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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Manches erhielt so, obwohl ungedruckt, noch bei Lebzeiten Michelangelos eine
notorische Oeffentlichkeit, so daß die Akademiker der Crusca Sonette von ihm
zum Gegenstand gelehrter Abhandlungen machen konnten. Gelegentlich kam
auch einiges Wenige zum Druck, während die Freunde sich inzwischen Samm¬
lungen anlegten und bereits auch an eine Herausgabe gedacht wurde. So ver¬
spricht Condivi am Schluß seiner Lebensbeschreibung Michelangelos, in Kurzem
eine Anzahl Sonette und Madrigale herauszugeben, die er seit langer Zeit theils
vom Meister selbst, theils von anderen gesammelt. Man weiß nicht, warum
der Plan unausgeführt blieb. Eine große Zahl von Autographen befand sich
in der Hand des Luigi del Riccio. der, zu Rom im Bankhaus Strozzi angestellt,
viel Sinn für Kunst und Literatur hatte und mit Michelangelo sehr befreundet
war. Ein Theil gelangte in den Besitz eines Fulvio Orsino. und kam von
hier in die vaticanische Bibliothek, wo sie sich noch befinden. Die übrigen
brachte mit vieler Mühe der Großneffe des Künstlers, Michelangelo der Jüngere
(geb. 1668), an sich, und vereinigte sie nebst den Handzeichnungen in der Lass,
Luoriarroti in Florenz, die er überhaupt zu einem Museum von Reliquien
seines großen Vorfahren herrichtete. Was er nicht mehr erwerben konnte, wie
die vaticanischen Handschriften, schrieb er eigenhändig ab und suchte so in den
Besitz des vollständigen Materials zu kommen, auf Grund dessen er nun end-
lich zur Herausgabe schritt. Die Sammlung erschien im Jahr 1623. Ueber
sein Verfahren bemerkt er in der Vorrede nichts weiter, als daß er nach Ver-
gleichung der Handschriften die geeignetsten und entschiedensten Lesarten aus"
gewählt habe, da sich darunter viele zweifelhafte und dunkle, gleichsam als erste
Concepte befänden. Wie es sich damit verhielt, werden wir sogleich sehen.

Dieser Druck von 1623 ist die Grundlage aller späteren Editionen geblieben,
wie auch der Uebersetzungen, die in unserm Jahrhundert in Deutschland, Eng¬
land und Frankreich gemacht wurden. Eine im Jahr 1817 von Maggiori
(anonym) besorgte Ausgabe enthielt zwar im Anhang eine Reihe von Sonetten
nach der vaticanischen Handschrift, welche bereits ernste Zweifel an der Treue
des ersten Herausgebers rege machen mußten. Allein auffallenderweise nahm
sich niemand die Mühe, den überlieferten Text durchgehends mit dieser Hand¬
schrift zu vergleichen. Dazu waren die Manuscripte in der (Ä8i>> Luouairoti
so gut wie verschollen, sie wurden nur selten gezeigt, geschweige zu einer kritischen
Bearbeitung benutzt. Sie blieben ein todter Schatz, bis im Jahr 1868 der
Tod des Staatsraths Cosimo Buonarroti Aussicht gab. daß das werthvolle
Material nicht länger mehr der Oeffentlichkeit vorenthalten werde.

Dieser Buonarroti verordnete in seinem Testament, daß das ganze Haus
mit seinem Inhalt in das Eigenthum der Stadt Florenz übergehen und unter
die Verwaltung des Direktors der Staatsgalerie, des Gonfaloniere der Stadt
und des Bibliothekars der Laurenziana gestellt werden solle. Zwar enthielt


Manches erhielt so, obwohl ungedruckt, noch bei Lebzeiten Michelangelos eine
notorische Oeffentlichkeit, so daß die Akademiker der Crusca Sonette von ihm
zum Gegenstand gelehrter Abhandlungen machen konnten. Gelegentlich kam
auch einiges Wenige zum Druck, während die Freunde sich inzwischen Samm¬
lungen anlegten und bereits auch an eine Herausgabe gedacht wurde. So ver¬
spricht Condivi am Schluß seiner Lebensbeschreibung Michelangelos, in Kurzem
eine Anzahl Sonette und Madrigale herauszugeben, die er seit langer Zeit theils
vom Meister selbst, theils von anderen gesammelt. Man weiß nicht, warum
der Plan unausgeführt blieb. Eine große Zahl von Autographen befand sich
in der Hand des Luigi del Riccio. der, zu Rom im Bankhaus Strozzi angestellt,
viel Sinn für Kunst und Literatur hatte und mit Michelangelo sehr befreundet
war. Ein Theil gelangte in den Besitz eines Fulvio Orsino. und kam von
hier in die vaticanische Bibliothek, wo sie sich noch befinden. Die übrigen
brachte mit vieler Mühe der Großneffe des Künstlers, Michelangelo der Jüngere
(geb. 1668), an sich, und vereinigte sie nebst den Handzeichnungen in der Lass,
Luoriarroti in Florenz, die er überhaupt zu einem Museum von Reliquien
seines großen Vorfahren herrichtete. Was er nicht mehr erwerben konnte, wie
die vaticanischen Handschriften, schrieb er eigenhändig ab und suchte so in den
Besitz des vollständigen Materials zu kommen, auf Grund dessen er nun end-
lich zur Herausgabe schritt. Die Sammlung erschien im Jahr 1623. Ueber
sein Verfahren bemerkt er in der Vorrede nichts weiter, als daß er nach Ver-
gleichung der Handschriften die geeignetsten und entschiedensten Lesarten aus»
gewählt habe, da sich darunter viele zweifelhafte und dunkle, gleichsam als erste
Concepte befänden. Wie es sich damit verhielt, werden wir sogleich sehen.

