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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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neidisch zum Olymp hinaufschicken sehen, wo Schiller. Goethe, Herder u.a.
wandeln.

In der Zwischenzeit, inmitten jener periodischen Krisen, war die handels¬
politische Gesetzgebung des Zollvereins zur Unthätigkeit verurtheilt. Denn jede
Bewegung ließ fürchten, daß der Verein auseinanderfiel. Er glich darin jenem
Manne in der deutschen Heldensage, der gespalten durch den Hieb eines von
Wieland dem Schmiede geschmiedeten Schwertes, infolge der Schärfe dieses
Instruments und der dadurch bedingten verschwindend kleinen Breite der Schnitt¬
wunde, noch zusammenblieb, so lange er sich stille hielt und sich erst dann halbirte.
als er sich bewegte.

Alle diese Krankheiten und Krankheitssymptome traten bis zum Uebermaß
zu Tage während der Zollvereinskrisis von 1862 bis 1864. Als auf dem
vvikswirihschciftlichen Congreß im September 1863 in Dresden dieser Umstand,
mit bangen Befürchtungen für die Zukunft des Vereins, hervorgehoben wurde,
sprach der Vorsitzende, Braun, die beschwichtigenden Worte:

"Die gegenwärtige Constellation in der Zollvereinskrisis unterscheidet sich
nur dadurch von der bisherigen, daß sie die auch schon früher vorhandenen
faulen Säfte an die Oberfläche getrieben und offen gelegt hat. Das aber,
meine Herren, betrachte ich nicht als ein Unglück, sondern als den Anfang
der Heilung!"

Dem Zollkrieg, der 1862 bis 1864 mit Noten geführt wurde, ist 1866 der
wirkliche Krieg mit Zündnadeln und Kanonen gefolgt. Dieser unterscheidet sich
Von jenem nur, wie eine anne verlaufende Krankheit von einer chronischen. Die
Krisis ist glücklich verlaufen. Jetzt gilt es, einem Rückfall und einer neuen
Krankheit vorzubeugen, die veränderte Sachlage zum Guten auszubeuten.

Zu diesem Zwecke bedarf der Zollverein einer organischen Gliederung,
welche den Particulansmus durch Aufhebung des "liberum veto" entwaffnet,
und neben die Centralregierung eine Vertretung der bürgerlichen Gesellschaft
stellt, um deren wirthschaftliche Interessen es sich ja doch handelt.

Dieses Ziel (zu dessen Erreichung man bisher nur Halbheiten, wie ein
"Zollparlament" u. tgi. vorzuschlagen wußte), wird erreicht durch Gründung
des Bundesstaats. Die centrale Bundesgewalt und die ihr zur Seite stehenden
Repräsentanten der Nation geben der Idee der wirthschaftlichen Einheit den
kräftigen, mit Fleisch und Blut ausgestatteten stattlichen staatlichen Körper,
dessen sie zu ihrer Realisirung bedarf. Diese Forderung ist unabweisbar. Ihr
muß sich fügen, wer irgend bei dem Verein um Zulassung nachsucht.

Allerdings behält der Neubau noch das Kennzeichen der Unfertigkeit da¬
durch, daß das Gebiet der wirthschaftlichen Einheit um etwa acht Millionen
Menschen größer sein wird, als das der politischen Einheit. In der That ist
dies ein Mißstand für das ästhetisch blickende Auge des theoretisch-doctnnär ge-


neidisch zum Olymp hinaufschicken sehen, wo Schiller. Goethe, Herder u.a.
wandeln.

In der Zwischenzeit, inmitten jener periodischen Krisen, war die handels¬
politische Gesetzgebung des Zollvereins zur Unthätigkeit verurtheilt. Denn jede
Bewegung ließ fürchten, daß der Verein auseinanderfiel. Er glich darin jenem
Manne in der deutschen Heldensage, der gespalten durch den Hieb eines von
Wieland dem Schmiede geschmiedeten Schwertes, infolge der Schärfe dieses
Instruments und der dadurch bedingten verschwindend kleinen Breite der Schnitt¬
wunde, noch zusammenblieb, so lange er sich stille hielt und sich erst dann halbirte.
als er sich bewegte.

Alle diese Krankheiten und Krankheitssymptome traten bis zum Uebermaß
zu Tage während der Zollvereinskrisis von 1862 bis 1864. Als auf dem
vvikswirihschciftlichen Congreß im September 1863 in Dresden dieser Umstand,
mit bangen Befürchtungen für die Zukunft des Vereins, hervorgehoben wurde,
sprach der Vorsitzende, Braun, die beschwichtigenden Worte:

„Die gegenwärtige Constellation in der Zollvereinskrisis unterscheidet sich
nur dadurch von der bisherigen, daß sie die auch schon früher vorhandenen
faulen Säfte an die Oberfläche getrieben und offen gelegt hat. Das aber,
meine Herren, betrachte ich nicht als ein Unglück, sondern als den Anfang
der Heilung!"

