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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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zusammentretender Zollconferenzen litten an denselben Fehlern wie der Bundes¬
tag, und noch an mehren anderen dazu. Sie waren geheim. Die Instruktio¬
nen der Bevollmächtigten wurden nur von den Regierungen ertheilt, oft im
direktesten Widerspruch mit den ausdrücklichsten Erklärungen und Beschlüssen der
Volksvertretung. Man vergleiche z. B. die vreuhenfeindliche Haltung der Re¬
gierungen von Hessen-Darmstadt und Nassau in der Zollvereinskrisis von 1862
bis 1864 gegenüber den diametral entgegengesetzten preußenfreundlichen Reso¬
lutionen ihrer Landtage. Letztere hatten schließlich nur, wenn sie nicht gegen
den Stachel der Einheit lecken wollten, dans aeeomplis zu registriren. Jede,
auch die kleinste Regierung, mochte ihr Land auch nur so viel Einwohner haben,
wie eine kleine Provinzialstadt. oder auch nur so viel Flächengehalt, Role eine
große Dorfmark, hatte das "liberum veto" des polnischen Reichstages; und
viele davon waren in dem Vollgefühl ihrer souveränen Selbstüberhebung und
Eigenmacht nur zu geneigt, auf Kosten der Gesammtheit zur Hintcrtreibung
gemeinnütziger Reformen Gebrauch davon zu machen.

So war es denn noch bei allem Unglück als ein wahres Glück zu be¬
trachten, daß der Zollverein kundbar war, daß er nur auf zwölf Jahre ge¬
schlossen wurde, und daß bei jeder Kündigung und bei jedem Ablauf der Ver¬
tragsperiode die schicksalsschwere Frage an ihn herantrat: "Sein oder Nicht¬
sein?" -- Nur in dieser Bedrohung lag die Möglichkeit des Fortschritts. Denn
der Particularism, zwischen die Alternative gestellt, das Recht der Erst¬
geburt, d. h. seine Schcinsouveränetät, oder das Linsengericht, d. h. die
reichlichen und schwer entbehrlichen, einer landständischen Verwilligung nicht
unterliegenden Zolleinkünfte, zu verlieren, zog es vor. letztere zu behalten.

Der Zollverein konnte sich nur durch periodische Krisen, welche den Cha¬
rakter schwerer, fast tödtlicher Krankheiten annahmen, entwickeln. Nur dadurch,
daß er alle zwölf Jahre einmal fiel oder zu fallen schien, konnte er sich vor¬
wärts bewegen. Preußen war die vorwärts bewegende, das Gefühl der Ko¬
härenz der materiellen Interessen war die zusammenhaltende Krafr. Die Mittel-
und Kleinstaaten repräsentirten das hemmende und centrifugale Element. Oest¬
reich aber spielte" jene Rolle, welche der bereits zur ehrwürdigen Excellenz
herangereifte Goethe in einem Rückfall in den burschikosen Uebermuth seiner
Jugendjahre bildlich dargestellt hat. Ich spreche von jener Zeichnung, auf
welcher wir Kotzebue, der trotz aller Zudringlichkeit in den engeren Zirkel des
Weimarer Musenhoscs nicht zugelassen und durch den Ausschluß sehr erbittert
wurde, in einer niederen Verrichtung auf der Erde zusammengekauert und mit
den Worten:


"Ach könnt' ich doch dort oben hinein!
Wie schnell sollt' alles ver--sein!"

zusammentretender Zollconferenzen litten an denselben Fehlern wie der Bundes¬
tag, und noch an mehren anderen dazu. Sie waren geheim. Die Instruktio¬
nen der Bevollmächtigten wurden nur von den Regierungen ertheilt, oft im
direktesten Widerspruch mit den ausdrücklichsten Erklärungen und Beschlüssen der
Volksvertretung. Man vergleiche z. B. die vreuhenfeindliche Haltung der Re¬
gierungen von Hessen-Darmstadt und Nassau in der Zollvereinskrisis von 1862
bis 1864 gegenüber den diametral entgegengesetzten preußenfreundlichen Reso¬
lutionen ihrer Landtage. Letztere hatten schließlich nur, wenn sie nicht gegen
den Stachel der Einheit lecken wollten, dans aeeomplis zu registriren. Jede,
auch die kleinste Regierung, mochte ihr Land auch nur so viel Einwohner haben,
wie eine kleine Provinzialstadt. oder auch nur so viel Flächengehalt, Role eine
große Dorfmark, hatte das „liberum veto" des polnischen Reichstages; und
viele davon waren in dem Vollgefühl ihrer souveränen Selbstüberhebung und
Eigenmacht nur zu geneigt, auf Kosten der Gesammtheit zur Hintcrtreibung
gemeinnütziger Reformen Gebrauch davon zu machen.

