein anderes Sonett, gleichfalls voll leidenschaftlicher Aufregung, und in
seltsam dunklen Ausdrücken, dehnt die Klage über Zurücksetzung weiter aus:
„Das Kriegsgetümmel und die in Rom herrschende Ruchlosigkeit läßt wahres
Verdienst nicht aufkommen. Aus Kelchen werden Schwerter und Helme gemacht,
Kreuz und Dornen werden zu Lanzen und Schildern. Christus selbst hat die
Geduld verloren, und — möge er nie wieder nach dieser Stadt kommen, wo
man ihn (das Sacrament) zu unsinnigen Preisen verkauft. Wenn ich je, fährt
der Dichter fort, den Wunsch hatte, für Werke der Kunst, die von mir aus>
gingen, einen Schatz zu erwerben, so durfte ich dies von dem im Priestermantel
erwarten, der mich in Unthätigkeit läßt und, ein zweites Medusenhaupt, mich
zu Stein verwandelt. Und was nützt mir der Trost, daß Armuth in jenem
Leben angenehm ist, wenn das jetzige Treiben die Hoffnung aus ein künftiges
Leben überhaupt zerstört?" — Michelangelo der Jüngere glaubte dieses Gedicht
während der Belagerung Roms im Jahre 1527 geschrieben, Guasti bezieht es
auf die Zeit des kriegerischen Julius des Zweiten. Allein unter dessen krie¬
gerischer Leidenschaft hatten die Künste, und speciell Michelangelo nicht zu leiden.
Dagegen kämpfte in denselben Jahren, die Michelangelo größtentheils in jenen
Steinbrüchen von Pietra santa zubrachte. Lorenzo, Pietros Sohn, um das Herzog-
thum Urbino, was dem Papst, seinem Oheim, ungeheure Summen kostete, und
eben diese Ausgaben waren es, die nebst dem Tode Lorenzos (1519) den Papst
bewogen, den kostspieligen Fa^adenbau von San Lorenzo einzustellen. Auch
erklärt sich wohl das seltsame Bild vom Medusenhaupt am besten so. daß der
Künstler unthätig in die Steinbrüche festgebannt, selbst zu Stein erstarrt zu
sein sich dünkt. — Vielleicht gehört derselben Zeit, aber einer resignirtercn
Stimmung, das Fragment eines Sonetts (96) an, des Inhalts: „Wun es irgend
erlaubt wäre, sich selbst zu tödten in der Hoffnung, durch den Tod zum Himmel
zu gelangen, so wäre es dem zu verzeihen, der mit solcher Treue dienend eknd


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/46>, abgerufen am 22.07.2024.