Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Preuße" und Frankreich.

Die drohende Wetterwolke eines Conflictes mit Frankreich hat sich ebenso
rasch verzogen, als sie aufgestiegen war, die officiösen Zeitungen versichern uns,
daß die Beziehungen beider Staaten nie aufgehört haben, befriedigender Natur
zu sein; indeß wenn auch der Kaiser seine Weisheit aufs neue darin gezeigt
hat, daß er nicht um eines geringen und unsichern Gewinnes willen einen
großen und möglicherweise ihm verhängnißvollen Kampf hat aufnehmen wollen,
so herrscht doch unleugbar in officiellen wie nichtofsiciellen Kreisen eine große
Gereiztheit über die unerwarteten ungeheuren Erfolge Preußens, und es fragt
sich, ob Napoleon, zumal bei dem Zusammenbrechen des mexikanischen Kaiser-
thums, auf die Länge dem Chauvinismus widerstehen kann, welcher in jeder
Vergrößerung oder Consolidirung eines Nachbarn einen triftigen Grund für
eigene Machterweiterung sieht. Es wird deshalb nicht ohne Interesse sein, einen
Blick auf das Verhältniß beider Staaten zu werfen, wie es sich in den letzten
Jahren gestaltet hat.

Napoleon widerstand der Aufforderung Englands, in der Schleswig-holsteini-
schen Frage gegen Deutschland zu interveniren, theils aus Rancune über die
unhöfliche Ablehnung des vorgeschlagenen Kongresses, theils weil sein klarer
Blick sehr wohl erkannte, daß ein deshalb begonnener Krieg sofort in Deutsch¬
land einen nationalen Charakter annehmen müsse. Drouin de Lhuys wies daher
die Aufforderung Lord Cowleys zu einer bewaffneten Intervention entschieden
ab, weil es sich dabei für Frankreich nicht wie für England um eine bloße
Blokade deutscher Küsten handeln würde, sondern um einen großen Krieg zu
Land, welcher für Frankreich höchst verderblich werden könne. Die Absicht des
Kaisers war, wie dies auf der londoner Conferenz offen hervortrat, eine Thei¬
lung Schleswigs nach der Nationalität und die Constituirung des südlichen
Theiles mit Holstein als eines selbständigen Staates unter der augustenburgi-
schen Dynastie. Die Hartnäckigkeit der Dänen vereitelte einen solchen Compromiß
und der wiener Friede nahm ihnen ganz Schleswig. Die französische Diplomatie
Verhehlte ihre Mißbilligung dieser Verletzung des Nationalitätsprincips nicht
aber enthielt sich jedes officiellen Einschreitens, weil sie glaubte, bei der Aus¬
einandersetzung der beiden Mitbesitzer der Herzogthümer genügende Gelegenheit
zu finden, ihre Forderungen geltend zu machen, sie schwieg auch, als in Berlin
die Absicht, die Herzogthümer Preußen einzuverleiben, immer offener hervortrat
und ward erst besorgt, als sich die Möglichkeit zeigte, daß Oestreich, um Preußen
für ein Bündniß gegen die Revolution zu gewinnen, auf seinen Mitbesitz ver¬


öl*
Preuße» und Frankreich.

Die drohende Wetterwolke eines Conflictes mit Frankreich hat sich ebenso
rasch verzogen, als sie aufgestiegen war, die officiösen Zeitungen versichern uns,
daß die Beziehungen beider Staaten nie aufgehört haben, befriedigender Natur
zu sein; indeß wenn auch der Kaiser seine Weisheit aufs neue darin gezeigt
hat, daß er nicht um eines geringen und unsichern Gewinnes willen einen
großen und möglicherweise ihm verhängnißvollen Kampf hat aufnehmen wollen,
so herrscht doch unleugbar in officiellen wie nichtofsiciellen Kreisen eine große
Gereiztheit über die unerwarteten ungeheuren Erfolge Preußens, und es fragt
sich, ob Napoleon, zumal bei dem Zusammenbrechen des mexikanischen Kaiser-
thums, auf die Länge dem Chauvinismus widerstehen kann, welcher in jeder
Vergrößerung oder Consolidirung eines Nachbarn einen triftigen Grund für
eigene Machterweiterung sieht. Es wird deshalb nicht ohne Interesse sein, einen
Blick auf das Verhältniß beider Staaten zu werfen, wie es sich in den letzten
Jahren gestaltet hat.

