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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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waren Störungen ausgesetzt, der Zug konnte eine Strecke weit beschossen werden,
und es kam mehre Male dazu, so daß er umwendete. Wahrscheinlich be¬
nutzte man später die Nacht. Auch ein Ausfall aus Mainz war immerhin
möglich. So erhielten sich die Gerüchte, daß die Preußen nächstens etwas
gegen die Festung unternehmen müßten, um in der Gegend freie Hand zu
haben. Aber wer kühler urtheilte, erwartete das Gegentheil. Bei der stärkeren
Besatzung, der Armirung und anderen Vorsichtsmaßregeln in der Festung konnte
eine Überrumpelung nicht mehr gelingen und bei einem wnklichen Angriff die
nöthige Stärke aufs Ungewisse daran zu setzen, war auch bedenklich. Und
warum sollte Preußen seine Truppen zersplittern, die es anderwärts besser ge¬
brauchen konnte, wozu sich Verlusten aussetzen und einen Platz beschädigen, in
dem es selbst so viel Eigenthum hatte? Und war die Lage nicht bereits so,
daß Mainz ihm über kurz oder lang von selbst zufallen mußte? War Preußen
Herr seiner Gegner, wer wollte es noch an der Besitzergreifung hindern? Es
gab für den denkenden Menschenfreund ein kleines, Wohl zu beachtendes An¬
zeichen dafür: dem preußischen Militärcasino in Mainz wurde grade ein drittes
Stockwerk aufgesetzt, als die Verwirrung begann und die preußischen Truppen
die Festung verließen. Nun, an dem Bau wurde nach wie vor fortgearbeitet.
Während wir unten aufgeregt bliesen, trommelten und patrouillirten, setzten die
Preußen über uns unbeirrt Stein auf Stein, Balken auf Balken zu ihrem
vergnüglichen Clubhaus, als ginge sie die ganze Tragödie unten gar nichts
an. Es ergab sich denn auch, daß die kleinen Neckereien von den Preußen
durchaus nicht ernstlich gemeint waren; sie wollten höchstens die Besatzung ein
wenig beschäftigen und Ernsteres maskiren.

Auf der anderen Seite war freilich der mainzer leitenden Militärbehörde
geboten, sich auf alles gefaßt zu halten, und es gebührt ihr in dieser Be¬
ziehung die vollste Anerkennung. Zur Sicherung des Platzes wurde das Mög¬
liche geleistet, soweit Kräfte und Mittel reichten. Es geschah jetzt wohl in
wenigen Wochen mehr als sonst in Jahren. Namentlich hat der derzeitige
Commandant, Oberst v. Buch, das Seine redlich gethan, denn auf ihm lastete
das Meiste. Das wird von allen, die mit den Verhältnissen vertraut sind, an¬
erkannt werden müssen. Er behielt auch das Commando bei, als mit den
hessischen Generalen im Range Höhere in die Festung kamen, die sich seinen
Anordnungen unterziehen mußten.

Das so lange an Frieden gewöhnte Mainz erlitt freilich, wenn man es
auch möglichst schonen wollte, manche Störung und Einbuße: beim Rasiren
mußten im Rayon der Außenwerke die herrlichsten Alleen, die schönsten Obst-
bäume, großentheils mit Früchten reich behängen, den Hieben der Axt erliegen,
und nur kurze Stummel bezeichneten noch die Stelle, wo sie vor kurzem ge¬
blüht und kühlenden Schatten gewährt hatten. Mehre Thore nach der Rhein-


waren Störungen ausgesetzt, der Zug konnte eine Strecke weit beschossen werden,
und es kam mehre Male dazu, so daß er umwendete. Wahrscheinlich be¬
nutzte man später die Nacht. Auch ein Ausfall aus Mainz war immerhin
möglich. So erhielten sich die Gerüchte, daß die Preußen nächstens etwas
gegen die Festung unternehmen müßten, um in der Gegend freie Hand zu
haben. Aber wer kühler urtheilte, erwartete das Gegentheil. Bei der stärkeren
Besatzung, der Armirung und anderen Vorsichtsmaßregeln in der Festung konnte
eine Überrumpelung nicht mehr gelingen und bei einem wnklichen Angriff die
nöthige Stärke aufs Ungewisse daran zu setzen, war auch bedenklich. Und
warum sollte Preußen seine Truppen zersplittern, die es anderwärts besser ge¬
brauchen konnte, wozu sich Verlusten aussetzen und einen Platz beschädigen, in
dem es selbst so viel Eigenthum hatte? Und war die Lage nicht bereits so,
daß Mainz ihm über kurz oder lang von selbst zufallen mußte? War Preußen
Herr seiner Gegner, wer wollte es noch an der Besitzergreifung hindern? Es
gab für den denkenden Menschenfreund ein kleines, Wohl zu beachtendes An¬
zeichen dafür: dem preußischen Militärcasino in Mainz wurde grade ein drittes
Stockwerk aufgesetzt, als die Verwirrung begann und die preußischen Truppen
die Festung verließen. Nun, an dem Bau wurde nach wie vor fortgearbeitet.
Während wir unten aufgeregt bliesen, trommelten und patrouillirten, setzten die
Preußen über uns unbeirrt Stein auf Stein, Balken auf Balken zu ihrem
vergnüglichen Clubhaus, als ginge sie die ganze Tragödie unten gar nichts
an. Es ergab sich denn auch, daß die kleinen Neckereien von den Preußen
durchaus nicht ernstlich gemeint waren; sie wollten höchstens die Besatzung ein
wenig beschäftigen und Ernsteres maskiren.

