Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bildeten Politikers. Für den praktischen Blick des Volkswirths ist es feiner.
Er weiß die Schmerzen und Gefahren einer Amputation zu würdigen und zieht
deshalb der gewagten raschen Operation die zwar langsame aber sichere Hei¬
lung durch ein Uebergangsstadium vor.

Der Bundesstaat kann nie und nimmer verzichten auf seine unitarische wirth¬
schaftliche Function durch organisch constituirte Regierungsgewalt und National¬
vertretung. Er muß an die Stelle der vielköpfigen Anarchie die einheitliche
Ordnung setzen. Eine Transaction hierüber ist unmöglich.

Aber er kann diejenigen Mitglieder des alten Zollvereins, welche dem Bun¬
desstaat nicbt beitreten wollen, sollen oder können, auch in den neuen wirth¬
schaftlichen Verband zulassen, unter der Bedingung, daß sie verzichten auf die
feindlichen Bestrebungen, welchen alle bisherigen Winsale, Widerwärtigkeiten
und Hemmnisse entsprangen. Er kann dies um so mehr, als die Gefahr des
Dualismus, welche durch den Eintritt Oestreichs oder auch schon durch die
bloße "Anstrebung" dieses Eintritts drohete, nunmehr endgiltig entfernt ist.

Freilich ist eine stritte Garantie dafür erforderlich, daß wir nicht wieder,
wie schon so oft. zwischen Thüre und Angel bangen bleiben, d. h, daß nicht die
Uebergangssituation sich in einen bleibenden Zustand, daß nicht das Provisorium
sich in ein Definitionen verwandle. Das geeignetste Mittel zu diesem Zwecke
scheint uns der von dem volkswirtschaftlichen Congreß auf Antrag der Herren
Biedermann und Faucher acceptirte Endtermin.

An die Stelle der von Herrn Grundrecht vorgeschlagenen "Peitsche", welche
Freund und Feind beschädigt, setzt dieser Antrag die weit unwiderstehlichere
"äoucs violanee" der Zeit und der allmälig wachsenden Einsicht. Die ge¬
währte Frist hindert die augenblickliche Zerreißung alter Verbindungen, die
beiden Theilen durch eine dreißigjährige "süße Gewodnheit des Daseins" und
des Zusammenwirkens lieb und werth geworden sind. Sie gewährt dem Süden
Muße zur Abkühlung und Sammlung, zum geistigen und körperlichen Hinein¬
wachsen in die neuen politischen Formen, und dem Norden gewährt sie die
Gewißheit, daß seine Nachsicht nicht mißbraucht wird, und daß es nach Ablauf
weniger Jahre heißt: "Die Thüre muß offen sein, oder geschlossen!"

"Der Zollverein" -- so sagen wir mit Otto Michaelis -- "ist die Vor¬
schule gewesen für den norddeutschen Bundesstaat, er wird auch die Vorschule
sein für den nationalen Staat, das Ziel unsrer heißesten Wünsche."

Das neue Provisorium, welches Preußen geschaffen, die halbjährige Künd¬
barkeit der Verträge, bietet als Radicalmittel größere Vortheile und vielleicht
größere volkswirthschaftliche Gefahren für den Süden. Es soll davon noch die
Rede sein.




bildeten Politikers. Für den praktischen Blick des Volkswirths ist es feiner.
Er weiß die Schmerzen und Gefahren einer Amputation zu würdigen und zieht
deshalb der gewagten raschen Operation die zwar langsame aber sichere Hei¬
lung durch ein Uebergangsstadium vor.

Der Bundesstaat kann nie und nimmer verzichten auf seine unitarische wirth¬
schaftliche Function durch organisch constituirte Regierungsgewalt und National¬
vertretung. Er muß an die Stelle der vielköpfigen Anarchie die einheitliche
Ordnung setzen. Eine Transaction hierüber ist unmöglich.

Aber er kann diejenigen Mitglieder des alten Zollvereins, welche dem Bun¬
desstaat nicbt beitreten wollen, sollen oder können, auch in den neuen wirth¬
schaftlichen Verband zulassen, unter der Bedingung, daß sie verzichten auf die
feindlichen Bestrebungen, welchen alle bisherigen Winsale, Widerwärtigkeiten
und Hemmnisse entsprangen. Er kann dies um so mehr, als die Gefahr des
Dualismus, welche durch den Eintritt Oestreichs oder auch schon durch die
bloße „Anstrebung" dieses Eintritts drohete, nunmehr endgiltig entfernt ist.

