Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

tragung der Succession an die ältere Linie des wettiner Hauses als eventuelles
Auskunftsmittel in Betracht gezogen werde.

Es sei erlaubt, mit den gebotenen Reserven bei diesem heiklen Punkt zu
verweilen, wenn auch nur um unsere Leser darüber zu orientiren. Wenn die
Substitution der ältern Linie in Sachsen durch Preußen betrieben werden sollte,
so würden drei Schwierigkeiten zu überwinden sein. Zunächst würde es wahr¬
scheinlich jedem der in Fra^e stehenden Herren bedenklich und illoyal erscheinen,
eine solche Uebertragung gegen Protest einer depossedirten Linie des eigenen
Hauses anzunehmen, und Preußen vor allem würde die Aufgabe haben, dies
Hinderniß zu beseitigen.

Ferner würde fraglich sein, ob man bei dieser Substitution auf das Erb¬
recht und die nach dem sächsischen Hausgcsetz geltende Erbfolge Rücksicht nehmen
wollte. Eine solche Rücksichtnahme würde allerdings vielleicht den Familien¬
widerstand verringern. Aber über die Erbfolge in dem Fürstengeschlecht der
Wettiner bestehen zwei verschiedene Ansichten. Die eine, welche, wenn wir nicht
irren, in Preußen und Weimar Geltung gewonnen hat, nimmt an, daß der
Großherzog von Weimar der nächstberechtigte Agnat des königlichen Hauses
Sachsen sei; die andere, welche, wie es in den letzten Jahren schien, durch
König Johann selbst anerkannt wurde, und welche als die richtige erscheint,
vindicirt gegenwärtig das eventuelle Erbfolgerecht dem hohen Hause von Mei¬
ningen. In dem sächsischen Hausgesctz gilt nämlich, so weit uns bekannt, die
sogenannte Lineal-Gradual-Folge des Lehnrechts. Nach diesem System wird
auf den nächsten gemeinsamen Stammvater vorhandener Linien zurückgegangen,
innerhalb der nächstbcrechtigte Linie aber wird nicht auf die später abgezweig¬
ten älteren und jüngeren Häuser Rücksicht genommen, sondern auf die Nähe
des Gradverhältnisses, in welchem die derzeit lebenden Stammgenossen zu dem
gemeinsamen Stammvater, also auch zu dem Erblasser, stehen/) Nach diesem
System ist in der erncstinischcn Linie nicht das später abgezweigte ältere Haus
Weimar, sondern, da innerhalb der Parentel nur die Nähe des Grades ent¬
scheidet, das Haus Meiningen erbberechtigt. Denn von den jetzt regierenden



") Der gemeinsame Stammvater der crnestinischen und albertinischen Linie ist Friedrich
der sanftmüthige (>- 1164), in der Linie seines Sohnes Ernst ist Herzog Johann (f 1K05)
gemeinsamer Stammvater der ältern Linie Weimar und der jüngern Ernestiner: Meiningen,
Altenburg-Hildburghausen und Coburg-Saalfeld, -- Die größere Gradnähe der Herzöge von
Meiningen stammt von Anton Ulrich (f 17K3) her, welcher zuerst mit der bürgerlichen Tochter
des Hauptmanns Cäsar vermählt war, bei dem Kaiser für seine Gemahlin und Kinder Reichs-
fürsicnstand und Successionsrccht durchsetzte, erleben mußte, daß ein späterer Kaiser diese Er-
nennung cassirte, und noch im Greisenalter eine ebenbürtige Ehe schloß, von welcher er e>b-
fähige Nachkommen erhielt, deren Geburt er seine" feindlichen Agnaten auf den größten Folio¬
bogen anzuzeigen Pflegte.

tragung der Succession an die ältere Linie des wettiner Hauses als eventuelles
Auskunftsmittel in Betracht gezogen werde.

Es sei erlaubt, mit den gebotenen Reserven bei diesem heiklen Punkt zu
verweilen, wenn auch nur um unsere Leser darüber zu orientiren. Wenn die
Substitution der ältern Linie in Sachsen durch Preußen betrieben werden sollte,
so würden drei Schwierigkeiten zu überwinden sein. Zunächst würde es wahr¬
scheinlich jedem der in Fra^e stehenden Herren bedenklich und illoyal erscheinen,
eine solche Uebertragung gegen Protest einer depossedirten Linie des eigenen
Hauses anzunehmen, und Preußen vor allem würde die Aufgabe haben, dies
Hinderniß zu beseitigen.

