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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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klerikal-östreichischer Männer" abhielt, in welchen ein wegen Verbrechen be¬
strafter und abgesetzter vormaliger Huissier, der gern wieder etwas werden
wollte, unsaubere Spottgedichte auf liberale Abgeordnete vortrug. Der gestrenge
Herr Amtmann hatte sogar durch ein eigenhändiges Circular die ihm unter¬
gebenen Bürgermeister und Dorfschulzen angewiesen, in diesen lehrreichen Ver¬
sammlungen zu erscheinen und ihre Gemcindeangehörigen mitzubringen.

Außerdem habe ich Ursache zu vermuthen, daß mir Herr Gull besonders
aus folgendem Grunde nicht sehr gewogen war: Der Amtmann in Schwal¬
bach hat eine Amtswohnung nebst Garten. Dem Herrn Gull war beides ver¬
anschlagt zu 75 Gulden für das Jahr. Die Landstände fanden diesen Anschlag
zu niedrig und verlangten, daß er nach Maßgabe des ortsüblichen Wohnungs¬
preises erhöhet werde. Denn bei dem bestehenden Mißbräuche stand sich die
Staatskasse sehr schlecht. Die Reparatur der öffentlichen Gebäude kostete noch
einmal so viel als die Bruttorentc, die sie abwarfen, und das Diensteinkommen
gefügiger Amtleute, die ihren Vorsitz bei Gericht im Sinne der vorgesetzten
Verwaltungsstelle handhabten, wurde durch diese Manipulation (eine Corrup-
tionsmaschinc mehr!) über die gesetzlichen Grenzen hinaus erhöht. Die Regie¬
rung widersetzte sich der Erhöhung. Um ihrem Widerstand zu begegnen, wurde
angeführt, der Amtmann Gull vermiethc während der Saison seine Wohnung
an Kurgäste und erziele dadurch eine sehr hohe Jahresrente. Ja sogar das
zu dem Amts- und Dienstlocal gehörige Gefängniß sei in Mitleidenschaft ge¬
zogen worden, und zwar in folgender Weise:

Für eine Herrschaft, an welche der Amtmann während der Badesaison
das Amthaus zum Theil vermiethet hatte, fehlte es an einem Dvmestikcnzimmer.
Man wußte Rath. Der Amtsdiener Grvos stellte seine Dienstwohnung für die
Dienerschaft der Kurfremdcn zur Verfügung, und der Amtmann Gull gab ihm
die Erlaubniß, dafür in das zum Vollzug der Schuldhaft dienende Local ein¬
zuziehen. Später entstand noch Streit zwischen dem Amtsdiener und der Frau
Amtmann, indem ersterer behauptete, letztere habe ihm eine Woche zu wenig
vergütet.

Durch den Einzug des Amtsdicncrs in das Wechsclgefängniß war die
Schuldhaft faciisch abgeschafft und somit für das Amt Schwalbach eine Aufgabe
der Humanität erfüllt, welche der Kaiser Napoleon der Dritte, gegenüber der
Renitenz des gesetzgebenden Körpers, vergeblich zu lösen versucht hat. Ein
Müller von Schlangenbad z. B-, gegen den die Schuldhaft erkannt war, konnte
nicht eingethürmt werden, bevor jene Herrschaft das Bad Schwalbach und der
Amtsdiener das Haftlocal verlassen hatte. In den Kuranlagcn wurden zwei
vagabundirende Bettler aufgegriffen, die dem Kurpublilum sehr lästig sielen. Sie
wurden abgeführt. Allein ihre Verhaftung dauerte nicht lange. Sie erschienen
lachend wieder und erzählten, man habe sie nicht im Gefängnisse leiden wollen,


klerikal-östreichischer Männer" abhielt, in welchen ein wegen Verbrechen be¬
strafter und abgesetzter vormaliger Huissier, der gern wieder etwas werden
wollte, unsaubere Spottgedichte auf liberale Abgeordnete vortrug. Der gestrenge
Herr Amtmann hatte sogar durch ein eigenhändiges Circular die ihm unter¬
gebenen Bürgermeister und Dorfschulzen angewiesen, in diesen lehrreichen Ver¬
sammlungen zu erscheinen und ihre Gemcindeangehörigen mitzubringen.

Außerdem habe ich Ursache zu vermuthen, daß mir Herr Gull besonders
aus folgendem Grunde nicht sehr gewogen war: Der Amtmann in Schwal¬
bach hat eine Amtswohnung nebst Garten. Dem Herrn Gull war beides ver¬
anschlagt zu 75 Gulden für das Jahr. Die Landstände fanden diesen Anschlag
zu niedrig und verlangten, daß er nach Maßgabe des ortsüblichen Wohnungs¬
preises erhöhet werde. Denn bei dem bestehenden Mißbräuche stand sich die
Staatskasse sehr schlecht. Die Reparatur der öffentlichen Gebäude kostete noch
einmal so viel als die Bruttorentc, die sie abwarfen, und das Diensteinkommen
gefügiger Amtleute, die ihren Vorsitz bei Gericht im Sinne der vorgesetzten
Verwaltungsstelle handhabten, wurde durch diese Manipulation (eine Corrup-
tionsmaschinc mehr!) über die gesetzlichen Grenzen hinaus erhöht. Die Regie¬
rung widersetzte sich der Erhöhung. Um ihrem Widerstand zu begegnen, wurde
angeführt, der Amtmann Gull vermiethc während der Saison seine Wohnung
an Kurgäste und erziele dadurch eine sehr hohe Jahresrente. Ja sogar das
zu dem Amts- und Dienstlocal gehörige Gefängniß sei in Mitleidenschaft ge¬
zogen worden, und zwar in folgender Weise:

Für eine Herrschaft, an welche der Amtmann während der Badesaison
das Amthaus zum Theil vermiethet hatte, fehlte es an einem Dvmestikcnzimmer.
Man wußte Rath. Der Amtsdiener Grvos stellte seine Dienstwohnung für die
Dienerschaft der Kurfremdcn zur Verfügung, und der Amtmann Gull gab ihm
die Erlaubniß, dafür in das zum Vollzug der Schuldhaft dienende Local ein¬
zuziehen. Später entstand noch Streit zwischen dem Amtsdiener und der Frau
Amtmann, indem ersterer behauptete, letztere habe ihm eine Woche zu wenig
vergütet.

Durch den Einzug des Amtsdicncrs in das Wechsclgefängniß war die
Schuldhaft faciisch abgeschafft und somit für das Amt Schwalbach eine Aufgabe
der Humanität erfüllt, welche der Kaiser Napoleon der Dritte, gegenüber der
Renitenz des gesetzgebenden Körpers, vergeblich zu lösen versucht hat. Ein
Müller von Schlangenbad z. B-, gegen den die Schuldhaft erkannt war, konnte
nicht eingethürmt werden, bevor jene Herrschaft das Bad Schwalbach und der
Amtsdiener das Haftlocal verlassen hatte. In den Kuranlagcn wurden zwei
vagabundirende Bettler aufgegriffen, die dem Kurpublilum sehr lästig sielen. Sie
wurden abgeführt. Allein ihre Verhaftung dauerte nicht lange. Sie erschienen
lachend wieder und erzählten, man habe sie nicht im Gefängnisse leiden wollen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/445>, abgerufen am 03.07.2024.