Dieser Druck von 1623 ist die Grundlage aller späteren Editionen geblieben,
wie auch der Uebersetzungen, die in unserm Jahrhundert in Deutschland, Eng¬
land und Frankreich gemacht wurden. Eine im Jahr 1817 von Maggiori
(anonym) besorgte Ausgabe enthielt zwar im Anhang eine Reihe von Sonetten
nach der vaticanischen Handschrift, welche bereits ernste Zweifel an der Treue
des ersten Herausgebers rege machen mußten. Allein auffallenderweise nahm
sich niemand die Mühe, den überlieferten Text durchgehends mit dieser Hand¬
schrift zu vergleichen. Dazu waren die Manuscripte in der (Ä8i>> Luouairoti
so gut wie verschollen, sie wurden nur selten gezeigt, geschweige zu einer kritischen
Bearbeitung benutzt. Sie blieben ein todter Schatz, bis im Jahr 1868 der
Tod des Staatsraths Cosimo Buonarroti Aussicht gab. daß das werthvolle
Material nicht länger mehr der Oeffentlichkeit vorenthalten werde.

Dieser Buonarroti verordnete in seinem Testament, daß das ganze Haus
mit seinem Inhalt in das Eigenthum der Stadt Florenz übergehen und unter
die Verwaltung des Direktors der Staatsgalerie, des Gonfaloniere der Stadt
und des Bibliothekars der Laurenziana gestellt werden solle. Zwar enthielt


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[0039] Manches erhielt so, obwohl ungedruckt, noch bei Lebzeiten Michelangelos eine notorische Oeffentlichkeit, so daß die Akademiker der Crusca Sonette von ihm zum Gegenstand gelehrter Abhandlungen machen konnten. Gelegentlich kam auch einiges Wenige zum Druck, während die Freunde sich inzwischen Samm¬ lungen anlegten und bereits auch an eine Herausgabe gedacht wurde. So ver¬ spricht Condivi am Schluß seiner Lebensbeschreibung Michelangelos, in Kurzem eine Anzahl Sonette und Madrigale herauszugeben, die er seit langer Zeit theils vom Meister selbst, theils von anderen gesammelt. Man weiß nicht, warum der Plan unausgeführt blieb. Eine große Zahl von Autographen befand sich in der Hand des Luigi del Riccio. der, zu Rom im Bankhaus Strozzi angestellt, viel Sinn für Kunst und Literatur hatte und mit Michelangelo sehr befreundet war. Ein Theil gelangte in den Besitz eines Fulvio Orsino. und kam von hier in die vaticanische Bibliothek, wo sie sich noch befinden. Die übrigen brachte mit vieler Mühe der Großneffe des Künstlers, Michelangelo der Jüngere (geb. 1668), an sich, und vereinigte sie nebst den Handzeichnungen in der Lass, Luoriarroti in Florenz, die er überhaupt zu einem Museum von Reliquien seines großen Vorfahren herrichtete. Was er nicht mehr erwerben konnte, wie die vaticanischen Handschriften, schrieb er eigenhändig ab und suchte so in den Besitz des vollständigen Materials zu kommen, auf Grund dessen er nun end- lich zur Herausgabe schritt. Die Sammlung erschien im Jahr 1623. Ueber sein Verfahren bemerkt er in der Vorrede nichts weiter, als daß er nach Ver- gleichung der Handschriften die geeignetsten und entschiedensten Lesarten aus» gewählt habe, da sich darunter viele zweifelhafte und dunkle, gleichsam als erste Concepte befänden. Wie es sich damit verhielt, werden wir sogleich sehen. Dieser Druck von 1623 ist die Grundlage aller späteren Editionen geblieben, wie auch der Uebersetzungen, die in unserm Jahrhundert in Deutschland, Eng¬ land und Frankreich gemacht wurden. Eine im Jahr 1817 von Maggiori (anonym) besorgte Ausgabe enthielt zwar im Anhang eine Reihe von Sonetten nach der vaticanischen Handschrift, welche bereits ernste Zweifel an der Treue des ersten Herausgebers rege machen mußten. Allein auffallenderweise nahm sich niemand die Mühe, den überlieferten Text durchgehends mit dieser Hand¬ schrift zu vergleichen. Dazu waren die Manuscripte in der (Ä8i>> Luouairoti so gut wie verschollen, sie wurden nur selten gezeigt, geschweige zu einer kritischen Bearbeitung benutzt. Sie blieben ein todter Schatz, bis im Jahr 1868 der Tod des Staatsraths Cosimo Buonarroti Aussicht gab. daß das werthvolle Material nicht länger mehr der Oeffentlichkeit vorenthalten werde. Dieser Buonarroti verordnete in seinem Testament, daß das ganze Haus mit seinem Inhalt in das Eigenthum der Stadt Florenz übergehen und unter die Verwaltung des Direktors der Staatsgalerie, des Gonfaloniere der Stadt und des Bibliothekars der Laurenziana gestellt werden solle. Zwar enthielt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/39>, abgerufen am 22.07.2024.