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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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wie ich noch erzählen werde. Dann verkündigte uns der Hauptmann mit großem
Pathos: auf höheren Befehl werde uns nur gewöhnliche Kost verabreicht werden,
nämlich Morgens Wasser und Brod, Mittags Fleisch und Brei, Abends aber¬
mals Brei. Dem geschah denn auch so. Ob es Folge des noch grassirenden
Salzmonopols war, weiß ich nicht, aber der Brei war nie gesalzen; das Wasser
war alt und abgestanden, so daß ich es nicht genießen konnte, obwohl ich un¬
säglich Hitze und Durst litt. Meine Uhr und mein Geld erhielt ich erst sehr
lange Zeit nach meiner Befreiung wieder. Es bedürfte dazu wiederholter leb¬
hafter Reklamationen meines Urwalds.

Man führte uns nach dem Kasernengefängniß. Es ist im oberen Stock
grade über den Küchcnräumen angebracht, was im Winter vielleicht nicht übel
ist, aber bei dieser tropischen Hitze unausstehlich war. Die Zellen sind etwa
3--6 Fuß breit und 10 Fuß lang. In einer jeden ist außer einem etwa andert¬
halb Quadratschuh haltenden vergitterten Fensterchen, das über Mannshöhe
hinauf oben angebracht und nur ein wenig zu öffnen ist, und der Thüre, keine
sonstige Oeffnung. Bon unten dringt durch den Küchenboden die Feuerhitze
und der Kochgeruch und von oben dringt die Sonnenhitze in die Zellen, welche
an Wärme und Verdorbenheit der Luft mit den Bleikammern von San Marco
in Venedig wetteifern können.

Der Hauptmann Travers ging mit und befahl dem Unteroffizier Geets,
der als Gefangenwärter fungirte und sich als ein wohlmeinender Mann erwies,
die Zelle Nummer 1 zu öffnen und den Insassen, der sich bereits darin vorfand,
herauskommen zu lassen, damit ich hineingesteckt werde. Dies geschah. Im
Begriff in dre Zelle einzutreten, schlug mir eine glühende, qualmende, übel¬
riechende Hitze der Art entgegen, daß mir der Athem verging, und ich erklärte,
ich gehe da nicht hinein, das sei mein sicherer Tod. Der Hauptmann Travers
ließ darauf den andern Bischmark, den armen kranken Schuster hineinstecken und
für mich die Zelle Nummer 2 aufschließen, welche etwas weniger schlecht und
auch unbesetzt war. Warum man grade darauf erpicht war, mich in die schlech¬
teste und bereits anderweitig besetzte Zelle zu setzen, wahrend ein geräumigeres
Gefängniß daneben freistand, weiß ich nicht. Vielleicht war es höherer Befehl.
Jedenfalls mußte ich voraussetzen, daß die Beschaffenheit der einzelnen Zellen
für den Hauptmann kein Geheimniß war. Der Hauptmann sah während der
zwei ersten Tage meiner Gefangenschaft einige Male nach mir. Einmal wollte
er sogar mit mir Politisiren, wozu ich aber durchaus nicht aufgelegt war. Er
mahnte mich im Uebrigen zu Geduld und Resignation. "Ja," sagte ich, "wenn
ich nur in aller Welt wüßte, warum ich verhaftet bin, und was man mit mir
will!" Der Hauptmann zuckte Anfangs schweigend die Schultern. Dann sagte
er, er wisse es selbst nicht, es sei höherer Befehl, er könne mir nicht helfen,
auch sei es strengstens verboten, daß irgend jemand mit mir spreche. Später


wie ich noch erzählen werde. Dann verkündigte uns der Hauptmann mit großem
Pathos: auf höheren Befehl werde uns nur gewöhnliche Kost verabreicht werden,
nämlich Morgens Wasser und Brod, Mittags Fleisch und Brei, Abends aber¬
mals Brei. Dem geschah denn auch so. Ob es Folge des noch grassirenden
Salzmonopols war, weiß ich nicht, aber der Brei war nie gesalzen; das Wasser
war alt und abgestanden, so daß ich es nicht genießen konnte, obwohl ich un¬
säglich Hitze und Durst litt. Meine Uhr und mein Geld erhielt ich erst sehr
lange Zeit nach meiner Befreiung wieder. Es bedürfte dazu wiederholter leb¬
hafter Reklamationen meines Urwalds.

Man führte uns nach dem Kasernengefängniß. Es ist im oberen Stock
grade über den Küchcnräumen angebracht, was im Winter vielleicht nicht übel
ist, aber bei dieser tropischen Hitze unausstehlich war. Die Zellen sind etwa
3—6 Fuß breit und 10 Fuß lang. In einer jeden ist außer einem etwa andert¬
halb Quadratschuh haltenden vergitterten Fensterchen, das über Mannshöhe
hinauf oben angebracht und nur ein wenig zu öffnen ist, und der Thüre, keine
sonstige Oeffnung. Bon unten dringt durch den Küchenboden die Feuerhitze
und der Kochgeruch und von oben dringt die Sonnenhitze in die Zellen, welche
an Wärme und Verdorbenheit der Luft mit den Bleikammern von San Marco
in Venedig wetteifern können.

