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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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über Staatsgeheimnisse, du schwatzhafter Landstand!" Dort in der schmutzigen
Ecke taucht aus der Dämmerung ein consiscirtcs Gesicht, mit rothen Haaren
umrahmt, auf und ruft zähnefletschend: "Kein Knochen von dir kommt wieder
nach Schwalbach zurück!" Und da drüben lächelt ein glattes Gesicht: "Ich bin
Von den Jesuiten erzogen und weiß, wie man im Stillen feinen Faden spinnt."
Endlich aber kommt ein rother spanischer Karlisteubandenführcr, schwingt seinen
Säbel über meinem Haupt und schreit:


"Uusrto el porro,
Nuertg, la, rabia!^

Was auf Deutsch heißen soll: "Todte.Hunde beißen nicht mehr!" Dazwischen
aber irren die schattenhaften schwankenden Gestalten von Frau und Kindern.
Sie ringen trostlos die Hände und rufen: "Vater,' giebt es denn keine Gerech¬
tigkeit auf Erden mehr, keine?" Und das Echo kalte dumpf und trostlos zurück:
"Keine!"

Auf diesen Paroxismus folgt dann wieder die stille selbstquälerische Grü¬
belei. Man spielt den Ankläger und den Angeklagten in einer Person. Denn
der isolitte Mensch hat ein krankhaftes Bedürfniß, sich in sich selbst zu differen-
ziren und durch sich selbst zu multipliciren. Man denkt sich alle Möglichkeiten
falscher Anklage" und falscher Ankläger. Und deren Zahl ist Legion! Und dann
stellt man sich wieder alle möglichen und denkbaren Vertheidigungssysteme zu¬
sammen, welche man etwa jenen als möglich gedachten falschen Anklagen, falschen
Denunzianten und falschen Zeugen entgegenstellen könnte. Immer und ewig
wirbeln diese Gedanken durchs Gehirn. Man kann sich trotz aller Mühewaltung
nicht von ihnen losmachen. Alle drehen sie sich wie eine Windsbraut stets um
den einen kranken Mittelpunkt, -- um den Verlust der Freiheit und dessen An¬
laß. Oh, dieses endlose, düstere Meer von ewig fliehenden und ewig wieder¬
kehrenden weißgrünenden Welten marternder Gedanken, überschattet von einer
grauen, bleiernen, schweren Wolkensäule der Trost- und Hoffnungslosigkeit, --
wer kann das ausdenken, wer kann es schildern---.

Es gehört ein hoher Grad geistiger und moralischer Stärke oder ein ebenso
hoher Grad des Gegentheils, der Verkommenheit, des Stumpfsinns, der Ge¬
dankenlosigkeit dazu, um in einem solchen Zustande nicht dicht an die Grenzen
des Wahnsinns gedrängt zu werden. Möchten doch alle Personen, welche in
gewohnheitsmäßiger mechanischer Gleichgiltigkeit endlose Untersuchungshaft über
Angeklagte, die oft schließlich unschuldig befunden werden, verhängen, bedenken,
wie grausam das ist, und daß die moderne Haft bei vielen Menschen, und
grade bei den besten, an Härte die alte Tortur mit ihren Folterinstrumenten
übertrifft.

Wenn man wenigstens durch Gestaltung der Lectüre dem Gefangenen Ge¬
legenheit gäbe, seine Gedanken, welche sonst selbstmörderisch das Innere zer-


über Staatsgeheimnisse, du schwatzhafter Landstand!" Dort in der schmutzigen
Ecke taucht aus der Dämmerung ein consiscirtcs Gesicht, mit rothen Haaren
umrahmt, auf und ruft zähnefletschend: „Kein Knochen von dir kommt wieder
nach Schwalbach zurück!" Und da drüben lächelt ein glattes Gesicht: „Ich bin
Von den Jesuiten erzogen und weiß, wie man im Stillen feinen Faden spinnt."
Endlich aber kommt ein rother spanischer Karlisteubandenführcr, schwingt seinen
Säbel über meinem Haupt und schreit:


„Uusrto el porro,
Nuertg, la, rabia!^

Was auf Deutsch heißen soll: „Todte.Hunde beißen nicht mehr!" Dazwischen
aber irren die schattenhaften schwankenden Gestalten von Frau und Kindern.
Sie ringen trostlos die Hände und rufen: „Vater,' giebt es denn keine Gerech¬
tigkeit auf Erden mehr, keine?" Und das Echo kalte dumpf und trostlos zurück:
„Keine!"

