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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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vorgethan und dadurch die Ungnade des Herrn Werren und des gestrengen
Herrn Amtmanns im höchsten Grade zugezogen hatte.

Von diesen zehn Personen sind überhaupt nur drei, nämlich der Flick¬
schuster, der Koch und der Oberkellner vernommen worden, und auch diese auf
eine eigenthümliche Art. Der Auditeur fragte jeden einzelnen Delinquenten,
ob er nicht wisse, weshalb er verhaftet sei und was er überhaupt verbrochen
habe. Darauf antworteten die drei armen Teufel vollkommen wahrheitsgemäß
und in völliger Uebereinstimmung, verbrochen hätten sie ihr Leben lang noch
gar nichts, und warum sie verhaftet seien, darüber fehle ihnen selbst jegliche
Nachricht, sie getrösteten sich aber, nachdem sie endlich einmal zum Verhör ge¬
kommen, der Hoffnung, der hochlöbliche Auditeur werde ihnen die Ursache ihrer
Verhaftung eröffnen. Leiber vermochte der Auditeur dieser Erwartung nicht zu
entsprechen. Denn er wußte ebenso wenig, wie seine Delinquenten. Man hatte
ihn angewiesen, die Leute, weil sie auf ein Verhör drangen, zu verhören. Vor¬
acten oder sonstiges Material zu einem Verhör hatte man ihm aber nicht mit¬
getheilt. Der Auditeur ist überhaupt in Nassau kein Richter, sondern nur ein
mit der nöthigen juristischen Technik ausgestatteter Hilfsarbeiter, welcher dem
Commandanten lmgcgcbcn ist und dessen Befehle zu vollstrecken hat, mögen sie
mit dem gesunden Menschenverstand, mit den Landcsgcscjzen und mit der Rechts¬
wissenschaft im Einklang stehen, oder nicht. Der Corpscommandant war jener
General Roth, der seine Studien in Spanien gemacht hatte, und da die spa¬
nische Inquisition ebenfalls ihre Inquisiten über die Ursache ihrer Verhaftung
im Unklaren ließ und fragend aus die Folter spannte, damit sie ihre eigenen
Ankläger würden, so ist es möglich, daß diesmal ein Stück spanischer Kunst in
unser nassauisches Kriegsrecht übergegangen war. Der Auditeur aber schien an
der Procedur g, Kr loriMLinculu, durchaus keinen Geschmack zu habe". Denn
nachdem er sie ohne Erfolg an dem Koch, dem Oberkellner und dem Flickschuster
in Anwendung gebracht, ließ er uns anderen in Ruhe. Wir hörten nichts mehr,
als, daß. wir im Gefängniß seien, und daß wir, so wie es geschah, behandelt
würden, beruhe auf "höheren Befehl". Wir konnten uns denken, woher der
höhere Befehl komme, und daß er auf niederen Motiven beruhe. Und mit Aus¬
nahme des Dorfschusters, der unter Anklage stand, auf einen Hügel gestiegen
zu sein, hat auch keiner von uns jemals den Grund seiner Verhaftung erfahren.

Nach dem Grundsätze "solamvll iniLML soeios KaduisW ins-lorrim" --
wie ich mir in der Einsamkeit des Kasernengesängnisses ausgesonnen, sollte es
nicht soluwM misst'i" heißen, sondern Lolamvn miserum, denn es ist ein
erbärmlicher lTrost -- könnte es meinen Leidensgefährten und mir zum Troste
gereichen, daß es in der Bundesfcstnng Mainz, wie ich nachträglich erfahren,
mit dem Spionenwesen grade so gehalten wurde. Kein Mensch, der nicht bay¬
erische oder alemannische oder Pfälzische Mundart führte, war sicher. Wer das se


vorgethan und dadurch die Ungnade des Herrn Werren und des gestrengen
Herrn Amtmanns im höchsten Grade zugezogen hatte.

Von diesen zehn Personen sind überhaupt nur drei, nämlich der Flick¬
schuster, der Koch und der Oberkellner vernommen worden, und auch diese auf
eine eigenthümliche Art. Der Auditeur fragte jeden einzelnen Delinquenten,
ob er nicht wisse, weshalb er verhaftet sei und was er überhaupt verbrochen
habe. Darauf antworteten die drei armen Teufel vollkommen wahrheitsgemäß
und in völliger Uebereinstimmung, verbrochen hätten sie ihr Leben lang noch
gar nichts, und warum sie verhaftet seien, darüber fehle ihnen selbst jegliche
Nachricht, sie getrösteten sich aber, nachdem sie endlich einmal zum Verhör ge¬
kommen, der Hoffnung, der hochlöbliche Auditeur werde ihnen die Ursache ihrer
Verhaftung eröffnen. Leiber vermochte der Auditeur dieser Erwartung nicht zu
entsprechen. Denn er wußte ebenso wenig, wie seine Delinquenten. Man hatte
ihn angewiesen, die Leute, weil sie auf ein Verhör drangen, zu verhören. Vor¬
acten oder sonstiges Material zu einem Verhör hatte man ihm aber nicht mit¬
getheilt. Der Auditeur ist überhaupt in Nassau kein Richter, sondern nur ein
mit der nöthigen juristischen Technik ausgestatteter Hilfsarbeiter, welcher dem
Commandanten lmgcgcbcn ist und dessen Befehle zu vollstrecken hat, mögen sie
mit dem gesunden Menschenverstand, mit den Landcsgcscjzen und mit der Rechts¬
wissenschaft im Einklang stehen, oder nicht. Der Corpscommandant war jener
General Roth, der seine Studien in Spanien gemacht hatte, und da die spa¬
nische Inquisition ebenfalls ihre Inquisiten über die Ursache ihrer Verhaftung
im Unklaren ließ und fragend aus die Folter spannte, damit sie ihre eigenen
Ankläger würden, so ist es möglich, daß diesmal ein Stück spanischer Kunst in
unser nassauisches Kriegsrecht übergegangen war. Der Auditeur aber schien an
der Procedur g, Kr loriMLinculu, durchaus keinen Geschmack zu habe». Denn
nachdem er sie ohne Erfolg an dem Koch, dem Oberkellner und dem Flickschuster
in Anwendung gebracht, ließ er uns anderen in Ruhe. Wir hörten nichts mehr,
als, daß. wir im Gefängniß seien, und daß wir, so wie es geschah, behandelt
würden, beruhe auf „höheren Befehl". Wir konnten uns denken, woher der
höhere Befehl komme, und daß er auf niederen Motiven beruhe. Und mit Aus¬
nahme des Dorfschusters, der unter Anklage stand, auf einen Hügel gestiegen
zu sein, hat auch keiner von uns jemals den Grund seiner Verhaftung erfahren.

Nach dem Grundsätze „solamvll iniLML soeios KaduisW ins-lorrim" —
wie ich mir in der Einsamkeit des Kasernengesängnisses ausgesonnen, sollte es
nicht soluwM misst'i» heißen, sondern Lolamvn miserum, denn es ist ein
erbärmlicher lTrost — könnte es meinen Leidensgefährten und mir zum Troste
gereichen, daß es in der Bundesfcstnng Mainz, wie ich nachträglich erfahren,
mit dem Spionenwesen grade so gehalten wurde. Kein Mensch, der nicht bay¬
erische oder alemannische oder Pfälzische Mundart führte, war sicher. Wer das se


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/450>, abgerufen am 22.07.2024.