Napoleon widerstand der Aufforderung Englands, in der Schleswig-holsteini-
schen Frage gegen Deutschland zu interveniren, theils aus Rancune über die
unhöfliche Ablehnung des vorgeschlagenen Kongresses, theils weil sein klarer
Blick sehr wohl erkannte, daß ein deshalb begonnener Krieg sofort in Deutsch¬
land einen nationalen Charakter annehmen müsse. Drouin de Lhuys wies daher
die Aufforderung Lord Cowleys zu einer bewaffneten Intervention entschieden
ab, weil es sich dabei für Frankreich nicht wie für England um eine bloße
Blokade deutscher Küsten handeln würde, sondern um einen großen Krieg zu
Land, welcher für Frankreich höchst verderblich werden könne. Die Absicht des
Kaisers war, wie dies auf der londoner Conferenz offen hervortrat, eine Thei¬
lung Schleswigs nach der Nationalität und die Constituirung des südlichen
Theiles mit Holstein als eines selbständigen Staates unter der augustenburgi-
schen Dynastie. Die Hartnäckigkeit der Dänen vereitelte einen solchen Compromiß
und der wiener Friede nahm ihnen ganz Schleswig. Die französische Diplomatie
Verhehlte ihre Mißbilligung dieser Verletzung des Nationalitätsprincips nicht
aber enthielt sich jedes officiellen Einschreitens, weil sie glaubte, bei der Aus¬
einandersetzung der beiden Mitbesitzer der Herzogthümer genügende Gelegenheit
zu finden, ihre Forderungen geltend zu machen, sie schwieg auch, als in Berlin
die Absicht, die Herzogthümer Preußen einzuverleiben, immer offener hervortrat
und ward erst besorgt, als sich die Möglichkeit zeigte, daß Oestreich, um Preußen
für ein Bündniß gegen die Revolution zu gewinnen, auf seinen Mitbesitz ver¬