So war es denn noch bei allem Unglück als ein wahres Glück zu be¬
trachten, daß der Zollverein kundbar war, daß er nur auf zwölf Jahre ge¬
schlossen wurde, und daß bei jeder Kündigung und bei jedem Ablauf der Ver¬
tragsperiode die schicksalsschwere Frage an ihn herantrat: „Sein oder Nicht¬
sein?" — Nur in dieser Bedrohung lag die Möglichkeit des Fortschritts. Denn
der Particularism, zwischen die Alternative gestellt, das Recht der Erst¬
geburt, d. h. seine Schcinsouveränetät, oder das Linsengericht, d. h. die
reichlichen und schwer entbehrlichen, einer landständischen Verwilligung nicht
unterliegenden Zolleinkünfte, zu verlieren, zog es vor. letztere zu behalten.

Der Zollverein konnte sich nur durch periodische Krisen, welche den Cha¬
rakter schwerer, fast tödtlicher Krankheiten annahmen, entwickeln. Nur dadurch,
daß er alle zwölf Jahre einmal fiel oder zu fallen schien, konnte er sich vor¬
wärts bewegen. Preußen war die vorwärts bewegende, das Gefühl der Ko¬
härenz der materiellen Interessen war die zusammenhaltende Krafr. Die Mittel-
und Kleinstaaten repräsentirten das hemmende und centrifugale Element. Oest¬
reich aber spielte" jene Rolle, welche der bereits zur ehrwürdigen Excellenz
herangereifte Goethe in einem Rückfall in den burschikosen Uebermuth seiner
Jugendjahre bildlich dargestellt hat. Ich spreche von jener Zeichnung, auf
welcher wir Kotzebue, der trotz aller Zudringlichkeit in den engeren Zirkel des
Weimarer Musenhoscs nicht zugelassen und durch den Ausschluß sehr erbittert
wurde, in einer niederen Verrichtung auf der Erde zusammengekauert und mit
den Worten:


„Ach könnt' ich doch dort oben hinein!
Wie schnell sollt' alles ver--sein!"

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[0416] zusammentretender Zollconferenzen litten an denselben Fehlern wie der Bundes¬ tag, und noch an mehren anderen dazu. Sie waren geheim. Die Instruktio¬ nen der Bevollmächtigten wurden nur von den Regierungen ertheilt, oft im direktesten Widerspruch mit den ausdrücklichsten Erklärungen und Beschlüssen der Volksvertretung. Man vergleiche z. B. die vreuhenfeindliche Haltung der Re¬ gierungen von Hessen-Darmstadt und Nassau in der Zollvereinskrisis von 1862 bis 1864 gegenüber den diametral entgegengesetzten preußenfreundlichen Reso¬ lutionen ihrer Landtage. Letztere hatten schließlich nur, wenn sie nicht gegen den Stachel der Einheit lecken wollten, dans aeeomplis zu registriren. Jede, auch die kleinste Regierung, mochte ihr Land auch nur so viel Einwohner haben, wie eine kleine Provinzialstadt. oder auch nur so viel Flächengehalt, Role eine große Dorfmark, hatte das „liberum veto" des polnischen Reichstages; und viele davon waren in dem Vollgefühl ihrer souveränen Selbstüberhebung und Eigenmacht nur zu geneigt, auf Kosten der Gesammtheit zur Hintcrtreibung gemeinnütziger Reformen Gebrauch davon zu machen. So war es denn noch bei allem Unglück als ein wahres Glück zu be¬ trachten, daß der Zollverein kundbar war, daß er nur auf zwölf Jahre ge¬ schlossen wurde, und daß bei jeder Kündigung und bei jedem Ablauf der Ver¬ tragsperiode die schicksalsschwere Frage an ihn herantrat: „Sein oder Nicht¬ sein?" — Nur in dieser Bedrohung lag die Möglichkeit des Fortschritts. Denn der Particularism, zwischen die Alternative gestellt, das Recht der Erst¬ geburt, d. h. seine Schcinsouveränetät, oder das Linsengericht, d. h. die reichlichen und schwer entbehrlichen, einer landständischen Verwilligung nicht unterliegenden Zolleinkünfte, zu verlieren, zog es vor. letztere zu behalten. Der Zollverein konnte sich nur durch periodische Krisen, welche den Cha¬ rakter schwerer, fast tödtlicher Krankheiten annahmen, entwickeln. Nur dadurch, daß er alle zwölf Jahre einmal fiel oder zu fallen schien, konnte er sich vor¬ wärts bewegen. Preußen war die vorwärts bewegende, das Gefühl der Ko¬ härenz der materiellen Interessen war die zusammenhaltende Krafr. Die Mittel- und Kleinstaaten repräsentirten das hemmende und centrifugale Element. Oest¬ reich aber spielte" jene Rolle, welche der bereits zur ehrwürdigen Excellenz herangereifte Goethe in einem Rückfall in den burschikosen Uebermuth seiner Jugendjahre bildlich dargestellt hat. Ich spreche von jener Zeichnung, auf welcher wir Kotzebue, der trotz aller Zudringlichkeit in den engeren Zirkel des Weimarer Musenhoscs nicht zugelassen und durch den Ausschluß sehr erbittert wurde, in einer niederen Verrichtung auf der Erde zusammengekauert und mit den Worten: „Ach könnt' ich doch dort oben hinein! Wie schnell sollt' alles ver--sein!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/416>, abgerufen am 22.07.2024.