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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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weil solche Vagabunden durch ihr Singen und Lachen die Beschaulichkeit störten,
deren die Kurfremden im Amthaus bedürften.

Diese Umstände wurden bei Gelegenheit der Berathung des betreffenden
Budgetpostens von einem meiner Collegen in der Kammer zur Sprache gebracht.
Da aber letzterer in irgendeinem Nebenpunkt einen unerheblichen Irrthum be¬
ging, so erließ der Amtmann Gull in dem officiellen Blatte eine Erklärung,
jener sei ein "elender Lügner und Verleumder". Diese Worte gehörten seit
Werren zum offiziellen nassauischen Kanzleistil. Ganz Schwalbach wußte, daß
sich die Sache so verhielt, wie ich oben erzählt habe. Die Herren Grabert,
Leonhard, Diefenbach und ich erklärten dies öffentlich dem Amtmann und andern
zum Gehör. Allein es blieb dabei.

Ich wußte also, daß wenn der Amtmann mich jetzt zu sprechen wünschte,
etwas dahinter stecke. Auch war der Gcnsdarmeriewachtmeister in einiger Ver¬
legenheit, die mir auffiel. Er hatte, wie ich später hörte, den Auftrag, mich
sofort zu verhaften, wählte aber, da er mich in großer Gesellschaft traf, die
andere Form. Ich nahm keinen Anstand mitzugehen, da mich mein Gewissen
freisprach. Der Wachtmeister überlieferte mich dem Amtmann Gull, indem er
etwas von "Arrestant" und von "Kriegsgericht" sprach. Ich bat um Mitthei¬
lung der Ursache meiner Verhaftung. Man sagte mir sie nicht. Ich protestirte,
da in Nassau weder das Standrecht verkündigt, noch ein Kriegsgericht eingesetzt
sei. Der Amtmann Gull erwiderte, das sei seine Sache und gehe mich nichts
an. Endlich bat ich, mir wenigstens in Beisein des Amtmanns zu gestatten,
Abschied von Frau und Kindern zu nehmen und ihnen noch einige Weisungen
zu geben. "Das geht nicht!" schrie der Amtmann und befahl mit barschem
Tone, mich in das Gefängniß zu führen. Nachdem sich der Riegel der Zcllen-
thür hinter mir geschlossen, bemerkte ich erst, daß ich in jenem Schuldhaftslocal
saß, welches durch die landständischen Verhandlungen eine gewisse Berühmtheit
erlangt hatte. Es war wohl eine neckische Laune des Zufalls. Denn der Amt¬
mann war zu aufgeregt, als daß ich ihm in diesem Augenblick eine Absicht in
der Wahl des Locals zugetraut hätte.

So saß ich eine halbe Stunde in dem Gefängniß, welches für Vagabunden
zu gut war. Dann sollte es fortgehn, -- "zum Kriegsgericht", das gar nicht
existirte. Man gewährte mir als Gnade, daß ich mir auf eigene Kosten einen,
geschlossenen Wagen nehmen durfte. Auch gab man mir, außer dem Gens-
darmen, der die Rolle des Schutzengels übernahm, noch einen Reise- und Schick¬
salsgefährten, einen alten kranken Flickschuster aus dem Dorfe Kenel bei, der
in gleicher Art, und zwar als "Spion" oder "Preußenfrcund" verhaftet worden
war. Nur genoß er vor mir den Vorzug, daß man ihn wenigstens mit dem
Gegenstand der gegen ihn erhobenen Anklage bekannt gemacht hatte. Er war
nämlich beschuldigt, in der Absicht, "das preußische Lager" (sollte wohl heißen


weil solche Vagabunden durch ihr Singen und Lachen die Beschaulichkeit störten,
deren die Kurfremden im Amthaus bedürften.

Diese Umstände wurden bei Gelegenheit der Berathung des betreffenden
Budgetpostens von einem meiner Collegen in der Kammer zur Sprache gebracht.
Da aber letzterer in irgendeinem Nebenpunkt einen unerheblichen Irrthum be¬
ging, so erließ der Amtmann Gull in dem officiellen Blatte eine Erklärung,
jener sei ein „elender Lügner und Verleumder". Diese Worte gehörten seit
Werren zum offiziellen nassauischen Kanzleistil. Ganz Schwalbach wußte, daß
sich die Sache so verhielt, wie ich oben erzählt habe. Die Herren Grabert,
Leonhard, Diefenbach und ich erklärten dies öffentlich dem Amtmann und andern
zum Gehör. Allein es blieb dabei.

Ich wußte also, daß wenn der Amtmann mich jetzt zu sprechen wünschte,
etwas dahinter stecke. Auch war der Gcnsdarmeriewachtmeister in einiger Ver¬
legenheit, die mir auffiel. Er hatte, wie ich später hörte, den Auftrag, mich
sofort zu verhaften, wählte aber, da er mich in großer Gesellschaft traf, die
andere Form. Ich nahm keinen Anstand mitzugehen, da mich mein Gewissen
freisprach. Der Wachtmeister überlieferte mich dem Amtmann Gull, indem er
etwas von „Arrestant" und von „Kriegsgericht" sprach. Ich bat um Mitthei¬
lung der Ursache meiner Verhaftung. Man sagte mir sie nicht. Ich protestirte,
da in Nassau weder das Standrecht verkündigt, noch ein Kriegsgericht eingesetzt
sei. Der Amtmann Gull erwiderte, das sei seine Sache und gehe mich nichts
an. Endlich bat ich, mir wenigstens in Beisein des Amtmanns zu gestatten,
Abschied von Frau und Kindern zu nehmen und ihnen noch einige Weisungen
zu geben. „Das geht nicht!" schrie der Amtmann und befahl mit barschem
Tone, mich in das Gefängniß zu führen. Nachdem sich der Riegel der Zcllen-
thür hinter mir geschlossen, bemerkte ich erst, daß ich in jenem Schuldhaftslocal
saß, welches durch die landständischen Verhandlungen eine gewisse Berühmtheit
erlangt hatte. Es war wohl eine neckische Laune des Zufalls. Denn der Amt¬
mann war zu aufgeregt, als daß ich ihm in diesem Augenblick eine Absicht in
der Wahl des Locals zugetraut hätte.

So saß ich eine halbe Stunde in dem Gefängniß, welches für Vagabunden
zu gut war. Dann sollte es fortgehn, — „zum Kriegsgericht", das gar nicht
existirte. Man gewährte mir als Gnade, daß ich mir auf eigene Kosten einen,
geschlossenen Wagen nehmen durfte. Auch gab man mir, außer dem Gens-
darmen, der die Rolle des Schutzengels übernahm, noch einen Reise- und Schick¬
salsgefährten, einen alten kranken Flickschuster aus dem Dorfe Kenel bei, der
in gleicher Art, und zwar als „Spion" oder „Preußenfrcund" verhaftet worden
war. Nur genoß er vor mir den Vorzug, daß man ihn wenigstens mit dem
Gegenstand der gegen ihn erhobenen Anklage bekannt gemacht hatte. Er war
nämlich beschuldigt, in der Absicht, „das preußische Lager" (sollte wohl heißen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/446>, abgerufen am 22.07.2024.