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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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übrigen Völkern den Frieden hat erkämpfen helfen müssen, und einem Mon¬
archen, dessen Land unglücklicherweise der Schauplatz von den Reibungen der
Mächte Europas gewesen, solche Aufopferungen habe zumuthen können."

Mit der unverbesserlichen Tugend dieser antiquirten Loyalität ist, nicht zu
rechten. Auch wir beklagen die Entscheidung von damals, freilich in anderem
Sinne. In den fünfzig Jahren, die seitdem verflossen sind, hat sich die eine
Wie die andere Auffassung der Theilung Sachsens oftmals über ihre" Unmuth
hinwegsetzen tonnen. Der in sehr vielen und wichtigen Punkten einsichtsvollen
Regierung unseres Landes sei die Anerkennung nicht versagt, daß sie eine lange
Zeit dazu beigetragen hat. Aber wir haben oben bereits davon gesprochen,
wie die nationalen Erwartungen in dem Augenblick, da es galt, ihre Summe
zu ziehen, getäuscht worden sind. Die Wunden von 1815 schmerzen neu, die
sächsische Frage hat fast wieder dieselbe Gestalt, fast wieder dieselben Stimmungen
begleiten die Stadien ihrer Lösung. Möchten nicht die gleichen verhängnißvollen
Fehler, wie zu jener Zeit, von Preußen noch einmal wieder begangen werden.

Der große Stein, der einzige Mann, der auch hierin völlig klar sah und
das Nothwendige verzeichnete, Pflegte während des Kongresses zu Wien den
Fürsten und anderen hohen Personen, mit denen er verkehrte, von Zeit zu Zeit
Zeitelchen zuzustecken, auf denen einfach historische Thatsachen notirt waren, die
mit den Gegenständen der augenblicklichen diplomatischen Berathung in bedeut¬
samer Beziehung standen. So, hielt er das Augenmerk der oft Flüchtigen an
entscheidenden Argumenten fest. Wäre der einzige Mann heute gegenwärtig bei
den Verhandlungen über das Schicksal Sachsens, unter den Merkzetteln, die er
an die preußischen Bevollmächtigten vertheilen würde, fehlten sicher ein paar
Notizen nicht, die, aus seinen Erlebnissen geschöpft, keine Neuheiten, aber Kern-
Punkte enthielten:

1814. December. Der Großherzog von Weimar äußert gegen Kaiser Franz,
er halte die Theilung Sachsens für nachiheilig hinsichtlich der Verwaltung und
weil sie Gährung in den Gemüthern nähre. Antwort: "Das ist schon recht,
dann kommen die beiden Theile desto eher wieder zusammen." Also Lehre für
uns: Diplomatische Führung Preußens.

1814. 19. December. Talleyrands Note an Metternich: Störung des
europäischen Gleichgewichts durch die Annexion Sachsens, einerseits wegen der
großen Angriffsmasse gegen Böhmen, die dadurch gebildet werde, andererseits
wegen des übermäßigen Anwachsens von Preußen. Also Lehre für uns: strate¬
gische Sicherung, Festung Dresden.

1815. 2. Mai. Aufstand der sächsischen Regimenter in Lüttich gegen
Blücher. -- Also: Fahneneid und Fusion der Armee. --

Nur so viel vorläufig zur Beherzigung bei der Aufnahme Sachsens in den
norddeutschen Bundesstaat.




übrigen Völkern den Frieden hat erkämpfen helfen müssen, und einem Mon¬
archen, dessen Land unglücklicherweise der Schauplatz von den Reibungen der
Mächte Europas gewesen, solche Aufopferungen habe zumuthen können."

Mit der unverbesserlichen Tugend dieser antiquirten Loyalität ist, nicht zu
rechten. Auch wir beklagen die Entscheidung von damals, freilich in anderem
Sinne. In den fünfzig Jahren, die seitdem verflossen sind, hat sich die eine
Wie die andere Auffassung der Theilung Sachsens oftmals über ihre» Unmuth
hinwegsetzen tonnen. Der in sehr vielen und wichtigen Punkten einsichtsvollen
Regierung unseres Landes sei die Anerkennung nicht versagt, daß sie eine lange
Zeit dazu beigetragen hat. Aber wir haben oben bereits davon gesprochen,
wie die nationalen Erwartungen in dem Augenblick, da es galt, ihre Summe
zu ziehen, getäuscht worden sind. Die Wunden von 1815 schmerzen neu, die
sächsische Frage hat fast wieder dieselbe Gestalt, fast wieder dieselben Stimmungen
begleiten die Stadien ihrer Lösung. Möchten nicht die gleichen verhängnißvollen
Fehler, wie zu jener Zeit, von Preußen noch einmal wieder begangen werden.

Der große Stein, der einzige Mann, der auch hierin völlig klar sah und
das Nothwendige verzeichnete, Pflegte während des Kongresses zu Wien den
Fürsten und anderen hohen Personen, mit denen er verkehrte, von Zeit zu Zeit
Zeitelchen zuzustecken, auf denen einfach historische Thatsachen notirt waren, die
mit den Gegenständen der augenblicklichen diplomatischen Berathung in bedeut¬
samer Beziehung standen. So, hielt er das Augenmerk der oft Flüchtigen an
entscheidenden Argumenten fest. Wäre der einzige Mann heute gegenwärtig bei
den Verhandlungen über das Schicksal Sachsens, unter den Merkzetteln, die er
an die preußischen Bevollmächtigten vertheilen würde, fehlten sicher ein paar
Notizen nicht, die, aus seinen Erlebnissen geschöpft, keine Neuheiten, aber Kern-
Punkte enthielten:

1814. December. Der Großherzog von Weimar äußert gegen Kaiser Franz,
er halte die Theilung Sachsens für nachiheilig hinsichtlich der Verwaltung und
weil sie Gährung in den Gemüthern nähre. Antwort: „Das ist schon recht,
dann kommen die beiden Theile desto eher wieder zusammen." Also Lehre für
uns: Diplomatische Führung Preußens.

1814. 19. December. Talleyrands Note an Metternich: Störung des
europäischen Gleichgewichts durch die Annexion Sachsens, einerseits wegen der
großen Angriffsmasse gegen Böhmen, die dadurch gebildet werde, andererseits
wegen des übermäßigen Anwachsens von Preußen. Also Lehre für uns: strate¬
gische Sicherung, Festung Dresden.

1815. 2. Mai. Aufstand der sächsischen Regimenter in Lüttich gegen
Blücher. — Also: Fahneneid und Fusion der Armee. —

Nur so viel vorläufig zur Beherzigung bei der Aufnahme Sachsens in den
norddeutschen Bundesstaat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/403>, abgerufen am 25.08.2024.