Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.einige kleine Flüchtigkeiten; im ersten Capitel tritt Prinzeß Christe! als eine Wenn aber in diesen unwesentlichen Fällen das historische Costüm auch Und darin liegt ein besonderer Werth und Segen der Erzählungen von Grenzboten III. 1866. SO
einige kleine Flüchtigkeiten; im ersten Capitel tritt Prinzeß Christe! als eine Wenn aber in diesen unwesentlichen Fällen das historische Costüm auch Und darin liegt ein besonderer Werth und Segen der Erzählungen von Grenzboten III. 1866. SO
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286009"/> <p xml:id="ID_1488" prev="#ID_1487"> einige kleine Flüchtigkeiten; im ersten Capitel tritt Prinzeß Christe! als eine<lb/> furchtsame Dame auf, welche in ganz ähnlicher Weise wie ihr durchlauchtigster<lb/> Bruder verkommen ist. In einem der nächsten Capitel erfährt mau beiläufig ,<lb/> mit Erstaunen, daß sie viel starken Wein trinkt, in Stiefeln geht, den Cicero<lb/> liest und eine recht gescherdte Person ist; im weiteren Verlauf der Erzählung<lb/> kommt sie kaum noch vor. Vor einigen ähnlichen Unregelmäßigkeiten des Hofes<lb/> Von Neustrelitz erklären wir unser Urtheil bereitwillig für incompetent und unter¬<lb/> drücken den leisen Zweifel, ob sich Kammerdiener Rand jemals in Gegenwart<lb/> seiner hohen Herrschaften auf einem hochfürstlichen Sessel zur Berathung nieder¬<lb/> gelassen hat, ob die gelbe Kammerjungfer, während sie im Dienst stand, wirk¬<lb/> lich in einem andern Logis gewohnt haben kann, als ihre Prinzessin, und ob<lb/> es möglich war, daß im Audienzzimmer von Neubrandenburg die Braut- und<lb/> Ehepaare der Novelle unter Beistand der Durchlaucht von Schwerin so un¬<lb/> befangen aus und ein flogen und sich behabten wie Taubenpärchcn in ihrem<lb/> Schlage.</p><lb/> <p xml:id="ID_1489"> Wenn aber in diesen unwesentlichen Fällen das historische Costüm auch<lb/> mit zu freier Souveränetät behandelt sein sollte, in der Hauptsache ist es überall<lb/> vortrefflich festgehalten. Das kleine, kümmerliche und gedrückte Leben der armen<lb/> Bürger nach dem siebenjährigen Kriege und dabei die unverwüstliche Kraft und<lb/> Tüchtigkeit norddeutscher Natur sind so schön und wahr, in so poetischen Far¬<lb/> ben geschildert, daß das Ganze dem Leser das Herz warm und weit macht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1490" next="#ID_1491"> Und darin liegt ein besonderer Werth und Segen der Erzählungen von<lb/> Fritz Reuter. Man kann die Bedeutung derselben als Volkslccture. was sie im<lb/> besten Sinne des Wortes sind, nicht hoch genug anschlagen. Fast zum ersten<lb/> Male erblickt auch der kleine Mann in Norddeutschland sein bürgerliches Leben,<lb/> seine Zustände, sein Fühlen, seinen Charakter in dem Glänze einer ächt poe¬<lb/> tischen Darstellung. In dem Bilde wird er sich seines Werths bewußt, in den<lb/> vertrauten Lauten der niederdeutschen Sprache findet er, was in ihm selbst<lb/> schön und gut, wunderlich und beschränkt ist, von einem fröhlich lachenden<lb/> Freunde berichtet. Was in ihm als stille Empfindung lag, hat auf einmal<lb/> reichen Ausdruck gewonnen, sein Urtheil über sich selbst und die Menschen,<lb/> welche ihn umgeben, wird plötzlich freier und sicherer. Das ist der Werth aller<lb/> epischen Poesie, welche auf wirklichem Volksleben ruht, und die Griechen wußten<lb/> das wohl, wenn sie die Gedichte des Homer als ihr edelstes Bildungsmittel<lb/> hochhielten. In unserer Zeit wird ein großer Strom sehr mannigfaltiger Bil¬<lb/> dungselemente in das Volk geleitet, vom Prediger aus der Kanzel bis zu den<lb/> Populären Schriftstellern der Naturwissenschaft sind Tausende bemüht, dem Volk<lb/> Verständniß seines Lebens zu geben. Aber man darf zweifeln, ob, irgendeine<lb/> einzelne dieser vielfachen Thätigkeiten so humanisirend auf die Niederdeutschen</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig"> Grenzboten III. 1866. SO</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0421]