Auf der anderen Seite war freilich der mainzer leitenden Militärbehörde
geboten, sich auf alles gefaßt zu halten, und es gebührt ihr in dieser Be¬
ziehung die vollste Anerkennung. Zur Sicherung des Platzes wurde das Mög¬
liche geleistet, soweit Kräfte und Mittel reichten. Es geschah jetzt wohl in
wenigen Wochen mehr als sonst in Jahren. Namentlich hat der derzeitige
Commandant, Oberst v. Buch, das Seine redlich gethan, denn auf ihm lastete
das Meiste. Das wird von allen, die mit den Verhältnissen vertraut sind, an¬
erkannt werden müssen. Er behielt auch das Commando bei, als mit den
hessischen Generalen im Range Höhere in die Festung kamen, die sich seinen
Anordnungen unterziehen mußten.

Das so lange an Frieden gewöhnte Mainz erlitt freilich, wenn man es
auch möglichst schonen wollte, manche Störung und Einbuße: beim Rasiren
mußten im Rayon der Außenwerke die herrlichsten Alleen, die schönsten Obst-
bäume, großentheils mit Früchten reich behängen, den Hieben der Axt erliegen,
und nur kurze Stummel bezeichneten noch die Stelle, wo sie vor kurzem ge¬
blüht und kühlenden Schatten gewährt hatten. Mehre Thore nach der Rhein-


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[0380] waren Störungen ausgesetzt, der Zug konnte eine Strecke weit beschossen werden, und es kam mehre Male dazu, so daß er umwendete. Wahrscheinlich be¬ nutzte man später die Nacht. Auch ein Ausfall aus Mainz war immerhin möglich. So erhielten sich die Gerüchte, daß die Preußen nächstens etwas gegen die Festung unternehmen müßten, um in der Gegend freie Hand zu haben. Aber wer kühler urtheilte, erwartete das Gegentheil. Bei der stärkeren Besatzung, der Armirung und anderen Vorsichtsmaßregeln in der Festung konnte eine Überrumpelung nicht mehr gelingen und bei einem wnklichen Angriff die nöthige Stärke aufs Ungewisse daran zu setzen, war auch bedenklich. Und warum sollte Preußen seine Truppen zersplittern, die es anderwärts besser ge¬ brauchen konnte, wozu sich Verlusten aussetzen und einen Platz beschädigen, in dem es selbst so viel Eigenthum hatte? Und war die Lage nicht bereits so, daß Mainz ihm über kurz oder lang von selbst zufallen mußte? War Preußen Herr seiner Gegner, wer wollte es noch an der Besitzergreifung hindern? Es gab für den denkenden Menschenfreund ein kleines, Wohl zu beachtendes An¬ zeichen dafür: dem preußischen Militärcasino in Mainz wurde grade ein drittes Stockwerk aufgesetzt, als die Verwirrung begann und die preußischen Truppen die Festung verließen. Nun, an dem Bau wurde nach wie vor fortgearbeitet. Während wir unten aufgeregt bliesen, trommelten und patrouillirten, setzten die Preußen über uns unbeirrt Stein auf Stein, Balken auf Balken zu ihrem vergnüglichen Clubhaus, als ginge sie die ganze Tragödie unten gar nichts an. Es ergab sich denn auch, daß die kleinen Neckereien von den Preußen durchaus nicht ernstlich gemeint waren; sie wollten höchstens die Besatzung ein wenig beschäftigen und Ernsteres maskiren. Auf der anderen Seite war freilich der mainzer leitenden Militärbehörde geboten, sich auf alles gefaßt zu halten, und es gebührt ihr in dieser Be¬ ziehung die vollste Anerkennung. Zur Sicherung des Platzes wurde das Mög¬ liche geleistet, soweit Kräfte und Mittel reichten. Es geschah jetzt wohl in wenigen Wochen mehr als sonst in Jahren. Namentlich hat der derzeitige Commandant, Oberst v. Buch, das Seine redlich gethan, denn auf ihm lastete das Meiste. Das wird von allen, die mit den Verhältnissen vertraut sind, an¬ erkannt werden müssen. Er behielt auch das Commando bei, als mit den hessischen Generalen im Range Höhere in die Festung kamen, die sich seinen Anordnungen unterziehen mußten. Das so lange an Frieden gewöhnte Mainz erlitt freilich, wenn man es auch möglichst schonen wollte, manche Störung und Einbuße: beim Rasiren mußten im Rayon der Außenwerke die herrlichsten Alleen, die schönsten Obst- bäume, großentheils mit Früchten reich behängen, den Hieben der Axt erliegen, und nur kurze Stummel bezeichneten noch die Stelle, wo sie vor kurzem ge¬ blüht und kühlenden Schatten gewährt hatten. Mehre Thore nach der Rhein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/380>, abgerufen am 22.07.2024.