Ferner würde fraglich sein, ob man bei dieser Substitution auf das Erb¬
recht und die nach dem sächsischen Hausgcsetz geltende Erbfolge Rücksicht nehmen
wollte. Eine solche Rücksichtnahme würde allerdings vielleicht den Familien¬
widerstand verringern. Aber über die Erbfolge in dem Fürstengeschlecht der
Wettiner bestehen zwei verschiedene Ansichten. Die eine, welche, wenn wir nicht
irren, in Preußen und Weimar Geltung gewonnen hat, nimmt an, daß der
Großherzog von Weimar der nächstberechtigte Agnat des königlichen Hauses
Sachsen sei; die andere, welche, wie es in den letzten Jahren schien, durch
König Johann selbst anerkannt wurde, und welche als die richtige erscheint,
vindicirt gegenwärtig das eventuelle Erbfolgerecht dem hohen Hause von Mei¬
ningen. In dem sächsischen Hausgesctz gilt nämlich, so weit uns bekannt, die
sogenannte Lineal-Gradual-Folge des Lehnrechts. Nach diesem System wird
auf den nächsten gemeinsamen Stammvater vorhandener Linien zurückgegangen,
innerhalb der nächstbcrechtigte Linie aber wird nicht auf die später abgezweig¬
ten älteren und jüngeren Häuser Rücksicht genommen, sondern auf die Nähe
des Gradverhältnisses, in welchem die derzeit lebenden Stammgenossen zu dem
gemeinsamen Stammvater, also auch zu dem Erblasser, stehen/) Nach diesem
System ist in der erncstinischcn Linie nicht das später abgezweigte ältere Haus
Weimar, sondern, da innerhalb der Parentel nur die Nähe des Grades ent¬
scheidet, das Haus Meiningen erbberechtigt. Denn von den jetzt regierenden