Freilich ist eine stritte Garantie dafür erforderlich, daß wir nicht wieder,
wie schon so oft. zwischen Thüre und Angel bangen bleiben, d. h, daß nicht die
Uebergangssituation sich in einen bleibenden Zustand, daß nicht das Provisorium
sich in ein Definitionen verwandle. Das geeignetste Mittel zu diesem Zwecke
scheint uns der von dem volkswirtschaftlichen Congreß auf Antrag der Herren
Biedermann und Faucher acceptirte Endtermin.

An die Stelle der von Herrn Grundrecht vorgeschlagenen „Peitsche", welche
Freund und Feind beschädigt, setzt dieser Antrag die weit unwiderstehlichere
„äoucs violanee" der Zeit und der allmälig wachsenden Einsicht. Die ge¬
währte Frist hindert die augenblickliche Zerreißung alter Verbindungen, die
beiden Theilen durch eine dreißigjährige „süße Gewodnheit des Daseins" und
des Zusammenwirkens lieb und werth geworden sind. Sie gewährt dem Süden
Muße zur Abkühlung und Sammlung, zum geistigen und körperlichen Hinein¬
wachsen in die neuen politischen Formen, und dem Norden gewährt sie die
Gewißheit, daß seine Nachsicht nicht mißbraucht wird, und daß es nach Ablauf
weniger Jahre heißt: „Die Thüre muß offen sein, oder geschlossen!"

„Der Zollverein" — so sagen wir mit Otto Michaelis — „ist die Vor¬
schule gewesen für den norddeutschen Bundesstaat, er wird auch die Vorschule
sein für den nationalen Staat, das Ziel unsrer heißesten Wünsche."