Der Hauptmann Travers ging mit und befahl dem Unteroffizier Geets,
der als Gefangenwärter fungirte und sich als ein wohlmeinender Mann erwies,
die Zelle Nummer 1 zu öffnen und den Insassen, der sich bereits darin vorfand,
herauskommen zu lassen, damit ich hineingesteckt werde. Dies geschah. Im
Begriff in dre Zelle einzutreten, schlug mir eine glühende, qualmende, übel¬
riechende Hitze der Art entgegen, daß mir der Athem verging, und ich erklärte,
ich gehe da nicht hinein, das sei mein sicherer Tod. Der Hauptmann Travers
ließ darauf den andern Bischmark, den armen kranken Schuster hineinstecken und
für mich die Zelle Nummer 2 aufschließen, welche etwas weniger schlecht und
auch unbesetzt war. Warum man grade darauf erpicht war, mich in die schlech¬
teste und bereits anderweitig besetzte Zelle zu setzen, wahrend ein geräumigeres
Gefängniß daneben freistand, weiß ich nicht. Vielleicht war es höherer Befehl.
Jedenfalls mußte ich voraussetzen, daß die Beschaffenheit der einzelnen Zellen
für den Hauptmann kein Geheimniß war. Der Hauptmann sah während der
zwei ersten Tage meiner Gefangenschaft einige Male nach mir. Einmal wollte
er sogar mit mir Politisiren, wozu ich aber durchaus nicht aufgelegt war. Er
mahnte mich im Uebrigen zu Geduld und Resignation. „Ja," sagte ich, „wenn
ich nur in aller Welt wüßte, warum ich verhaftet bin, und was man mit mir
will!" Der Hauptmann zuckte Anfangs schweigend die Schultern. Dann sagte
er, er wisse es selbst nicht, es sei höherer Befehl, er könne mir nicht helfen,
auch sei es strengstens verboten, daß irgend jemand mit mir spreche. Später


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[0448] wie ich noch erzählen werde. Dann verkündigte uns der Hauptmann mit großem Pathos: auf höheren Befehl werde uns nur gewöhnliche Kost verabreicht werden, nämlich Morgens Wasser und Brod, Mittags Fleisch und Brei, Abends aber¬ mals Brei. Dem geschah denn auch so. Ob es Folge des noch grassirenden Salzmonopols war, weiß ich nicht, aber der Brei war nie gesalzen; das Wasser war alt und abgestanden, so daß ich es nicht genießen konnte, obwohl ich un¬ säglich Hitze und Durst litt. Meine Uhr und mein Geld erhielt ich erst sehr lange Zeit nach meiner Befreiung wieder. Es bedürfte dazu wiederholter leb¬ hafter Reklamationen meines Urwalds. Man führte uns nach dem Kasernengefängniß. Es ist im oberen Stock grade über den Küchcnräumen angebracht, was im Winter vielleicht nicht übel ist, aber bei dieser tropischen Hitze unausstehlich war. Die Zellen sind etwa 3—6 Fuß breit und 10 Fuß lang. In einer jeden ist außer einem etwa andert¬ halb Quadratschuh haltenden vergitterten Fensterchen, das über Mannshöhe hinauf oben angebracht und nur ein wenig zu öffnen ist, und der Thüre, keine sonstige Oeffnung. Bon unten dringt durch den Küchenboden die Feuerhitze und der Kochgeruch und von oben dringt die Sonnenhitze in die Zellen, welche an Wärme und Verdorbenheit der Luft mit den Bleikammern von San Marco in Venedig wetteifern können. Der Hauptmann Travers ging mit und befahl dem Unteroffizier Geets, der als Gefangenwärter fungirte und sich als ein wohlmeinender Mann erwies, die Zelle Nummer 1 zu öffnen und den Insassen, der sich bereits darin vorfand, herauskommen zu lassen, damit ich hineingesteckt werde. Dies geschah. Im Begriff in dre Zelle einzutreten, schlug mir eine glühende, qualmende, übel¬ riechende Hitze der Art entgegen, daß mir der Athem verging, und ich erklärte, ich gehe da nicht hinein, das sei mein sicherer Tod. Der Hauptmann Travers ließ darauf den andern Bischmark, den armen kranken Schuster hineinstecken und für mich die Zelle Nummer 2 aufschließen, welche etwas weniger schlecht und auch unbesetzt war. Warum man grade darauf erpicht war, mich in die schlech¬ teste und bereits anderweitig besetzte Zelle zu setzen, wahrend ein geräumigeres Gefängniß daneben freistand, weiß ich nicht. Vielleicht war es höherer Befehl. Jedenfalls mußte ich voraussetzen, daß die Beschaffenheit der einzelnen Zellen für den Hauptmann kein Geheimniß war. Der Hauptmann sah während der zwei ersten Tage meiner Gefangenschaft einige Male nach mir. Einmal wollte er sogar mit mir Politisiren, wozu ich aber durchaus nicht aufgelegt war. Er mahnte mich im Uebrigen zu Geduld und Resignation. „Ja," sagte ich, „wenn ich nur in aller Welt wüßte, warum ich verhaftet bin, und was man mit mir will!" Der Hauptmann zuckte Anfangs schweigend die Schultern. Dann sagte er, er wisse es selbst nicht, es sei höherer Befehl, er könne mir nicht helfen, auch sei es strengstens verboten, daß irgend jemand mit mir spreche. Später

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/448>, abgerufen am 22.07.2024.