") Der gemeinsame Stammvater der crnestinischen und albertinischen Linie ist Friedrich
der sanftmüthige (>- 1164), in der Linie seines Sohnes Ernst ist Herzog Johann (f 1K05)
gemeinsamer Stammvater der ältern Linie Weimar und der jüngern Ernestiner: Meiningen,
Altenburg-Hildburghausen und Coburg-Saalfeld, — Die größere Gradnähe der Herzöge von
Meiningen stammt von Anton Ulrich (f 17K3) her, welcher zuerst mit der bürgerlichen Tochter
des Hauptmanns Cäsar vermählt war, bei dem Kaiser für seine Gemahlin und Kinder Reichs-
fürsicnstand und Successionsrccht durchsetzte, erleben mußte, daß ein späterer Kaiser diese Er-
nennung cassirte, und noch im Greisenalter eine ebenbürtige Ehe schloß, von welcher er e>b-
fähige Nachkommen erhielt, deren Geburt er seine» feindlichen Agnaten auf den größten Folio¬
bogen anzuzeigen Pflegte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0425" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286013"/>
          <p xml:id="ID_1502" prev="#ID_1501"> tragung der Succession an die ältere Linie des wettiner Hauses als eventuelles<lb/>
Auskunftsmittel in Betracht gezogen werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1503"> Es sei erlaubt, mit den gebotenen Reserven bei diesem heiklen Punkt zu<lb/>
verweilen, wenn auch nur um unsere Leser darüber zu orientiren. Wenn die<lb/>
Substitution der ältern Linie in Sachsen durch Preußen betrieben werden sollte,<lb/>
so würden drei Schwierigkeiten zu überwinden sein. Zunächst würde es wahr¬<lb/>
scheinlich jedem der in Fra^e stehenden Herren bedenklich und illoyal erscheinen,<lb/>
eine solche Uebertragung gegen Protest einer depossedirten Linie des eigenen<lb/>
Hauses anzunehmen, und Preußen vor allem würde die Aufgabe haben, dies<lb/>
Hinderniß zu beseitigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1504" next="#ID_1505"> Ferner würde fraglich sein, ob man bei dieser Substitution auf das Erb¬<lb/>
recht und die nach dem sächsischen Hausgcsetz geltende Erbfolge Rücksicht nehmen<lb/>
wollte. Eine solche Rücksichtnahme würde allerdings vielleicht den Familien¬<lb/>
widerstand verringern. Aber über die Erbfolge in dem Fürstengeschlecht der<lb/>
Wettiner bestehen zwei verschiedene Ansichten. Die eine, welche, wenn wir nicht<lb/>
irren, in Preußen und Weimar Geltung gewonnen hat, nimmt an, daß der<lb/>
Großherzog von Weimar der nächstberechtigte Agnat des königlichen Hauses<lb/>
Sachsen sei; die andere, welche, wie es in den letzten Jahren schien, durch<lb/>
König Johann selbst anerkannt wurde, und welche als die richtige erscheint,<lb/>
vindicirt gegenwärtig das eventuelle Erbfolgerecht dem hohen Hause von Mei¬<lb/>
ningen. In dem sächsischen Hausgesctz gilt nämlich, so weit uns bekannt, die<lb/>
sogenannte Lineal-Gradual-Folge des Lehnrechts. Nach diesem System wird<lb/>
auf den nächsten gemeinsamen Stammvater vorhandener Linien zurückgegangen,<lb/>
innerhalb der nächstbcrechtigte Linie aber wird nicht auf die später abgezweig¬<lb/>
ten älteren und jüngeren Häuser Rücksicht genommen, sondern auf die Nähe<lb/>
des Gradverhältnisses, in welchem die derzeit lebenden Stammgenossen zu dem<lb/>
gemeinsamen Stammvater, also auch zu dem Erblasser, stehen/) Nach diesem<lb/>
System ist in der erncstinischcn Linie nicht das später abgezweigte ältere Haus<lb/>
Weimar, sondern, da innerhalb der Parentel nur die Nähe des Grades ent¬<lb/>
scheidet, das Haus Meiningen erbberechtigt. Denn von den jetzt regierenden</p><lb/>
          <note xml:id="FID_14" place="foot"> ") Der gemeinsame Stammvater der crnestinischen und albertinischen Linie ist Friedrich<lb/>
der sanftmüthige (&gt;- 1164), in der Linie seines Sohnes Ernst ist Herzog Johann (f 1K05)<lb/>
gemeinsamer Stammvater der ältern Linie Weimar und der jüngern Ernestiner: Meiningen,<lb/>
Altenburg-Hildburghausen und Coburg-Saalfeld, &#x2014; Die größere Gradnähe der Herzöge von<lb/>
Meiningen stammt von Anton Ulrich (f 17K3) her, welcher zuerst mit der bürgerlichen Tochter<lb/>
des Hauptmanns Cäsar vermählt war, bei dem Kaiser für seine Gemahlin und Kinder Reichs-<lb/>
fürsicnstand und Successionsrccht durchsetzte, erleben mußte, daß ein späterer Kaiser diese Er-<lb/>
nennung cassirte, und noch im Greisenalter eine ebenbürtige Ehe schloß, von welcher er e&gt;b-<lb/>
fähige Nachkommen erhielt, deren Geburt er seine» feindlichen Agnaten auf den größten Folio¬<lb/>
bogen anzuzeigen Pflegte.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0425] tragung der Succession an die ältere Linie des wettiner Hauses als eventuelles Auskunftsmittel in Betracht gezogen werde. Es sei erlaubt, mit den gebotenen Reserven bei diesem heiklen Punkt zu verweilen, wenn auch nur um unsere Leser darüber zu orientiren. Wenn die Substitution der ältern Linie in Sachsen durch Preußen betrieben werden sollte, so würden drei Schwierigkeiten zu überwinden sein. Zunächst würde es wahr¬ scheinlich jedem der in Fra^e stehenden Herren bedenklich und illoyal erscheinen, eine solche Uebertragung gegen Protest einer depossedirten Linie des eigenen Hauses anzunehmen, und Preußen vor allem würde die Aufgabe haben, dies Hinderniß zu beseitigen. Ferner würde fraglich sein, ob man bei dieser Substitution auf das Erb¬ recht und die nach dem sächsischen Hausgcsetz geltende Erbfolge Rücksicht nehmen wollte. Eine solche Rücksichtnahme würde allerdings vielleicht den Familien¬ widerstand verringern. Aber über die Erbfolge in dem Fürstengeschlecht der Wettiner bestehen zwei verschiedene Ansichten. Die eine, welche, wenn wir nicht irren, in Preußen und Weimar Geltung gewonnen hat, nimmt an, daß der Großherzog von Weimar der nächstberechtigte Agnat des königlichen Hauses Sachsen sei; die andere, welche, wie es in den letzten Jahren schien, durch König Johann selbst anerkannt wurde, und welche als die richtige erscheint, vindicirt gegenwärtig das eventuelle Erbfolgerecht dem hohen Hause von Mei¬ ningen. In dem sächsischen Hausgesctz gilt nämlich, so weit uns bekannt, die sogenannte Lineal-Gradual-Folge des Lehnrechts. Nach diesem System wird auf den nächsten gemeinsamen Stammvater vorhandener Linien zurückgegangen, innerhalb der nächstbcrechtigte Linie aber wird nicht auf die später abgezweig¬ ten älteren und jüngeren Häuser Rücksicht genommen, sondern auf die Nähe des Gradverhältnisses, in welchem die derzeit lebenden Stammgenossen zu dem gemeinsamen Stammvater, also auch zu dem Erblasser, stehen/) Nach diesem System ist in der erncstinischcn Linie nicht das später abgezweigte ältere Haus Weimar, sondern, da innerhalb der Parentel nur die Nähe des Grades ent¬ scheidet, das Haus Meiningen erbberechtigt. Denn von den jetzt regierenden ") Der gemeinsame Stammvater der crnestinischen und albertinischen Linie ist Friedrich der sanftmüthige (>- 1164), in der Linie seines Sohnes Ernst ist Herzog Johann (f 1K05) gemeinsamer Stammvater der ältern Linie Weimar und der jüngern Ernestiner: Meiningen, Altenburg-Hildburghausen und Coburg-Saalfeld, — Die größere Gradnähe der Herzöge von Meiningen stammt von Anton Ulrich (f 17K3) her, welcher zuerst mit der bürgerlichen Tochter des Hauptmanns Cäsar vermählt war, bei dem Kaiser für seine Gemahlin und Kinder Reichs- fürsicnstand und Successionsrccht durchsetzte, erleben mußte, daß ein späterer Kaiser diese Er- nennung cassirte, und noch im Greisenalter eine ebenbürtige Ehe schloß, von welcher er e>b- fähige Nachkommen erhielt, deren Geburt er seine» feindlichen Agnaten auf den größten Folio¬ bogen anzuzeigen Pflegte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/425
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/425>, abgerufen am 22.07.2024.