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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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schrieb der Herzog von Nassau den bekannten, etwas merkwürdig stilisirten Brief
an den Fürsten zu Hohenzollern und erhielt darauf eine Antwort, in welcher
man zwischen den Zeilen die rechtzeitig in Vollzug gelangte Ankündigung lesen
kann: "Das Haus Nassau hat aufgehört zu regieren."

Man führte uns in die Kajüte dieses verhängnißvollen Dampfboots, mit
welchem der Krieg zwischen Nassau.und Preußen begonnen. Dort wurden wir
von einem Unteroffizier und vier Soldaten bewacht. Wir durften nicht mit
einander sprechen. An der Kajütenthür standen zwei und auf der Treppe aber¬
mals zwei Mann Soldaten. Man schien uns, obgleich man offenbar selbst
nicht wußte, warum, immer noch auf höheren Befehl für sehr gefährliche Men¬
schen zu halten. Allein unser Schicksal mußte noch nicht entschieden sein.
Es gingen Offiziere ab und zu. Man sprach von dem Auditeur. Man schien
Nachrichten von Wiesbaden zu erwarten, ob man gehen oder bleiben solle.
Unsere Hoffnung wuchs. Aber auch unser Hunger. Wir lagen von Morgens
halb vier bis Nachmittags um drei Uhr in Bibrich vor Anker. Am Abend
vorher hatten wir das letzte Mal unseren Brei erhalten. Wir mußten also
beinahe vierundzwanzig Stunden Hunger und Durst leiden. Kaum reichte man
aus inständiges Bitten den Halbverschmachteten ein wenig Wasser. Endlich
schien doch einem nassauischen Hauptmann die Idee aufzudämmern, daß wir
nicht von der Luft leben könnten. Er rief uns zu: "Wenn Sie etwa Appetit
haben, dann können Sie sich etwas vom Lande holen lassen." Ich erwiederte
ihm: Wir haben aber kein Gelb, man hat es uns in der Kaserne abgenom¬
men. Darauf er: "Ja, das ist eine schlimme Geschichte, dann kann ich nicht,
helfen." Mir mein G^it, das ja doch in der Kaserne liegen mußte, und das
für uns alle hingereicht hätte, dort zu holen, siel niemandem ein. Ich schreibe
dies jedoch nicht einer Böswilligkeit zu, sondern jener Aufregung und Auf¬
lösung, jener Kopflosigkeit und Verwirrung, welche fast bei allen Abtheilungen
der Bundcstagsarmce an der Tagesordnung war. Indeß mag die Ursache sein,
welche da wolle, wir hungerten. Zuerst nahm man u>us das Geld ab, und
dann ließ man uns hungern, weil wir kein Geld hatten. Zuerst machen uns
die Götter schuldig und dann strafen sie uns.

Mitten während dieser Tortur zupfte mich ein Soldat heimlich am Rock
und deutete nach dem Ufer. Seinem Fingerzeig folgend sah ich am Strand
des Rheins meine Fran mit verzweifelten hastigen Schritten hin und hergehen.
Ich glaubte in ihren Mienen lesen zu können, daß ihrer und meiner Freunde
Anstrengungen alle umsonst waren. Ich näherte mich der Schiffslukc, um ihr
ein letztes Lebewohl zuzurufen. Da faßte mich ein anderer Soldat von der
Wache, riß mich zurück und schrie: "Nach höchstem Befehl darf das durchaus
nicht sein, -- wir haben die strengsten Ordres, -- Sie bringen mich in die
größte Verlegenheit." "Das will ich nicht," sagte ich ihm, "lieber verzichte ich."


schrieb der Herzog von Nassau den bekannten, etwas merkwürdig stilisirten Brief
an den Fürsten zu Hohenzollern und erhielt darauf eine Antwort, in welcher
man zwischen den Zeilen die rechtzeitig in Vollzug gelangte Ankündigung lesen
kann: „Das Haus Nassau hat aufgehört zu regieren."

Man führte uns in die Kajüte dieses verhängnißvollen Dampfboots, mit
welchem der Krieg zwischen Nassau.und Preußen begonnen. Dort wurden wir
von einem Unteroffizier und vier Soldaten bewacht. Wir durften nicht mit
einander sprechen. An der Kajütenthür standen zwei und auf der Treppe aber¬
mals zwei Mann Soldaten. Man schien uns, obgleich man offenbar selbst
nicht wußte, warum, immer noch auf höheren Befehl für sehr gefährliche Men¬
schen zu halten. Allein unser Schicksal mußte noch nicht entschieden sein.
Es gingen Offiziere ab und zu. Man sprach von dem Auditeur. Man schien
Nachrichten von Wiesbaden zu erwarten, ob man gehen oder bleiben solle.
Unsere Hoffnung wuchs. Aber auch unser Hunger. Wir lagen von Morgens
halb vier bis Nachmittags um drei Uhr in Bibrich vor Anker. Am Abend
vorher hatten wir das letzte Mal unseren Brei erhalten. Wir mußten also
beinahe vierundzwanzig Stunden Hunger und Durst leiden. Kaum reichte man
aus inständiges Bitten den Halbverschmachteten ein wenig Wasser. Endlich
schien doch einem nassauischen Hauptmann die Idee aufzudämmern, daß wir
nicht von der Luft leben könnten. Er rief uns zu: „Wenn Sie etwa Appetit
haben, dann können Sie sich etwas vom Lande holen lassen." Ich erwiederte
ihm: Wir haben aber kein Gelb, man hat es uns in der Kaserne abgenom¬
men. Darauf er: „Ja, das ist eine schlimme Geschichte, dann kann ich nicht,
helfen." Mir mein G^it, das ja doch in der Kaserne liegen mußte, und das
für uns alle hingereicht hätte, dort zu holen, siel niemandem ein. Ich schreibe
dies jedoch nicht einer Böswilligkeit zu, sondern jener Aufregung und Auf¬
lösung, jener Kopflosigkeit und Verwirrung, welche fast bei allen Abtheilungen
der Bundcstagsarmce an der Tagesordnung war. Indeß mag die Ursache sein,
welche da wolle, wir hungerten. Zuerst nahm man u>us das Geld ab, und
dann ließ man uns hungern, weil wir kein Geld hatten. Zuerst machen uns
die Götter schuldig und dann strafen sie uns.

Mitten während dieser Tortur zupfte mich ein Soldat heimlich am Rock
und deutete nach dem Ufer. Seinem Fingerzeig folgend sah ich am Strand
des Rheins meine Fran mit verzweifelten hastigen Schritten hin und hergehen.
Ich glaubte in ihren Mienen lesen zu können, daß ihrer und meiner Freunde
Anstrengungen alle umsonst waren. Ich näherte mich der Schiffslukc, um ihr
ein letztes Lebewohl zuzurufen. Da faßte mich ein anderer Soldat von der
Wache, riß mich zurück und schrie: „Nach höchstem Befehl darf das durchaus
nicht sein, — wir haben die strengsten Ordres, — Sie bringen mich in die
größte Verlegenheit." „Das will ich nicht," sagte ich ihm, „lieber verzichte ich."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/456>, abgerufen am 22.07.2024.