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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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im Volke neben dem äußeren Kampfe der Waffen der schwerere innere Kampf
nationaler Begeisterung und sächsischer Untcrthanenpflicht. "Von allen Tyran¬
neien die ärgste ist die, welche verbietet, den besten Gefühlen des Herzens zu
folgen und zwingt zu thun, wogegen sie sich empören. Gezwungen zu werden,
zu sündigen, sich vor sich selbst und der Welt herabzuwürdigen, ist ein Schick¬
sal, welches auch die heiligsten Bande zerreißt;--und wäre nach der leip¬
ziger Schlacht eine Veränderung der Dynastie proclamirt worden, so hätte die
Wehmuth des Andenkens an verflossene milde Zeiten und die Trauer über den
Fall lange verehrter Majestät nur bei wenigen die Freude getrübt, jetzt auf-
zuathmen, je-tzt frei, preußisch und deutsch handeln zu können/' Das sind Nie-
buhrs Worte/) "Während den Sachsen" -- so spricht sich eine andere Schrift
aus") -- "alle ihre ausgezeichneten Thaten in den neuesten Feldzügen mehr
zum Vorwurf bei ihren deutschen Brüdern als zur Ehre angerechnet werden;
während die Sachsen mit mehr als zwanzigjährigen unablässigen Anstrengungen
für ihre Bundesgenossen nichts für sich errungen, vielleicht gar ihre nationale
Existenz verloren haben, zerbricht kühn der Preuße seine Fesseln und schwingt
sich mit einigen kräftigen Streichen hoch über seine Unterdrücker, und höher
als seine Adler jemals zu fliegen wagten. Wie sehr offenbart also die Ge¬
schichte aller Zeiten, daß die Nationen zu ihrer Bildung für ausgezeichnete
Thaten kräftiger, mit dem Geist ihres Volkes innig vertrauter Führer und einer
unerschrockenen Leitung zu großen Zwecken bedürfen. Gewiß und wahrhaftig
wird sich dies auch früher oder später an den Sachsen bewähren, und darum
sollte der Sachse auch ruhiger sein über die Art und Weise, wie jetzt die Erd¬
scholle, worauf er geboren, in der politischen Wagschale vertheilet werden möge.
Jetzt steht er verarmt, verkannt und entnervt im Hintergrunde unter seinen
Brüdern. Bleibt er in dieser Stellung, so gehen seine schönsten Fähigkeiten
verloren. Er kann daher fast bei jeder Veränderung derselben nur gewinnen."

Aber solche Erfahrungen, wie sie im Jahre 1813 in Sachsen gemacht wur¬
den, verwirren und verwüsten die Herzen. Sie haben einerseits hartnäckiges
Festhalten am. alten Regime, für das sich so viele geopfert hatten, andererseits
Auflehnung und Intriguen gegen die neue Ordnung großgezogen.

In dem ersten Jahre des Interims der fremden Verwaltung war die
Stimmung in der That so, daß einsichtige Darlegungen der Vortheile einer
Regierungsveränderung Boden fanden. Freilich lassen auch diese Kundgebungen
deutlich empfinden, wie verhängnißvoll es war, daß nicht sofort nach gethaner
Kriezsarbeit definitive Thatsachen geschaffen wurden. In dieser Beziehung ist
eine ausführliche ziemlich pedantisch geschriebene Expectoration von Interesse, die
den Titel führt: "Blicke auf Sachsen, seinen König und sein Volk.




") In seiner Schrift: "Preußens Recht gegen den sächsischen Hof." Berlin, 1814.
""
) "Heitere Blicke auf Sachsens Zukunft. August 1814.

im Volke neben dem äußeren Kampfe der Waffen der schwerere innere Kampf
nationaler Begeisterung und sächsischer Untcrthanenpflicht. „Von allen Tyran¬
neien die ärgste ist die, welche verbietet, den besten Gefühlen des Herzens zu
folgen und zwingt zu thun, wogegen sie sich empören. Gezwungen zu werden,
zu sündigen, sich vor sich selbst und der Welt herabzuwürdigen, ist ein Schick¬
sal, welches auch die heiligsten Bande zerreißt;--und wäre nach der leip¬
ziger Schlacht eine Veränderung der Dynastie proclamirt worden, so hätte die
Wehmuth des Andenkens an verflossene milde Zeiten und die Trauer über den
Fall lange verehrter Majestät nur bei wenigen die Freude getrübt, jetzt auf-
zuathmen, je-tzt frei, preußisch und deutsch handeln zu können/' Das sind Nie-
buhrs Worte/) „Während den Sachsen" — so spricht sich eine andere Schrift
aus") — „alle ihre ausgezeichneten Thaten in den neuesten Feldzügen mehr
zum Vorwurf bei ihren deutschen Brüdern als zur Ehre angerechnet werden;
während die Sachsen mit mehr als zwanzigjährigen unablässigen Anstrengungen
für ihre Bundesgenossen nichts für sich errungen, vielleicht gar ihre nationale
Existenz verloren haben, zerbricht kühn der Preuße seine Fesseln und schwingt
sich mit einigen kräftigen Streichen hoch über seine Unterdrücker, und höher
als seine Adler jemals zu fliegen wagten. Wie sehr offenbart also die Ge¬
schichte aller Zeiten, daß die Nationen zu ihrer Bildung für ausgezeichnete
Thaten kräftiger, mit dem Geist ihres Volkes innig vertrauter Führer und einer
unerschrockenen Leitung zu großen Zwecken bedürfen. Gewiß und wahrhaftig
wird sich dies auch früher oder später an den Sachsen bewähren, und darum
sollte der Sachse auch ruhiger sein über die Art und Weise, wie jetzt die Erd¬
scholle, worauf er geboren, in der politischen Wagschale vertheilet werden möge.
Jetzt steht er verarmt, verkannt und entnervt im Hintergrunde unter seinen
Brüdern. Bleibt er in dieser Stellung, so gehen seine schönsten Fähigkeiten
verloren. Er kann daher fast bei jeder Veränderung derselben nur gewinnen."

