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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Die Soldaten schlugen die Augen nieder. Es schien mir, sie schämten sich und
hatten mehr Gefühl und Sinn für Gerechtigkeit als diejenigen, Von welchen die
"Ordres" ausgingen.

Kurz danach setzten sich die Schaufelräder in Bewegung. Das Boot dampfte
rheinaufwärts nach Mainz. Jetzt war jede Hoffnung zu Ende. Mainzer Käse-
.matten, Ketten in Kufstein, wohl gar eine Kugel vor den Kopf. -- das waren
die Aussichten. Wie Gott will, dachte ich. Nur die Erinnerung an Frau und
Kinder stimmte mich zur Wehmuth.

Das Dampfboot legte in Mainz an einer Landungsbrücke an, auf welcher
bayerische Offiziere standen. Mainz war von Bayern, das gegenüber liegende
rechtsrheinische Castel von Kurhessen und dem nassauischen Depot besetzt. Die
nassauischen Soldaten auf unserem Schiffe sollten zu dem letzter" stoßen. Man
parlamentirte mit den bayerischen Offizieren auf der Landungsbrücke. Wir
schlössen aus deren Geberden, daß sie uns zehrende Unterpfänder nicht haben
wollten. Richtig! Glück auf. das Schiff stach wieder in den Rhein, ohne uns
an das Land gesetzt zu haben. Aber -- leider wandte es sich statt rheinab-
wärts nach Bibrich, nach dem gegenüber liegenden Brückenkopf Castel, der zur
Bundesfestung gehört. Hier legten wir an. Ein Theil der Bemannung des
Schiffes begab sich ans Land. Wir blieben an Bord. Ich sah einmal zur
Luke hinaus. Da standen drei lazzaronenhaft aussehende Nheinschnackcn (Last¬
träger), warfen mir wüthende Blicke zu, fletschten die Zähne, krallten die Hände
nach mir und machten Gesten, als wenn sie jemanden in das Wasser würfen.
Das Schimpfwort "Spion!" erläuterte mir ihre liebenswürdigen Absichten.

Wir lagen nur zehn Minuten in Castel vor Anker. Dann stieß das Schiff
vom Lande, drehte sich und fuhr -- zurück nach Bibrich. Sprechen durften
wir arme "politische Kriegsgefangene" höchster Ordre zufolge nicht. Aber wir
drückten einander mit freudestrahlenden leuchtenden Auge" die Hände, -- wir
hatten das Gefühl: Wir sind gerettet. So schön ist mir der mächtige grüne
Rhein, das frohmüthige und sonnenhafte Bibrich und der in der Ferne sich
duftig emporhebende, in vollster Frische schwellende Bergwald noch nie vor¬
gekommen. O, wie liebte ich mein schönes Heimathiändche". Aber ich gestehe
es offen, ich konnte ein Gefühl der Bitterkeit gegen die. welche in diesem
irdischen Paradies dem Menschenfangc oblagen, selbst in dem Augenblicke der
Rettung nicht ganz unterdrücken. Ich erinnerte mich selber daran, daß man
seinen Feinden vergeben solle. Mein es gelang mir erst, als ich wieder
zu Hause angekommen war. In dieser Stunde nicht. Denn mein Herz war
zu voll.

In Bibrich wurden wir zum Bürgermeister gebracht. Man reichte dort
uns Hungernden und Dürstenden einige Erfrischungen. Auch das wollten die


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Die Soldaten schlugen die Augen nieder. Es schien mir, sie schämten sich und
hatten mehr Gefühl und Sinn für Gerechtigkeit als diejenigen, Von welchen die
„Ordres" ausgingen.

Kurz danach setzten sich die Schaufelräder in Bewegung. Das Boot dampfte
rheinaufwärts nach Mainz. Jetzt war jede Hoffnung zu Ende. Mainzer Käse-
.matten, Ketten in Kufstein, wohl gar eine Kugel vor den Kopf. — das waren
die Aussichten. Wie Gott will, dachte ich. Nur die Erinnerung an Frau und
Kinder stimmte mich zur Wehmuth.

Das Dampfboot legte in Mainz an einer Landungsbrücke an, auf welcher
bayerische Offiziere standen. Mainz war von Bayern, das gegenüber liegende
rechtsrheinische Castel von Kurhessen und dem nassauischen Depot besetzt. Die
nassauischen Soldaten auf unserem Schiffe sollten zu dem letzter» stoßen. Man
parlamentirte mit den bayerischen Offizieren auf der Landungsbrücke. Wir
schlössen aus deren Geberden, daß sie uns zehrende Unterpfänder nicht haben
wollten. Richtig! Glück auf. das Schiff stach wieder in den Rhein, ohne uns
an das Land gesetzt zu haben. Aber — leider wandte es sich statt rheinab-
wärts nach Bibrich, nach dem gegenüber liegenden Brückenkopf Castel, der zur
Bundesfestung gehört. Hier legten wir an. Ein Theil der Bemannung des
Schiffes begab sich ans Land. Wir blieben an Bord. Ich sah einmal zur
Luke hinaus. Da standen drei lazzaronenhaft aussehende Nheinschnackcn (Last¬
träger), warfen mir wüthende Blicke zu, fletschten die Zähne, krallten die Hände
nach mir und machten Gesten, als wenn sie jemanden in das Wasser würfen.
Das Schimpfwort „Spion!" erläuterte mir ihre liebenswürdigen Absichten.

Wir lagen nur zehn Minuten in Castel vor Anker. Dann stieß das Schiff
vom Lande, drehte sich und fuhr — zurück nach Bibrich. Sprechen durften
wir arme „politische Kriegsgefangene" höchster Ordre zufolge nicht. Aber wir
drückten einander mit freudestrahlenden leuchtenden Auge» die Hände, — wir
hatten das Gefühl: Wir sind gerettet. So schön ist mir der mächtige grüne
Rhein, das frohmüthige und sonnenhafte Bibrich und der in der Ferne sich
duftig emporhebende, in vollster Frische schwellende Bergwald noch nie vor¬
gekommen. O, wie liebte ich mein schönes Heimathiändche». Aber ich gestehe
es offen, ich konnte ein Gefühl der Bitterkeit gegen die. welche in diesem
irdischen Paradies dem Menschenfangc oblagen, selbst in dem Augenblicke der
Rettung nicht ganz unterdrücken. Ich erinnerte mich selber daran, daß man
seinen Feinden vergeben solle. Mein es gelang mir erst, als ich wieder
zu Hause angekommen war. In dieser Stunde nicht. Denn mein Herz war
zu voll.

In Bibrich wurden wir zum Bürgermeister gebracht. Man reichte dort
uns Hungernden und Dürstenden einige Erfrischungen. Auch das wollten die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/457>, abgerufen am 22.07.2024.