Dem Zollkrieg, der 1862 bis 1864 mit Noten geführt wurde, ist 1866 der
wirkliche Krieg mit Zündnadeln und Kanonen gefolgt. Dieser unterscheidet sich
Von jenem nur, wie eine anne verlaufende Krankheit von einer chronischen. Die
Krisis ist glücklich verlaufen. Jetzt gilt es, einem Rückfall und einer neuen
Krankheit vorzubeugen, die veränderte Sachlage zum Guten auszubeuten.

Zu diesem Zwecke bedarf der Zollverein einer organischen Gliederung,
welche den Particulansmus durch Aufhebung des „liberum veto" entwaffnet,
und neben die Centralregierung eine Vertretung der bürgerlichen Gesellschaft
stellt, um deren wirthschaftliche Interessen es sich ja doch handelt.

Dieses Ziel (zu dessen Erreichung man bisher nur Halbheiten, wie ein
„Zollparlament" u. tgi. vorzuschlagen wußte), wird erreicht durch Gründung
des Bundesstaats. Die centrale Bundesgewalt und die ihr zur Seite stehenden
Repräsentanten der Nation geben der Idee der wirthschaftlichen Einheit den
kräftigen, mit Fleisch und Blut ausgestatteten stattlichen staatlichen Körper,
dessen sie zu ihrer Realisirung bedarf. Diese Forderung ist unabweisbar. Ihr
muß sich fügen, wer irgend bei dem Verein um Zulassung nachsucht.

Allerdings behält der Neubau noch das Kennzeichen der Unfertigkeit da¬
durch, daß das Gebiet der wirthschaftlichen Einheit um etwa acht Millionen
Menschen größer sein wird, als das der politischen Einheit. In der That ist
dies ein Mißstand für das ästhetisch blickende Auge des theoretisch-doctnnär ge-


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[0417] neidisch zum Olymp hinaufschicken sehen, wo Schiller. Goethe, Herder u.a. wandeln. In der Zwischenzeit, inmitten jener periodischen Krisen, war die handels¬ politische Gesetzgebung des Zollvereins zur Unthätigkeit verurtheilt. Denn jede Bewegung ließ fürchten, daß der Verein auseinanderfiel. Er glich darin jenem Manne in der deutschen Heldensage, der gespalten durch den Hieb eines von Wieland dem Schmiede geschmiedeten Schwertes, infolge der Schärfe dieses Instruments und der dadurch bedingten verschwindend kleinen Breite der Schnitt¬ wunde, noch zusammenblieb, so lange er sich stille hielt und sich erst dann halbirte. als er sich bewegte. Alle diese Krankheiten und Krankheitssymptome traten bis zum Uebermaß zu Tage während der Zollvereinskrisis von 1862 bis 1864. Als auf dem vvikswirihschciftlichen Congreß im September 1863 in Dresden dieser Umstand, mit bangen Befürchtungen für die Zukunft des Vereins, hervorgehoben wurde, sprach der Vorsitzende, Braun, die beschwichtigenden Worte: „Die gegenwärtige Constellation in der Zollvereinskrisis unterscheidet sich nur dadurch von der bisherigen, daß sie die auch schon früher vorhandenen faulen Säfte an die Oberfläche getrieben und offen gelegt hat. Das aber, meine Herren, betrachte ich nicht als ein Unglück, sondern als den Anfang der Heilung!" Dem Zollkrieg, der 1862 bis 1864 mit Noten geführt wurde, ist 1866 der wirkliche Krieg mit Zündnadeln und Kanonen gefolgt. Dieser unterscheidet sich Von jenem nur, wie eine anne verlaufende Krankheit von einer chronischen. Die Krisis ist glücklich verlaufen. Jetzt gilt es, einem Rückfall und einer neuen Krankheit vorzubeugen, die veränderte Sachlage zum Guten auszubeuten. Zu diesem Zwecke bedarf der Zollverein einer organischen Gliederung, welche den Particulansmus durch Aufhebung des „liberum veto" entwaffnet, und neben die Centralregierung eine Vertretung der bürgerlichen Gesellschaft stellt, um deren wirthschaftliche Interessen es sich ja doch handelt. Dieses Ziel (zu dessen Erreichung man bisher nur Halbheiten, wie ein „Zollparlament" u. tgi. vorzuschlagen wußte), wird erreicht durch Gründung des Bundesstaats. Die centrale Bundesgewalt und die ihr zur Seite stehenden Repräsentanten der Nation geben der Idee der wirthschaftlichen Einheit den kräftigen, mit Fleisch und Blut ausgestatteten stattlichen staatlichen Körper, dessen sie zu ihrer Realisirung bedarf. Diese Forderung ist unabweisbar. Ihr muß sich fügen, wer irgend bei dem Verein um Zulassung nachsucht. Allerdings behält der Neubau noch das Kennzeichen der Unfertigkeit da¬ durch, daß das Gebiet der wirthschaftlichen Einheit um etwa acht Millionen Menschen größer sein wird, als das der politischen Einheit. In der That ist dies ein Mißstand für das ästhetisch blickende Auge des theoretisch-doctnnär ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/417>, abgerufen am 22.07.2024.