Auf diesen Paroxismus folgt dann wieder die stille selbstquälerische Grü¬
belei. Man spielt den Ankläger und den Angeklagten in einer Person. Denn
der isolitte Mensch hat ein krankhaftes Bedürfniß, sich in sich selbst zu differen-
ziren und durch sich selbst zu multipliciren. Man denkt sich alle Möglichkeiten
falscher Anklage» und falscher Ankläger. Und deren Zahl ist Legion! Und dann
stellt man sich wieder alle möglichen und denkbaren Vertheidigungssysteme zu¬
sammen, welche man etwa jenen als möglich gedachten falschen Anklagen, falschen
Denunzianten und falschen Zeugen entgegenstellen könnte. Immer und ewig
wirbeln diese Gedanken durchs Gehirn. Man kann sich trotz aller Mühewaltung
nicht von ihnen losmachen. Alle drehen sie sich wie eine Windsbraut stets um
den einen kranken Mittelpunkt, — um den Verlust der Freiheit und dessen An¬
laß. Oh, dieses endlose, düstere Meer von ewig fliehenden und ewig wieder¬
kehrenden weißgrünenden Welten marternder Gedanken, überschattet von einer
grauen, bleiernen, schweren Wolkensäule der Trost- und Hoffnungslosigkeit, —
wer kann das ausdenken, wer kann es schildern---.

Es gehört ein hoher Grad geistiger und moralischer Stärke oder ein ebenso
hoher Grad des Gegentheils, der Verkommenheit, des Stumpfsinns, der Ge¬
dankenlosigkeit dazu, um in einem solchen Zustande nicht dicht an die Grenzen
des Wahnsinns gedrängt zu werden. Möchten doch alle Personen, welche in
gewohnheitsmäßiger mechanischer Gleichgiltigkeit endlose Untersuchungshaft über
Angeklagte, die oft schließlich unschuldig befunden werden, verhängen, bedenken,
wie grausam das ist, und daß die moderne Haft bei vielen Menschen, und
grade bei den besten, an Härte die alte Tortur mit ihren Folterinstrumenten
übertrifft.

Wenn man wenigstens durch Gestaltung der Lectüre dem Gefangenen Ge¬
legenheit gäbe, seine Gedanken, welche sonst selbstmörderisch das Innere zer-


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[0452] über Staatsgeheimnisse, du schwatzhafter Landstand!" Dort in der schmutzigen Ecke taucht aus der Dämmerung ein consiscirtcs Gesicht, mit rothen Haaren umrahmt, auf und ruft zähnefletschend: „Kein Knochen von dir kommt wieder nach Schwalbach zurück!" Und da drüben lächelt ein glattes Gesicht: „Ich bin Von den Jesuiten erzogen und weiß, wie man im Stillen feinen Faden spinnt." Endlich aber kommt ein rother spanischer Karlisteubandenführcr, schwingt seinen Säbel über meinem Haupt und schreit: „Uusrto el porro, Nuertg, la, rabia!^ Was auf Deutsch heißen soll: „Todte.Hunde beißen nicht mehr!" Dazwischen aber irren die schattenhaften schwankenden Gestalten von Frau und Kindern. Sie ringen trostlos die Hände und rufen: „Vater,' giebt es denn keine Gerech¬ tigkeit auf Erden mehr, keine?" Und das Echo kalte dumpf und trostlos zurück: „Keine!" Auf diesen Paroxismus folgt dann wieder die stille selbstquälerische Grü¬ belei. Man spielt den Ankläger und den Angeklagten in einer Person. Denn der isolitte Mensch hat ein krankhaftes Bedürfniß, sich in sich selbst zu differen- ziren und durch sich selbst zu multipliciren. Man denkt sich alle Möglichkeiten falscher Anklage» und falscher Ankläger. Und deren Zahl ist Legion! Und dann stellt man sich wieder alle möglichen und denkbaren Vertheidigungssysteme zu¬ sammen, welche man etwa jenen als möglich gedachten falschen Anklagen, falschen Denunzianten und falschen Zeugen entgegenstellen könnte. Immer und ewig wirbeln diese Gedanken durchs Gehirn. Man kann sich trotz aller Mühewaltung nicht von ihnen losmachen. Alle drehen sie sich wie eine Windsbraut stets um den einen kranken Mittelpunkt, — um den Verlust der Freiheit und dessen An¬ laß. Oh, dieses endlose, düstere Meer von ewig fliehenden und ewig wieder¬ kehrenden weißgrünenden Welten marternder Gedanken, überschattet von einer grauen, bleiernen, schweren Wolkensäule der Trost- und Hoffnungslosigkeit, — wer kann das ausdenken, wer kann es schildern---. Es gehört ein hoher Grad geistiger und moralischer Stärke oder ein ebenso hoher Grad des Gegentheils, der Verkommenheit, des Stumpfsinns, der Ge¬ dankenlosigkeit dazu, um in einem solchen Zustande nicht dicht an die Grenzen des Wahnsinns gedrängt zu werden. Möchten doch alle Personen, welche in gewohnheitsmäßiger mechanischer Gleichgiltigkeit endlose Untersuchungshaft über Angeklagte, die oft schließlich unschuldig befunden werden, verhängen, bedenken, wie grausam das ist, und daß die moderne Haft bei vielen Menschen, und grade bei den besten, an Härte die alte Tortur mit ihren Folterinstrumenten übertrifft. Wenn man wenigstens durch Gestaltung der Lectüre dem Gefangenen Ge¬ legenheit gäbe, seine Gedanken, welche sonst selbstmörderisch das Innere zer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/452>, abgerufen am 22.07.2024.