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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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ihn breit; wo die Concetti el" Uebermaß vo" Spitzfindigkeit zeigten, gab er
ihnen eine flüssigere Wendung. Zumal den Schluß eines Gedichts, der bei
Michelangelo häusig in einem gewaltsam zusammengeballten Concetto besteht,
läßt er gern in eine trivialere Phrase ausklingen. Viele endlich behielt er ganz
zurück; und so zeigt denn der echte Michelangelo ein ganz anderes Gesicht als
in der Maske, die ihm der Großneffe vorgebunden.

Ein ernstes, strenges Gesicht, das mit Absicht das Gefällige aus seinem
Umkreis zu verbannen scheint. Es ist ein gewaltsames Ringen um die Form,
auch wo der Inhalt der zarteste und weichste. Es ist, als ob sein Geist nur
im Großen, Gigautischen sich befriedigen könnte; darum seltsame Bilder, skizzen¬
haft hingeworfen, kraftvoll hingeschleudert, in seltenen Fällen zu harmonischer
Ausführung gediehen. Ein Gedanke taucht empor, aber kaum ist er angedeu¬
tet, drängt sich ein anderer hinzu, der Faden verwirrt sich, mit Mühe findet
man die Zwischenglieder, um die Gedankenfolge zu enträthseln, der Inhalt
droht übermächtig die Form zu zersprengen und wird doch unerbittlich zusam¬
mengedrängt in den knappen Leib des Sonetts. Oder es ringt sich ein stür¬
mischer Ausbruch des Gefühls los, aber unfähig, ihn klar zu gestalten, greift
der Dichter zu einer schrillen Antithese, zu einem spitzfindigen Concetto; der
Verstand zwingt den kühnsten poetischen Gedanken in die Form des Räthsels
und macht ihn zu einem Spiel des Witzes und des Scharfsinns. Darf man
die poetische Sprache Michelangelos mit der eines prosaischen Schriftstellers
vergleichen, so ist man versucht, an den Stil des Heidcnapostels Paulus zu
denken: hier wie dort eine Ueberfülle der Gedanken, die sich der Rede nicht
fügen will, ein Abspringen vom Einen aufs Andere, ein Haschen nach Anti¬
thesen, ein gewaltiges Durchbrechen des Gefühls im Wechsel mit sterilen, spitz¬
findigen Argumentationen.

Michelangelo Pflegte von Kunstwerken zu sagen, nur diejenigen seien gut,
weiche die Mühe der Arbeit vergessen lassen und mit solcher Vollendung aus¬
geführt seien, daß sie Werke der Natur und nicht der Kunst zu sein scheinen.
Von seinen Gedichten erreicht diese Vollendung nur ein kleiner Theil. Den mei¬
sten ist die Mühe des Schaffens sichtbar ausgedrückt, und vielleicht besteht eben
darin ein wesentlicher Reiz derselben. Man sieht gradezu in die Werkstätte des
Künstlers, wie er sich an einem Material abarbeitet, das sich seinen Händen
nicht fügen will, wie er mühsam die grandiosen Gedanken, die ihm aufsteigen,
in die Maße des Sonetts zwängt. Und wenn uns der Biograph eine anschau¬
liche Schilderung von dem Künstler hinterlassen hat, wie er noch im späteren
Alter zum Staunen der Umstehenden mit ungestümer Kraft die Stücke vom
Marmor schlug, so wird man auch beim Lesen der Gedichte häusig an dieses
Bild erinnert: sie sind zumeist auch wie aus dem Groben gehauen, und wie bei
vielen seiner plastischen Arbeiten fehlt die letzte Feile, die vollendende Glättung.


ihn breit; wo die Concetti el» Uebermaß vo» Spitzfindigkeit zeigten, gab er
ihnen eine flüssigere Wendung. Zumal den Schluß eines Gedichts, der bei
Michelangelo häusig in einem gewaltsam zusammengeballten Concetto besteht,
läßt er gern in eine trivialere Phrase ausklingen. Viele endlich behielt er ganz
zurück; und so zeigt denn der echte Michelangelo ein ganz anderes Gesicht als
in der Maske, die ihm der Großneffe vorgebunden.

Ein ernstes, strenges Gesicht, das mit Absicht das Gefällige aus seinem
Umkreis zu verbannen scheint. Es ist ein gewaltsames Ringen um die Form,
auch wo der Inhalt der zarteste und weichste. Es ist, als ob sein Geist nur
im Großen, Gigautischen sich befriedigen könnte; darum seltsame Bilder, skizzen¬
haft hingeworfen, kraftvoll hingeschleudert, in seltenen Fällen zu harmonischer
Ausführung gediehen. Ein Gedanke taucht empor, aber kaum ist er angedeu¬
tet, drängt sich ein anderer hinzu, der Faden verwirrt sich, mit Mühe findet
man die Zwischenglieder, um die Gedankenfolge zu enträthseln, der Inhalt
droht übermächtig die Form zu zersprengen und wird doch unerbittlich zusam¬
mengedrängt in den knappen Leib des Sonetts. Oder es ringt sich ein stür¬
mischer Ausbruch des Gefühls los, aber unfähig, ihn klar zu gestalten, greift
der Dichter zu einer schrillen Antithese, zu einem spitzfindigen Concetto; der
Verstand zwingt den kühnsten poetischen Gedanken in die Form des Räthsels
und macht ihn zu einem Spiel des Witzes und des Scharfsinns. Darf man
die poetische Sprache Michelangelos mit der eines prosaischen Schriftstellers
vergleichen, so ist man versucht, an den Stil des Heidcnapostels Paulus zu
denken: hier wie dort eine Ueberfülle der Gedanken, die sich der Rede nicht
fügen will, ein Abspringen vom Einen aufs Andere, ein Haschen nach Anti¬
thesen, ein gewaltiges Durchbrechen des Gefühls im Wechsel mit sterilen, spitz¬
findigen Argumentationen.

Michelangelo Pflegte von Kunstwerken zu sagen, nur diejenigen seien gut,
weiche die Mühe der Arbeit vergessen lassen und mit solcher Vollendung aus¬
geführt seien, daß sie Werke der Natur und nicht der Kunst zu sein scheinen.
Von seinen Gedichten erreicht diese Vollendung nur ein kleiner Theil. Den mei¬
sten ist die Mühe des Schaffens sichtbar ausgedrückt, und vielleicht besteht eben
darin ein wesentlicher Reiz derselben. Man sieht gradezu in die Werkstätte des
Künstlers, wie er sich an einem Material abarbeitet, das sich seinen Händen
nicht fügen will, wie er mühsam die grandiosen Gedanken, die ihm aufsteigen,
in die Maße des Sonetts zwängt. Und wenn uns der Biograph eine anschau¬
liche Schilderung von dem Künstler hinterlassen hat, wie er noch im späteren
Alter zum Staunen der Umstehenden mit ungestümer Kraft die Stücke vom
Marmor schlug, so wird man auch beim Lesen der Gedichte häusig an dieses
Bild erinnert: sie sind zumeist auch wie aus dem Groben gehauen, und wie bei
vielen seiner plastischen Arbeiten fehlt die letzte Feile, die vollendende Glättung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/42>, abgerufen am 22.07.2024.