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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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macht, vielleicht säßen die Fürsten von Toscana, Parma, Modena :c. noch auf
ihren Thronen.

Der Particularismus begriff diese mäßigende, mildernde und vermittelnde
Stellung des Zollvereins nicht, der den Stoß der wider einander prallenden
Einzelngewalten brach, wie jene an den Stirnseiten der Eisenbahnwagen an¬
gebrachten "Büsser" durch ihre Weichheit die Stöße auffangen und unschädlich
machen und dadurch Verhindern, daß die schwer beladenen unelastischer, harten
Wagengestclle durch das Aufeinanderstoßen zertrümmert werden.

Der Particularism haßte leider den Zollverein als. wie Fouquier-Tinville
terroristischen Andenkens sagte, des "Verdachts verdächtig", weil die wirthschaft-
liche Einheit Vorläufer der politischen Einheit ist; er haßte ihn, weil Preu¬
ßen dessen Führer und Gründer ist. Denn je eifriger er mit dem Munde
Preußens nationalen Beruf läugnete, desto aufrichtiger glaubte er, in Haß,
Neid und Furcht, im Grunde des Herzens daran. Preußen aber schwieg und
dachte mit C'nero: "Oäsrint aum mstuant."

Gleichwohl machte es der Particularismus (welcher eine Koalition einging
mit allem, das den wirthschaftlichen Fortschritt, und allem, das den Staat
Preußen haßt, -- mit den Schutzzöllnern, mit den Ultramontanen und den
Muckern, mit den großdeutschen Demokraten und den großdeutschen Aristokraten,
mit den Anarchisten und den Socialisten, mit den Lasallianern und den "Volks¬
vereinen", mit den idealen Freiheitsschwärmern und den unklaren Utopisten--)
dem Zollverein schwer, theilweise sogar unmöglich, seine Mission der Gründung
eines einheitlichen Wirthschaftsgebiets vollständig durchzuführen.

Für die Waaren waren die Zollschranken zwar gefallen (mit Ausnahme
der Uebergangsabgaben von Branntwein. Bier, Tabak:c.. die ihren Grund in
der Verschiedenheit der internen Steuersysteme suchen). Für die Menschen
aber, für die Arbeitskraft, für die Niederlassung, für den Gewerbebetrieb be¬
stehen sie leider noch; und da die westeuropäischen Handelsverträge dem Frem¬
den, d. h. dem Angehörigen des vertragschließenden auswärtigen Staates, in
jedem Einzelnen der Zollvereinsstaaten "die Rechte des Jrländers" verleihen,
so befinden wir uns gegenwärtig in der unbegreiflichen Lage, daß in Frankfurt
Z. B. in Betreff der gewerblichen Niederlassung ein Franzose und ein Italiener
unbestreitbare Rechte hat. welche allen übrigen Deutschen, welche den nächsten
Nachbarn, den Darmstädtern, den Mainzern, den Bockenheimern, den Hanauern.
den Wiesbadenern als "deutschen Ausländern" tagtäglich abgesprochen wurden,
^ ein Zustand, der unvereinbar ist mit dem Nationalgefühl und dem der Bundes"
Staat trotz des Widerstrebens des frankfurter Pfahlbürgerthums wohl ein Ende
wachen wird. "-->

Dazu kam der bereits erwähnte Mangel an einer BereinSregierungsgewalt
und einer Organisation. Die nur nach längeren Zwischenräumen periodisch


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macht, vielleicht säßen die Fürsten von Toscana, Parma, Modena :c. noch auf
ihren Thronen.

Der Particularismus begriff diese mäßigende, mildernde und vermittelnde
Stellung des Zollvereins nicht, der den Stoß der wider einander prallenden
Einzelngewalten brach, wie jene an den Stirnseiten der Eisenbahnwagen an¬
gebrachten „Büsser" durch ihre Weichheit die Stöße auffangen und unschädlich
machen und dadurch Verhindern, daß die schwer beladenen unelastischer, harten
Wagengestclle durch das Aufeinanderstoßen zertrümmert werden.

Der Particularism haßte leider den Zollverein als. wie Fouquier-Tinville
terroristischen Andenkens sagte, des „Verdachts verdächtig", weil die wirthschaft-
liche Einheit Vorläufer der politischen Einheit ist; er haßte ihn, weil Preu¬
ßen dessen Führer und Gründer ist. Denn je eifriger er mit dem Munde
Preußens nationalen Beruf läugnete, desto aufrichtiger glaubte er, in Haß,
Neid und Furcht, im Grunde des Herzens daran. Preußen aber schwieg und
dachte mit C'nero: „Oäsrint aum mstuant."

Gleichwohl machte es der Particularismus (welcher eine Koalition einging
mit allem, das den wirthschaftlichen Fortschritt, und allem, das den Staat
Preußen haßt, — mit den Schutzzöllnern, mit den Ultramontanen und den
Muckern, mit den großdeutschen Demokraten und den großdeutschen Aristokraten,
mit den Anarchisten und den Socialisten, mit den Lasallianern und den „Volks¬
vereinen", mit den idealen Freiheitsschwärmern und den unklaren Utopisten—)
dem Zollverein schwer, theilweise sogar unmöglich, seine Mission der Gründung
eines einheitlichen Wirthschaftsgebiets vollständig durchzuführen.

Für die Waaren waren die Zollschranken zwar gefallen (mit Ausnahme
der Uebergangsabgaben von Branntwein. Bier, Tabak:c.. die ihren Grund in
der Verschiedenheit der internen Steuersysteme suchen). Für die Menschen
aber, für die Arbeitskraft, für die Niederlassung, für den Gewerbebetrieb be¬
stehen sie leider noch; und da die westeuropäischen Handelsverträge dem Frem¬
den, d. h. dem Angehörigen des vertragschließenden auswärtigen Staates, in
jedem Einzelnen der Zollvereinsstaaten „die Rechte des Jrländers" verleihen,
so befinden wir uns gegenwärtig in der unbegreiflichen Lage, daß in Frankfurt
Z. B. in Betreff der gewerblichen Niederlassung ein Franzose und ein Italiener
unbestreitbare Rechte hat. welche allen übrigen Deutschen, welche den nächsten
Nachbarn, den Darmstädtern, den Mainzern, den Bockenheimern, den Hanauern.
den Wiesbadenern als „deutschen Ausländern" tagtäglich abgesprochen wurden,
^ ein Zustand, der unvereinbar ist mit dem Nationalgefühl und dem der Bundes«
Staat trotz des Widerstrebens des frankfurter Pfahlbürgerthums wohl ein Ende
wachen wird. «-->

Dazu kam der bereits erwähnte Mangel an einer BereinSregierungsgewalt
und einer Organisation. Die nur nach längeren Zwischenräumen periodisch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/415>, abgerufen am 22.07.2024.