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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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weder bei Hoch noch Niedrig, einer ungünstigen Meinung über den Kaiserstaat
begegnet sei, einer näheren Beleuchtung dieser Wahrnehmungen aber weiß er
sich geschickt genug zu entziehen, denn was in solchem Grade durch Popularität
bereits empfohlen sei, bedürfe keiner neuen Empfehlung. Den entschiedenen
Vorzug giebt er der Vereinigung mit Preußen. Die landläufigen Einwendungen
--> es sind fast genau dieselben, die wir noch heute hören können, wenn wir
unter die Menge treten -- bekämpft er mit Wärme und ziemlichem Verstand.
Um die Furcht vor stiefmütterlicher Behandlung des neuerworbenen Landes zu¬
rückzuweisen, deutet er auf Schlesien und Polen, an welchen Preußens sorgende
und fördernde Pflege so deutlich offenbar geworden sei. Eher das Gegentheil
dessen, was viele meinen, wird eintreten. Er kenne genug Preußen, die es
gradezu aussprächen, daß die Einverleibung Sachsens vielmehr für sie selbst zu
fürchten sei, weil sie voraussetzten, ihr König würde die neue Provinz ungemein
begünstigen, vielleicht gar einen großen Theil des Jahres seine Residenz in
Dresden aufschlagen, so daß Berlin Abbruch erlitte! Man sieht, menschliche
Kleinlichkeit ist unter jedem Adspcct und überall dieselbe. Mit der Klage über
die hohen Steuern in Preußen, die wenigstens in der Modalität der Erhebung
unendlich vereinfacht seien, dürfe niemand hervortreten; denn an Schonten und
Quatembern, an Personensteuer und Kopsgeldern, an Servicen und Lege¬
schätzen, an Tranksteuern und Mahlgrvschen, an Accise-, Wege-, Geleits-, Brücken-
und Hufcgeldern, Stempelgebühren und Pcräquationskassengeldern, an grünen,
blauen, rothen, schwarzen, gelben Büchern sei kein Land so fruchtbar wie
Sachsen. Der Gesichtspunkt, der statt dessen heute gilt und wonach die Höhe
der Abgaben ihre Rechtfertigung in den Gegenleistungen des Staates hat,
kommt ihm freilich nicht zum Bewußtsein. Dagegen ist ihm der außerordent¬
liche Vortheil deutlich, den die große Erweiterung des Marktes für die Pro-
duction in Sachsen haben müsse. Endlich kann dem Manne von 1813 auch
zur Vertheidigung der preußischen Wchrversassung das richtige Argument nicht
fehlen, wenn er es auch etwas drastisch an den Mann bringt. "Denken wir
nur an die Möglichkeit, daß über kurz oder lang wieder ein tollkühner Menschen¬
fresser, er sei nun wirklich zum Throne oder eigentlich zum Bandrtenhandwerk
geboren, uns überfallen und in neue Fesseln schmieden kann, wer muß da
nicht die Weisheit und Vorsicht einer Regierung segnen und preisen, welche in
Zeiten solch schrecklichem Unfuge zu steuern und jedem räuberischen Anfalle
kräftig zu begegnen, ihm gleich in der Geburt das Genick einzudrücken sucht."
Daß aber könne nie durch Miethlinge, sondern allein durch das Mark der
Staatsbürger selbst geschehen. Wie groß übrigens der Unterschied der Opfer-
bereitschafl fürs Baterland bei den Preußen und bei den Sachsen sei, das habe
das Jahr der nationalen Erhebung gezeigt. Dort seien Hunderte von Jüng¬
lingen aus den edelsten Geschlechtern als Gemeine mit in den heiligen Krieg


weder bei Hoch noch Niedrig, einer ungünstigen Meinung über den Kaiserstaat
begegnet sei, einer näheren Beleuchtung dieser Wahrnehmungen aber weiß er
sich geschickt genug zu entziehen, denn was in solchem Grade durch Popularität
bereits empfohlen sei, bedürfe keiner neuen Empfehlung. Den entschiedenen
Vorzug giebt er der Vereinigung mit Preußen. Die landläufigen Einwendungen
—> es sind fast genau dieselben, die wir noch heute hören können, wenn wir
unter die Menge treten — bekämpft er mit Wärme und ziemlichem Verstand.
Um die Furcht vor stiefmütterlicher Behandlung des neuerworbenen Landes zu¬
rückzuweisen, deutet er auf Schlesien und Polen, an welchen Preußens sorgende
und fördernde Pflege so deutlich offenbar geworden sei. Eher das Gegentheil
dessen, was viele meinen, wird eintreten. Er kenne genug Preußen, die es
gradezu aussprächen, daß die Einverleibung Sachsens vielmehr für sie selbst zu
fürchten sei, weil sie voraussetzten, ihr König würde die neue Provinz ungemein
begünstigen, vielleicht gar einen großen Theil des Jahres seine Residenz in
Dresden aufschlagen, so daß Berlin Abbruch erlitte! Man sieht, menschliche
Kleinlichkeit ist unter jedem Adspcct und überall dieselbe. Mit der Klage über
die hohen Steuern in Preußen, die wenigstens in der Modalität der Erhebung
unendlich vereinfacht seien, dürfe niemand hervortreten; denn an Schonten und
Quatembern, an Personensteuer und Kopsgeldern, an Servicen und Lege¬
schätzen, an Tranksteuern und Mahlgrvschen, an Accise-, Wege-, Geleits-, Brücken-
und Hufcgeldern, Stempelgebühren und Pcräquationskassengeldern, an grünen,
blauen, rothen, schwarzen, gelben Büchern sei kein Land so fruchtbar wie
Sachsen. Der Gesichtspunkt, der statt dessen heute gilt und wonach die Höhe
der Abgaben ihre Rechtfertigung in den Gegenleistungen des Staates hat,
kommt ihm freilich nicht zum Bewußtsein. Dagegen ist ihm der außerordent¬
liche Vortheil deutlich, den die große Erweiterung des Marktes für die Pro-
duction in Sachsen haben müsse. Endlich kann dem Manne von 1813 auch
zur Vertheidigung der preußischen Wchrversassung das richtige Argument nicht
fehlen, wenn er es auch etwas drastisch an den Mann bringt. „Denken wir
nur an die Möglichkeit, daß über kurz oder lang wieder ein tollkühner Menschen¬
fresser, er sei nun wirklich zum Throne oder eigentlich zum Bandrtenhandwerk
geboren, uns überfallen und in neue Fesseln schmieden kann, wer muß da
nicht die Weisheit und Vorsicht einer Regierung segnen und preisen, welche in
Zeiten solch schrecklichem Unfuge zu steuern und jedem räuberischen Anfalle
kräftig zu begegnen, ihm gleich in der Geburt das Genick einzudrücken sucht."
Daß aber könne nie durch Miethlinge, sondern allein durch das Mark der
Staatsbürger selbst geschehen. Wie groß übrigens der Unterschied der Opfer-
bereitschafl fürs Baterland bei den Preußen und bei den Sachsen sei, das habe
das Jahr der nationalen Erhebung gezeigt. Dort seien Hunderte von Jüng¬
lingen aus den edelsten Geschlechtern als Gemeine mit in den heiligen Krieg


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/396>, abgerufen am 22.07.2024.