Aber solche Erfahrungen, wie sie im Jahre 1813 in Sachsen gemacht wur¬
den, verwirren und verwüsten die Herzen. Sie haben einerseits hartnäckiges
Festhalten am. alten Regime, für das sich so viele geopfert hatten, andererseits
Auflehnung und Intriguen gegen die neue Ordnung großgezogen.

In dem ersten Jahre des Interims der fremden Verwaltung war die
Stimmung in der That so, daß einsichtige Darlegungen der Vortheile einer
Regierungsveränderung Boden fanden. Freilich lassen auch diese Kundgebungen
deutlich empfinden, wie verhängnißvoll es war, daß nicht sofort nach gethaner
Kriezsarbeit definitive Thatsachen geschaffen wurden. In dieser Beziehung ist
eine ausführliche ziemlich pedantisch geschriebene Expectoration von Interesse, die
den Titel führt: „Blicke auf Sachsen, seinen König und sein Volk.




") In seiner Schrift: „Preußens Recht gegen den sächsischen Hof." Berlin, 1814.
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[0393] im Volke neben dem äußeren Kampfe der Waffen der schwerere innere Kampf nationaler Begeisterung und sächsischer Untcrthanenpflicht. „Von allen Tyran¬ neien die ärgste ist die, welche verbietet, den besten Gefühlen des Herzens zu folgen und zwingt zu thun, wogegen sie sich empören. Gezwungen zu werden, zu sündigen, sich vor sich selbst und der Welt herabzuwürdigen, ist ein Schick¬ sal, welches auch die heiligsten Bande zerreißt;--und wäre nach der leip¬ ziger Schlacht eine Veränderung der Dynastie proclamirt worden, so hätte die Wehmuth des Andenkens an verflossene milde Zeiten und die Trauer über den Fall lange verehrter Majestät nur bei wenigen die Freude getrübt, jetzt auf- zuathmen, je-tzt frei, preußisch und deutsch handeln zu können/' Das sind Nie- buhrs Worte/) „Während den Sachsen" — so spricht sich eine andere Schrift aus") — „alle ihre ausgezeichneten Thaten in den neuesten Feldzügen mehr zum Vorwurf bei ihren deutschen Brüdern als zur Ehre angerechnet werden; während die Sachsen mit mehr als zwanzigjährigen unablässigen Anstrengungen für ihre Bundesgenossen nichts für sich errungen, vielleicht gar ihre nationale Existenz verloren haben, zerbricht kühn der Preuße seine Fesseln und schwingt sich mit einigen kräftigen Streichen hoch über seine Unterdrücker, und höher als seine Adler jemals zu fliegen wagten. Wie sehr offenbart also die Ge¬ schichte aller Zeiten, daß die Nationen zu ihrer Bildung für ausgezeichnete Thaten kräftiger, mit dem Geist ihres Volkes innig vertrauter Führer und einer unerschrockenen Leitung zu großen Zwecken bedürfen. Gewiß und wahrhaftig wird sich dies auch früher oder später an den Sachsen bewähren, und darum sollte der Sachse auch ruhiger sein über die Art und Weise, wie jetzt die Erd¬ scholle, worauf er geboren, in der politischen Wagschale vertheilet werden möge. Jetzt steht er verarmt, verkannt und entnervt im Hintergrunde unter seinen Brüdern. Bleibt er in dieser Stellung, so gehen seine schönsten Fähigkeiten verloren. Er kann daher fast bei jeder Veränderung derselben nur gewinnen." Aber solche Erfahrungen, wie sie im Jahre 1813 in Sachsen gemacht wur¬ den, verwirren und verwüsten die Herzen. Sie haben einerseits hartnäckiges Festhalten am. alten Regime, für das sich so viele geopfert hatten, andererseits Auflehnung und Intriguen gegen die neue Ordnung großgezogen. In dem ersten Jahre des Interims der fremden Verwaltung war die Stimmung in der That so, daß einsichtige Darlegungen der Vortheile einer Regierungsveränderung Boden fanden. Freilich lassen auch diese Kundgebungen deutlich empfinden, wie verhängnißvoll es war, daß nicht sofort nach gethaner Kriezsarbeit definitive Thatsachen geschaffen wurden. In dieser Beziehung ist eine ausführliche ziemlich pedantisch geschriebene Expectoration von Interesse, die den Titel führt: „Blicke auf Sachsen, seinen König und sein Volk. ") In seiner Schrift: „Preußens Recht gegen den sächsischen Hof." Berlin, 1814. "" ) „Heitere Blicke auf Sachsens Zukunft. August 1814.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/393>, abgerufen am 25.08.2024.