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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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blieb der Hauptmann ganz aus. Ich sah nur noch den Gefangnenwcirter Unter¬
offizier Geets, der mir mein trauriges Loos nach Kräften zu erleichtern suchte,
dabei aber stets in den größten Aengsten schwebte, seine, sich übrigens streng
innerhalb der geschlichen Schranken bewegende Menschlichkeit könne entdeckt,
und er zu Rechenschaft und Strafe gezogen werden. Es schien also Grausamkeit
befohlen zu sein. Da der Hauptmann ausblieb, plagte ich den Unteroffizier, den
Grund meiner Verhaftung zu erfahren. Er wußte natürlich auch nichts. Ich
verlangte vor irgendeinen Richter gestellt oder vernommen zu werden. "Ich
wills melden," sagte der Unteroffizier. Später berichtete er, von den "politischen
Kriegsgefangenen", deren, mich mitgerechnet, im Ganzen zehn Stück, sämmtlich
in Bad Schwalbach und Umgegend zur Zeit des Siegesrausches von Zorn
aufgegriffen, in der Kaserne verhaftet waren, seien bereits drei durch den Audi-
teur verhört worden. Wie es komme, daß seine Bemühungen, auch meine Ver¬
nehmung zu bewerkstelligen, ohne Erfolg blieben, wisse er sich nicht zu erklären.
Es war ein braver Mensch, mein Unteroffizier Geets. Er verwünschte den Tag,
wo er Gefangnenwärter geworden sei, er tauge nicht zu diesem Dienst, es stoße
ihm das Herz ab, daß er die strengen Vorschriften vollstrecken müsse, aber er
könne nicht darüber hinaus, denn Dienst sei Dienst, und Ordre sei Ordre. Und
dabei traten ihm die Thränen in die Augen. Ich dankte ihm für sein Mit¬
gefühl, sei auch der Dienst für ihn selber unangenehm, so wäre es doch um so
schlimmer für die Gefangenen, wenn sie neben den harten Vorschriften auch
noch einen harten Mann hätten, eine so warme Theilnahme wie die seinige sei
tröstlich, wenn auch trotz alledem die höheren Befehle, von welchen ich vermuthe,
daß sie aus dem Schloß von Biorich kämen, mit militärischem Gehorsam voll¬
streckt werden müßten.

Später erfuhr ich, wie es mit meinen Mitgefangenen stand. Außer mir
und dem kranken Dorfschustcr war es zuerst ein amerikanischer Arzt Davey,
der als Kurgast in Schwalvach gelebt und sich um die deutsche Politik nie mehr
gekümmert hat, als einem gebildeten Fremden selbstverständlich ist; ^-- er war
ebenfalls krank und hat im Gefängniß unsäglich gelitten, ist auch von den auf¬
gesetzten würtembergischen Soldaten schwer insultirt worden; ferner waren da
der Koch und der Oberkellner aus einem der ersten Hotels des Bades Schwal¬
bach, zwei in Politik außerordentlich harmlose Menschen, welche indeß beide das
Unglück hatten, in Preußen geboren zu sein und Verwandte dort zu besitzen,
mit welchen sie correspondirten; ferner ein Schuster aus Schwalbach, ein
Bäuerlein aus dem Dorfe Kenel und ein Tagelöhner aus dem Dorfe Holzhausen,
-- alle ohne die geringste Kenntniß der Ursachen, welche ihnen die Ehre einer
politischen Verhaftung zugezogen hatte; endlich Kaufmann Mager aus Wehen,
der sich als eifriger und geschickter Agitator während unsrer Wahlkämpfe her-


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blieb der Hauptmann ganz aus. Ich sah nur noch den Gefangnenwcirter Unter¬
offizier Geets, der mir mein trauriges Loos nach Kräften zu erleichtern suchte,
dabei aber stets in den größten Aengsten schwebte, seine, sich übrigens streng
innerhalb der geschlichen Schranken bewegende Menschlichkeit könne entdeckt,
und er zu Rechenschaft und Strafe gezogen werden. Es schien also Grausamkeit
befohlen zu sein. Da der Hauptmann ausblieb, plagte ich den Unteroffizier, den
Grund meiner Verhaftung zu erfahren. Er wußte natürlich auch nichts. Ich
verlangte vor irgendeinen Richter gestellt oder vernommen zu werden. „Ich
wills melden," sagte der Unteroffizier. Später berichtete er, von den „politischen
Kriegsgefangenen", deren, mich mitgerechnet, im Ganzen zehn Stück, sämmtlich
in Bad Schwalbach und Umgegend zur Zeit des Siegesrausches von Zorn
aufgegriffen, in der Kaserne verhaftet waren, seien bereits drei durch den Audi-
teur verhört worden. Wie es komme, daß seine Bemühungen, auch meine Ver¬
nehmung zu bewerkstelligen, ohne Erfolg blieben, wisse er sich nicht zu erklären.
Es war ein braver Mensch, mein Unteroffizier Geets. Er verwünschte den Tag,
wo er Gefangnenwärter geworden sei, er tauge nicht zu diesem Dienst, es stoße
ihm das Herz ab, daß er die strengen Vorschriften vollstrecken müsse, aber er
könne nicht darüber hinaus, denn Dienst sei Dienst, und Ordre sei Ordre. Und
dabei traten ihm die Thränen in die Augen. Ich dankte ihm für sein Mit¬
gefühl, sei auch der Dienst für ihn selber unangenehm, so wäre es doch um so
schlimmer für die Gefangenen, wenn sie neben den harten Vorschriften auch
noch einen harten Mann hätten, eine so warme Theilnahme wie die seinige sei
tröstlich, wenn auch trotz alledem die höheren Befehle, von welchen ich vermuthe,
daß sie aus dem Schloß von Biorich kämen, mit militärischem Gehorsam voll¬
streckt werden müßten.

Später erfuhr ich, wie es mit meinen Mitgefangenen stand. Außer mir
und dem kranken Dorfschustcr war es zuerst ein amerikanischer Arzt Davey,
der als Kurgast in Schwalvach gelebt und sich um die deutsche Politik nie mehr
gekümmert hat, als einem gebildeten Fremden selbstverständlich ist; ^— er war
ebenfalls krank und hat im Gefängniß unsäglich gelitten, ist auch von den auf¬
gesetzten würtembergischen Soldaten schwer insultirt worden; ferner waren da
der Koch und der Oberkellner aus einem der ersten Hotels des Bades Schwal¬
bach, zwei in Politik außerordentlich harmlose Menschen, welche indeß beide das
Unglück hatten, in Preußen geboren zu sein und Verwandte dort zu besitzen,
mit welchen sie correspondirten; ferner ein Schuster aus Schwalbach, ein
Bäuerlein aus dem Dorfe Kenel und ein Tagelöhner aus dem Dorfe Holzhausen,
— alle ohne die geringste Kenntniß der Ursachen, welche ihnen die Ehre einer
politischen Verhaftung zugezogen hatte; endlich Kaufmann Mager aus Wehen,
der sich als eifriger und geschickter Agitator während unsrer Wahlkämpfe her-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/449>, abgerufen am 22.07.2024.