öl*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286021"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Preuße» und Frankreich.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1519"> Die drohende Wetterwolke eines Conflictes mit Frankreich hat sich ebenso<lb/>
rasch verzogen, als sie aufgestiegen war, die officiösen Zeitungen versichern uns,<lb/>
daß die Beziehungen beider Staaten nie aufgehört haben, befriedigender Natur<lb/>
zu sein; indeß wenn auch der Kaiser seine Weisheit aufs neue darin gezeigt<lb/>
hat, daß er nicht um eines geringen und unsichern Gewinnes willen einen<lb/>
großen und möglicherweise ihm verhängnißvollen Kampf hat aufnehmen wollen,<lb/>
so herrscht doch unleugbar in officiellen wie nichtofsiciellen Kreisen eine große<lb/>
Gereiztheit über die unerwarteten ungeheuren Erfolge Preußens, und es fragt<lb/>
sich, ob Napoleon, zumal bei dem Zusammenbrechen des mexikanischen Kaiser-<lb/>
thums, auf die Länge dem Chauvinismus widerstehen kann, welcher in jeder<lb/>
Vergrößerung oder Consolidirung eines Nachbarn einen triftigen Grund für<lb/>
eigene Machterweiterung sieht. Es wird deshalb nicht ohne Interesse sein, einen<lb/>
Blick auf das Verhältniß beider Staaten zu werfen, wie es sich in den letzten<lb/>
Jahren gestaltet hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1520" next="#ID_1521"> Napoleon widerstand der Aufforderung Englands, in der Schleswig-holsteini-<lb/>
schen Frage gegen Deutschland zu interveniren, theils aus Rancune über die<lb/>
unhöfliche Ablehnung des vorgeschlagenen Kongresses, theils weil sein klarer<lb/>
Blick sehr wohl erkannte, daß ein deshalb begonnener Krieg sofort in Deutsch¬<lb/>
land einen nationalen Charakter annehmen müsse. Drouin de Lhuys wies daher<lb/>
die Aufforderung Lord Cowleys zu einer bewaffneten Intervention entschieden<lb/>
ab, weil es sich dabei für Frankreich nicht wie für England um eine bloße<lb/>
Blokade deutscher Küsten handeln würde, sondern um einen großen Krieg zu<lb/>
Land, welcher für Frankreich höchst verderblich werden könne. Die Absicht des<lb/>
Kaisers war, wie dies auf der londoner Conferenz offen hervortrat, eine Thei¬<lb/>
lung Schleswigs nach der Nationalität und die Constituirung des südlichen<lb/>
Theiles mit Holstein als eines selbständigen Staates unter der augustenburgi-<lb/>
schen Dynastie. Die Hartnäckigkeit der Dänen vereitelte einen solchen Compromiß<lb/>
und der wiener Friede nahm ihnen ganz Schleswig. Die französische Diplomatie<lb/>
Verhehlte ihre Mißbilligung dieser Verletzung des Nationalitätsprincips nicht<lb/>
aber enthielt sich jedes officiellen Einschreitens, weil sie glaubte, bei der Aus¬<lb/>
einandersetzung der beiden Mitbesitzer der Herzogthümer genügende Gelegenheit<lb/>
zu finden, ihre Forderungen geltend zu machen, sie schwieg auch, als in Berlin<lb/>
die Absicht, die Herzogthümer Preußen einzuverleiben, immer offener hervortrat<lb/>
und ward erst besorgt, als sich die Möglichkeit zeigte, daß Oestreich, um Preußen<lb/>
für ein Bündniß gegen die Revolution zu gewinnen, auf seinen Mitbesitz ver¬</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"> öl*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0433] Preuße» und Frankreich. Die drohende Wetterwolke eines Conflictes mit Frankreich hat sich ebenso rasch verzogen, als sie aufgestiegen war, die officiösen Zeitungen versichern uns, daß die Beziehungen beider Staaten nie aufgehört haben, befriedigender Natur zu sein; indeß wenn auch der Kaiser seine Weisheit aufs neue darin gezeigt hat, daß er nicht um eines geringen und unsichern Gewinnes willen einen großen und möglicherweise ihm verhängnißvollen Kampf hat aufnehmen wollen, so herrscht doch unleugbar in officiellen wie nichtofsiciellen Kreisen eine große Gereiztheit über die unerwarteten ungeheuren Erfolge Preußens, und es fragt sich, ob Napoleon, zumal bei dem Zusammenbrechen des mexikanischen Kaiser- thums, auf die Länge dem Chauvinismus widerstehen kann, welcher in jeder Vergrößerung oder Consolidirung eines Nachbarn einen triftigen Grund für eigene Machterweiterung sieht. Es wird deshalb nicht ohne Interesse sein, einen Blick auf das Verhältniß beider Staaten zu werfen, wie es sich in den letzten Jahren gestaltet hat. Napoleon widerstand der Aufforderung Englands, in der Schleswig-holsteini- schen Frage gegen Deutschland zu interveniren, theils aus Rancune über die unhöfliche Ablehnung des vorgeschlagenen Kongresses, theils weil sein klarer Blick sehr wohl erkannte, daß ein deshalb begonnener Krieg sofort in Deutsch¬ land einen nationalen Charakter annehmen müsse. Drouin de Lhuys wies daher die Aufforderung Lord Cowleys zu einer bewaffneten Intervention entschieden ab, weil es sich dabei für Frankreich nicht wie für England um eine bloße Blokade deutscher Küsten handeln würde, sondern um einen großen Krieg zu Land, welcher für Frankreich höchst verderblich werden könne. Die Absicht des Kaisers war, wie dies auf der londoner Conferenz offen hervortrat, eine Thei¬ lung Schleswigs nach der Nationalität und die Constituirung des südlichen Theiles mit Holstein als eines selbständigen Staates unter der augustenburgi- schen Dynastie. Die Hartnäckigkeit der Dänen vereitelte einen solchen Compromiß und der wiener Friede nahm ihnen ganz Schleswig. Die französische Diplomatie Verhehlte ihre Mißbilligung dieser Verletzung des Nationalitätsprincips nicht aber enthielt sich jedes officiellen Einschreitens, weil sie glaubte, bei der Aus¬ einandersetzung der beiden Mitbesitzer der Herzogthümer genügende Gelegenheit zu finden, ihre Forderungen geltend zu machen, sie schwieg auch, als in Berlin die Absicht, die Herzogthümer Preußen einzuverleiben, immer offener hervortrat und ward erst besorgt, als sich die Möglichkeit zeigte, daß Oestreich, um Preußen für ein Bündniß gegen die Revolution zu gewinnen, auf seinen Mitbesitz ver¬ öl*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/433
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/433>, abgerufen am 03.07.2024.