Das neue Provisorium, welches Preußen geschaffen, die halbjährige Künd¬
barkeit der Verträge, bietet als Radicalmittel größere Vortheile und vielleicht
größere volkswirthschaftliche Gefahren für den Süden. Es soll davon noch die
Rede sein.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286006"/>
          <p xml:id="ID_1474" prev="#ID_1473"> bildeten Politikers. Für den praktischen Blick des Volkswirths ist es feiner.<lb/>
Er weiß die Schmerzen und Gefahren einer Amputation zu würdigen und zieht<lb/>
deshalb der gewagten raschen Operation die zwar langsame aber sichere Hei¬<lb/>
lung durch ein Uebergangsstadium vor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1475"> Der Bundesstaat kann nie und nimmer verzichten auf seine unitarische wirth¬<lb/>
schaftliche Function durch organisch constituirte Regierungsgewalt und National¬<lb/>
vertretung. Er muß an die Stelle der vielköpfigen Anarchie die einheitliche<lb/>
Ordnung setzen.  Eine Transaction hierüber ist unmöglich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1476"> Aber er kann diejenigen Mitglieder des alten Zollvereins, welche dem Bun¬<lb/>
desstaat nicbt beitreten wollen, sollen oder können, auch in den neuen wirth¬<lb/>
schaftlichen Verband zulassen, unter der Bedingung, daß sie verzichten auf die<lb/>
feindlichen Bestrebungen, welchen alle bisherigen Winsale, Widerwärtigkeiten<lb/>
und Hemmnisse entsprangen. Er kann dies um so mehr, als die Gefahr des<lb/>
Dualismus, welche durch den Eintritt Oestreichs oder auch schon durch die<lb/>
bloße &#x201E;Anstrebung" dieses Eintritts drohete, nunmehr endgiltig entfernt ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1477"> Freilich ist eine stritte Garantie dafür erforderlich, daß wir nicht wieder,<lb/>
wie schon so oft. zwischen Thüre und Angel bangen bleiben, d. h, daß nicht die<lb/>
Uebergangssituation sich in einen bleibenden Zustand, daß nicht das Provisorium<lb/>
sich in ein Definitionen verwandle. Das geeignetste Mittel zu diesem Zwecke<lb/>
scheint uns der von dem volkswirtschaftlichen Congreß auf Antrag der Herren<lb/>
Biedermann und Faucher acceptirte Endtermin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1478"> An die Stelle der von Herrn Grundrecht vorgeschlagenen &#x201E;Peitsche", welche<lb/>
Freund und Feind beschädigt, setzt dieser Antrag die weit unwiderstehlichere<lb/>
&#x201E;äoucs violanee" der Zeit und der allmälig wachsenden Einsicht. Die ge¬<lb/>
währte Frist hindert die augenblickliche Zerreißung alter Verbindungen, die<lb/>
beiden Theilen durch eine dreißigjährige &#x201E;süße Gewodnheit des Daseins" und<lb/>
des Zusammenwirkens lieb und werth geworden sind. Sie gewährt dem Süden<lb/>
Muße zur Abkühlung und Sammlung, zum geistigen und körperlichen Hinein¬<lb/>
wachsen in die neuen politischen Formen, und dem Norden gewährt sie die<lb/>
Gewißheit, daß seine Nachsicht nicht mißbraucht wird, und daß es nach Ablauf<lb/>
weniger Jahre heißt: &#x201E;Die Thüre muß offen sein, oder geschlossen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1479"> &#x201E;Der Zollverein" &#x2014; so sagen wir mit Otto Michaelis &#x2014; &#x201E;ist die Vor¬<lb/>
schule gewesen für den norddeutschen Bundesstaat, er wird auch die Vorschule<lb/>
sein für den nationalen Staat, das Ziel unsrer heißesten Wünsche."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1480"> Das neue Provisorium, welches Preußen geschaffen, die halbjährige Künd¬<lb/>
barkeit der Verträge, bietet als Radicalmittel größere Vortheile und vielleicht<lb/>
größere volkswirthschaftliche Gefahren für den Süden. Es soll davon noch die<lb/>
Rede sein.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0418] bildeten Politikers. Für den praktischen Blick des Volkswirths ist es feiner. Er weiß die Schmerzen und Gefahren einer Amputation zu würdigen und zieht deshalb der gewagten raschen Operation die zwar langsame aber sichere Hei¬ lung durch ein Uebergangsstadium vor. Der Bundesstaat kann nie und nimmer verzichten auf seine unitarische wirth¬ schaftliche Function durch organisch constituirte Regierungsgewalt und National¬ vertretung. Er muß an die Stelle der vielköpfigen Anarchie die einheitliche Ordnung setzen. Eine Transaction hierüber ist unmöglich. Aber er kann diejenigen Mitglieder des alten Zollvereins, welche dem Bun¬ desstaat nicbt beitreten wollen, sollen oder können, auch in den neuen wirth¬ schaftlichen Verband zulassen, unter der Bedingung, daß sie verzichten auf die feindlichen Bestrebungen, welchen alle bisherigen Winsale, Widerwärtigkeiten und Hemmnisse entsprangen. Er kann dies um so mehr, als die Gefahr des Dualismus, welche durch den Eintritt Oestreichs oder auch schon durch die bloße „Anstrebung" dieses Eintritts drohete, nunmehr endgiltig entfernt ist. Freilich ist eine stritte Garantie dafür erforderlich, daß wir nicht wieder, wie schon so oft. zwischen Thüre und Angel bangen bleiben, d. h, daß nicht die Uebergangssituation sich in einen bleibenden Zustand, daß nicht das Provisorium sich in ein Definitionen verwandle. Das geeignetste Mittel zu diesem Zwecke scheint uns der von dem volkswirtschaftlichen Congreß auf Antrag der Herren Biedermann und Faucher acceptirte Endtermin. An die Stelle der von Herrn Grundrecht vorgeschlagenen „Peitsche", welche Freund und Feind beschädigt, setzt dieser Antrag die weit unwiderstehlichere „äoucs violanee" der Zeit und der allmälig wachsenden Einsicht. Die ge¬ währte Frist hindert die augenblickliche Zerreißung alter Verbindungen, die beiden Theilen durch eine dreißigjährige „süße Gewodnheit des Daseins" und des Zusammenwirkens lieb und werth geworden sind. Sie gewährt dem Süden Muße zur Abkühlung und Sammlung, zum geistigen und körperlichen Hinein¬ wachsen in die neuen politischen Formen, und dem Norden gewährt sie die Gewißheit, daß seine Nachsicht nicht mißbraucht wird, und daß es nach Ablauf weniger Jahre heißt: „Die Thüre muß offen sein, oder geschlossen!" „Der Zollverein" — so sagen wir mit Otto Michaelis — „ist die Vor¬ schule gewesen für den norddeutschen Bundesstaat, er wird auch die Vorschule sein für den nationalen Staat, das Ziel unsrer heißesten Wünsche." Das neue Provisorium, welches Preußen geschaffen, die halbjährige Künd¬ barkeit der Verträge, bietet als Radicalmittel größere Vortheile und vielleicht größere volkswirthschaftliche Gefahren für den Süden. Es soll davon noch die Rede sein.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/418
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/418>, abgerufen am 22.07.2024.