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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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wir noch Einzelnes aus der reichen Ausbeute heraus, welche die echten Ge¬
dichte bieten.

Zu den merkwürdigsten Stücken gehört ein überaus heftiges Gedicht, das
gegen den Undank eines hohen Herrn sich richtet (Sonett 3 der neuen Ausg.).
"Du hast," ruft diesem der Dichter entgegen, "Fabeln und eitlem Geschwätz Glau¬
ben geschenkt und Lügner belohnt. Dein alter getreuer Diener bin ich gewesen
und bin es noch, dir ergeben wie der Sonne die Strahlen. Aber dich kümmert
meine nutzlos verschwendete Zeit nicht, und je mehr ich mich müde arbeite, um
so mehr mißfalle ich dir. Einst hoffte ich, daß deine Hoheit mich aufwärts
trage, daß Gerechtigkeit den Arm deiner Macht lenken werde und nicht die
Stimme des Echo. Aber so ist der Himmel; er will, daß das Verdienst in
der Welt mißachtet werde, er will, daß man Früchte pflücke von verdorrtem
Baum!"

Man kennt die näheren Umstände, unter welchen der schwer wieder zu
heilende Bruch Michelangelos mit dem Papst Julius dem Zweiten im Jahr
1506 erfolgte. Seit einem Jahr arbeitet er für diesen an dem kolossalen Grab¬
mal, von dem später so wenig ausgeführt werden sollte. Der Papst ist Feuer
und Flamme, ungeduldig überzeugt er sich täglich vom Fortgange der Arbeit,
"wie ein Bruder" verkehrt er mit Michelangelo. Aber während der Meister fern
weilt in den Steinbrüchen von Carrara gelingt es Bramante, mit seinen
Einflüsterungen das Ohr des Papstes zu gewinnen. Dieser entzieht Michel¬
angelo seine Gunst, macht Schwierigkeiten, giebt Befehl ihn gar nicht mehr
vorzulassen. Michelangelo ist wüthend, auf der Stelle schreibt er dem Papst
ein Billet, das Hand und Fuß hat, und reist nach Florenz zurück. Von keiner
Versöhnung will er wissen, und langer diplomatischer Unterhandlungen und
der Drohung, ihn auszuliefern, bedarf es, bis es zu jener eigenthümlichen Aus¬
söhnungsscene in Bologna kommt, die für die Charaktere der beiden außer¬
ordentlichen Männer so bezeichnend ist. Schon Michelangelo der Jüngere be¬
zieht das Gedicht auf diesen Conflict, desgleichen Guasti. In der That ent¬
spricht die aufbrausende Heftigkeit desselben ganz der damaligen Situation;
unter den Lügnern, denen der Papst Glauben geschenkt, ist Bramante verstanden,
und in dem "verdorrten Baum" könnte man eine persönliche Anspielung aus
den Papst erblicken, dessen Familiennamen Rovere eine Steineiche bedeutet. --
Vielleicht ist noch eine andere Deutung möglich. Michelangelo war von Lorenzo
dem Prächtigen in sein Haus aufgenommen, wie ein Glied der Familie ge-
halten und zugleich mit den Söhnen des Hauses auferzogen worden. Einer
dieser Söhne war Giovanni, der nachmalige Papst Leo der Zehnte. Aber nichts
weist im Verhältniß des Künstlers zu diesem Papst auf die einstige Jugend¬
genossenschaft zurück. Der Auftrag, den er im Jahr 1615 von Leo erhält, die
Faysde der Kirche von San Lorenzo auszuführen, wird für ihn eine Quelle
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wir noch Einzelnes aus der reichen Ausbeute heraus, welche die echten Ge¬
dichte bieten.

Zu den merkwürdigsten Stücken gehört ein überaus heftiges Gedicht, das
gegen den Undank eines hohen Herrn sich richtet (Sonett 3 der neuen Ausg.).
„Du hast," ruft diesem der Dichter entgegen, „Fabeln und eitlem Geschwätz Glau¬
ben geschenkt und Lügner belohnt. Dein alter getreuer Diener bin ich gewesen
und bin es noch, dir ergeben wie der Sonne die Strahlen. Aber dich kümmert
meine nutzlos verschwendete Zeit nicht, und je mehr ich mich müde arbeite, um
so mehr mißfalle ich dir. Einst hoffte ich, daß deine Hoheit mich aufwärts
trage, daß Gerechtigkeit den Arm deiner Macht lenken werde und nicht die
Stimme des Echo. Aber so ist der Himmel; er will, daß das Verdienst in
der Welt mißachtet werde, er will, daß man Früchte pflücke von verdorrtem
Baum!«

Man kennt die näheren Umstände, unter welchen der schwer wieder zu
heilende Bruch Michelangelos mit dem Papst Julius dem Zweiten im Jahr
1506 erfolgte. Seit einem Jahr arbeitet er für diesen an dem kolossalen Grab¬
mal, von dem später so wenig ausgeführt werden sollte. Der Papst ist Feuer
und Flamme, ungeduldig überzeugt er sich täglich vom Fortgange der Arbeit,
„wie ein Bruder" verkehrt er mit Michelangelo. Aber während der Meister fern
weilt in den Steinbrüchen von Carrara gelingt es Bramante, mit seinen
Einflüsterungen das Ohr des Papstes zu gewinnen. Dieser entzieht Michel¬
angelo seine Gunst, macht Schwierigkeiten, giebt Befehl ihn gar nicht mehr
vorzulassen. Michelangelo ist wüthend, auf der Stelle schreibt er dem Papst
ein Billet, das Hand und Fuß hat, und reist nach Florenz zurück. Von keiner
Versöhnung will er wissen, und langer diplomatischer Unterhandlungen und
der Drohung, ihn auszuliefern, bedarf es, bis es zu jener eigenthümlichen Aus¬
söhnungsscene in Bologna kommt, die für die Charaktere der beiden außer¬
ordentlichen Männer so bezeichnend ist. Schon Michelangelo der Jüngere be¬
zieht das Gedicht auf diesen Conflict, desgleichen Guasti. In der That ent¬
spricht die aufbrausende Heftigkeit desselben ganz der damaligen Situation;
unter den Lügnern, denen der Papst Glauben geschenkt, ist Bramante verstanden,
und in dem „verdorrten Baum" könnte man eine persönliche Anspielung aus
den Papst erblicken, dessen Familiennamen Rovere eine Steineiche bedeutet. —
Vielleicht ist noch eine andere Deutung möglich. Michelangelo war von Lorenzo
dem Prächtigen in sein Haus aufgenommen, wie ein Glied der Familie ge-
halten und zugleich mit den Söhnen des Hauses auferzogen worden. Einer
dieser Söhne war Giovanni, der nachmalige Papst Leo der Zehnte. Aber nichts
weist im Verhältniß des Künstlers zu diesem Papst auf die einstige Jugend¬
genossenschaft zurück. Der Auftrag, den er im Jahr 1615 von Leo erhält, die
Faysde der Kirche von San Lorenzo auszuführen, wird für ihn eine Quelle
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/45>, abgerufen am 25.08.2024.