einige kleine Flüchtigkeiten; im ersten Capitel tritt Prinzeß Christe! als eine
furchtsame Dame auf, welche in ganz ähnlicher Weise wie ihr durchlauchtigster
Bruder verkommen ist. In einem der nächsten Capitel erfährt mau beiläufig ,
mit Erstaunen, daß sie viel starken Wein trinkt, in Stiefeln geht, den Cicero
liest und eine recht gescherdte Person ist; im weiteren Verlauf der Erzählung
kommt sie kaum noch vor. Vor einigen ähnlichen Unregelmäßigkeiten des Hofes
Von Neustrelitz erklären wir unser Urtheil bereitwillig für incompetent und unter¬
drücken den leisen Zweifel, ob sich Kammerdiener Rand jemals in Gegenwart
seiner hohen Herrschaften auf einem hochfürstlichen Sessel zur Berathung nieder¬
gelassen hat, ob die gelbe Kammerjungfer, während sie im Dienst stand, wirk¬
lich in einem andern Logis gewohnt haben kann, als ihre Prinzessin, und ob
es möglich war, daß im Audienzzimmer von Neubrandenburg die Braut- und
Ehepaare der Novelle unter Beistand der Durchlaucht von Schwerin so un¬
befangen aus und ein flogen und sich behabten wie Taubenpärchcn in ihrem
Schlage.
Wenn aber in diesen unwesentlichen Fällen das historische Costüm auch
mit zu freier Souveränetät behandelt sein sollte, in der Hauptsache ist es überall
vortrefflich festgehalten. Das kleine, kümmerliche und gedrückte Leben der armen
Bürger nach dem siebenjährigen Kriege und dabei die unverwüstliche Kraft und
Tüchtigkeit norddeutscher Natur sind so schön und wahr, in so poetischen Far¬
ben geschildert, daß das Ganze dem Leser das Herz warm und weit macht.
Und darin liegt ein besonderer Werth und Segen der Erzählungen von
Fritz Reuter. Man kann die Bedeutung derselben als Volkslccture. was sie im
besten Sinne des Wortes sind, nicht hoch genug anschlagen. Fast zum ersten
Male erblickt auch der kleine Mann in Norddeutschland sein bürgerliches Leben,
seine Zustände, sein Fühlen, seinen Charakter in dem Glänze einer ächt poe¬
tischen Darstellung. In dem Bilde wird er sich seines Werths bewußt, in den
vertrauten Lauten der niederdeutschen Sprache findet er, was in ihm selbst
schön und gut, wunderlich und beschränkt ist, von einem fröhlich lachenden
Freunde berichtet. Was in ihm als stille Empfindung lag, hat auf einmal
reichen Ausdruck gewonnen, sein Urtheil über sich selbst und die Menschen,
welche ihn umgeben, wird plötzlich freier und sicherer. Das ist der Werth aller
epischen Poesie, welche auf wirklichem Volksleben ruht, und die Griechen wußten
das wohl, wenn sie die Gedichte des Homer als ihr edelstes Bildungsmittel
hochhielten. In unserer Zeit wird ein großer Strom sehr mannigfaltiger Bil¬
dungselemente in das Volk geleitet, vom Prediger aus der Kanzel bis zu den
Populären Schriftstellern der Naturwissenschaft sind Tausende bemüht, dem Volk
Verständniß seines Lebens zu geben. Aber man darf zweifeln, ob, irgendeine
einzelne dieser vielfachen Thätigkeiten so humanisirend auf die Niederdeutschen
Grenzboten III. 1866. SO
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