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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Daß des königlichen Herrn ehrliche Meinung gewesen ist. dieser verhcingniß-
volle Schritt werde dem Wohl des Landes entsprechen, wie er es ansieht, das
bezweifeln wir keinen Augenblick, wenn wir auch läugnen, daß dasselbe von
seinem vornehmsten Berather gilt. Die Proclamation, die er seinem Volke zu¬
rückließ, als er über die Landesgrenze ging, erinnert daran, daß Ehrlichkeit
und Gerechtigkeitsliebe der Grund seiner Bedrängniß durch Preußen sei. Speciell
die Schleswig-holsteinische Angelegenheit wird betont. Nur beiläufig mag zur
Charakterisirung der sächsischen Politik in diesem Punkte darauf hingewiesen wer¬
den, daß sie nicht den Entschluß fand, den Prätendenten von Augustenburg
ausdrücklich anzuerkennen, dessen Rechte sie doch befürwortete, und daß diese
Unterlassung ihr ein gutes Theil Schuld an der Zeitigung seines Ausganges
zuspricht. Auch hier hatte formale Rechtsanschauung entschieden. Man erklärte
die Frage für Bundessache. Niemand würde das Verfahren bemängeln, ge¬
dächte man nicht der Zeit, da das sächsische Cabinet dem londoner Protokoll,
das Dänemark ihm vorlegte, einseitig, von Macht zu Macht, seine Sanction
gab. Der Augustenburger ist gefallen trotz des verbrieften Rechtes. Objectiv be¬
trachtet ist dies Recht genau noch dasselbe wie vor Jahren; kein Ehrlicher, der es
zu Anfang anerkannt, wird es heute verläugnen. Aber er stand auf ihm wie der
Hebräer von Venedig auf seinem Scheine. Da er particularistisch wollte'
was national zu verstehen seine Pflicht war, hat er das Recht zu seinem
Rechte, die Würdigkeit es zu genießen, verscherzt. Denn in allen geschichtlichen
Dingen ist das formale Recht nichts als eine Möglichkeit; Bestätigung und sitt¬
liche Macht erhält es erst durch den Sinn seines Gebrauchs.

Das Schicksal des Mannes von Düsternbrook ist mit Nichten blos eine
traurige Episode. Es ist überaus lehrreich. Er war getragen vom Wohlwollen
deß Volkes, das ihn sich zum Regenten begehrte mit rücksichtsloser Hartköpsig-
keit. Ist aber die Arbeit der nächsten Jahre preußischer Organisation in Schles¬
wig-Holstein erst überstanden, dann wird dasselbe Volk einsehn, daß es so besser
ist. als wenn ihm sein kurzsichtiger Wille gethan worden wäre. Auch Völker
können irren in ihrer politischen Einsicht. Darüber nachzudenken giebt grade
uns Sachsen eben jetzt jeder Tag Anlaß genug.

Der Conflict der Legitimitätsjuristerei mit der lebendigen nationalen
Politik wird in den künftigen Jahren in Deutschland unendlich oft wiederkehren.
Bei uns ist er heute schon aufs lebhafteste entbrannt und er wird geschärft
durch die irrationalen Mächte privater Sympathien und Vorurtheile. Bereits
durchlebte Erfahrungen aber sollen den Völkern wie den Individuen nie ver¬
loren sein. Darum hat es Interesse für uns. der Stimmungen zu gedenken,
wie sie in ähnlicher Situation der Vergangenheit sich kund gaben.

Im Anfange der Zeit, in welcher das alte politische System zu Grunde
ging, dessen Ueberbleibsel unsre Kleinstaaten sind, wurde ein leipziger Professor,


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Daß des königlichen Herrn ehrliche Meinung gewesen ist. dieser verhcingniß-
volle Schritt werde dem Wohl des Landes entsprechen, wie er es ansieht, das
bezweifeln wir keinen Augenblick, wenn wir auch läugnen, daß dasselbe von
seinem vornehmsten Berather gilt. Die Proclamation, die er seinem Volke zu¬
rückließ, als er über die Landesgrenze ging, erinnert daran, daß Ehrlichkeit
und Gerechtigkeitsliebe der Grund seiner Bedrängniß durch Preußen sei. Speciell
die Schleswig-holsteinische Angelegenheit wird betont. Nur beiläufig mag zur
Charakterisirung der sächsischen Politik in diesem Punkte darauf hingewiesen wer¬
den, daß sie nicht den Entschluß fand, den Prätendenten von Augustenburg
ausdrücklich anzuerkennen, dessen Rechte sie doch befürwortete, und daß diese
Unterlassung ihr ein gutes Theil Schuld an der Zeitigung seines Ausganges
zuspricht. Auch hier hatte formale Rechtsanschauung entschieden. Man erklärte
die Frage für Bundessache. Niemand würde das Verfahren bemängeln, ge¬
dächte man nicht der Zeit, da das sächsische Cabinet dem londoner Protokoll,
das Dänemark ihm vorlegte, einseitig, von Macht zu Macht, seine Sanction
gab. Der Augustenburger ist gefallen trotz des verbrieften Rechtes. Objectiv be¬
trachtet ist dies Recht genau noch dasselbe wie vor Jahren; kein Ehrlicher, der es
zu Anfang anerkannt, wird es heute verläugnen. Aber er stand auf ihm wie der
Hebräer von Venedig auf seinem Scheine. Da er particularistisch wollte'
was national zu verstehen seine Pflicht war, hat er das Recht zu seinem
Rechte, die Würdigkeit es zu genießen, verscherzt. Denn in allen geschichtlichen
Dingen ist das formale Recht nichts als eine Möglichkeit; Bestätigung und sitt¬
liche Macht erhält es erst durch den Sinn seines Gebrauchs.

Das Schicksal des Mannes von Düsternbrook ist mit Nichten blos eine
traurige Episode. Es ist überaus lehrreich. Er war getragen vom Wohlwollen
deß Volkes, das ihn sich zum Regenten begehrte mit rücksichtsloser Hartköpsig-
keit. Ist aber die Arbeit der nächsten Jahre preußischer Organisation in Schles¬
wig-Holstein erst überstanden, dann wird dasselbe Volk einsehn, daß es so besser
ist. als wenn ihm sein kurzsichtiger Wille gethan worden wäre. Auch Völker
können irren in ihrer politischen Einsicht. Darüber nachzudenken giebt grade
uns Sachsen eben jetzt jeder Tag Anlaß genug.

Der Conflict der Legitimitätsjuristerei mit der lebendigen nationalen
Politik wird in den künftigen Jahren in Deutschland unendlich oft wiederkehren.
Bei uns ist er heute schon aufs lebhafteste entbrannt und er wird geschärft
durch die irrationalen Mächte privater Sympathien und Vorurtheile. Bereits
durchlebte Erfahrungen aber sollen den Völkern wie den Individuen nie ver¬
loren sein. Darum hat es Interesse für uns. der Stimmungen zu gedenken,
wie sie in ähnlicher Situation der Vergangenheit sich kund gaben.

Im Anfange der Zeit, in welcher das alte politische System zu Grunde
ging, dessen Ueberbleibsel unsre Kleinstaaten sind, wurde ein leipziger Professor,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/391>, abgerufen am 22.07.2024.