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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Halter mehr aufzuschließen und hab die Schlüssel nit gleich finden können!" --
Wäre es nicht gerathener und kürzer gewesen, die betreffenden Schlüssel dem
Offizier der nächsten Wache zu übergeben?

Auch beim Allarmiren war nicht alles in der Ordnung. Kanonenschüsse
sollten von der Citadelle das erste Signal geben, die Spielleute der Wache und
Garnison sollten dann sofort blasend und trommelnd die Straßen durchziehen.
Aber es kam grade entgegengesetzt: erst machten die Spielleute sehr eifrig ihr
Geräusch und wohl eine halbe Stunde später, als fast alles sich gesammelt
hatte, donnerten die Kanonen. -- Bewundernswerthe Praxis und Geschicklich-
keit bewährten dabei die Kurhessen. Kaum fünf bis sechs Minuten nach dem
Signal stand das Bataillon fix und fertig in Reih und Glied im Kasernenhofe.
Das war ihnen in ihren Garnisonen gelernt worden, denn bekanntlich wurde
wohl in keiner Bundestruppe so viel allarmirt, als in Hessen, namentlich in
Kassel, wo der Kriegsherr selbst sich daraus ein besonderes Vergnügen machte.

Auch der präsumtive Thronfolger der Hessen, Prinz Friedrich -- von
Numpenheim genannt -- hielt sich mit Gemahlin in Mainz auf und wohnte
im Schlosse. Er trug zwar stets die hessische Uniform, stand aber zu den
Truppen nicht in näherer Beziehung. Er galt für ein Subject und, da ihm
beträchtliche Geldmittel zu Gebote standen, so konnte er seinen unregelmäßigen
Neigungen Lauf lassen, und man erzählte sich davon manches Anstößige. Außer¬
dem waren nicht weniger als sechs Prinzen von Hanau bei den Hessen, eine
Zugabe, die im Allgemeinen nicht gern gesehen wurde. Wer die hessischen
Hosverhältnisse einigermaßen kennt, wird das leicht zu beurtheilen wissen. ---
In ihrer üblen Lage benahmen sich die Hessen äußerst tactvoll. So ließen sie
ihre Musikchöre nirgend öffentlich spielen. "So lange er unser Kriegsherr und
ein Gefangener ist -- sagten sie -- ziemt es sich nicht." Nur dreimal wurde
eine Ausnahme gemacht: einmal vor dem Prinzen Friedrich, der es wünschte.
Man entsprach diesem Wunsch unter der Bedingung, daß sich der Prinz in den
Kasernenhof desjenigen Regiments begeben möge, zu dem das Musikcorps ge¬
hörte, da dieses auswärts nicht spielen sollte. Der Prinz kam auch Nachmit¬
tags mit Gemahlin und wurde vom Offiziercorps des betreffenden Regiments
empfangen. Für das hohe Paar hatte man auf der Freitreppe ein Sopha auf¬
gestellt und unten im Hofe war die Musik placirt. Ein andres Mal gab die
Musik des Garderegiments in der "Neuen Anlage" ein Concert gegen Euer6,
das aber hilfsbedürftigen Militärs zu Gute kommen sollte; das dritte Mal
spielte die Musik eines Regiments vor dem Palais des Gouverneurs. Die
andern Musikcorps spielten da und dort, namentlich im nahen Wiesbaden.
Wir konnten das in so ernster Zeit, während eines traurigen Bruderkrieges,
nicht in der Ordnung finden. -- In Mainz selbst wurde bei Appell, beim Auf-
und Einrücken, beim Beziehen der Wachen viel gedudelt und getrommelt. Bei


Halter mehr aufzuschließen und hab die Schlüssel nit gleich finden können!" —
Wäre es nicht gerathener und kürzer gewesen, die betreffenden Schlüssel dem
Offizier der nächsten Wache zu übergeben?

Auch beim Allarmiren war nicht alles in der Ordnung. Kanonenschüsse
sollten von der Citadelle das erste Signal geben, die Spielleute der Wache und
Garnison sollten dann sofort blasend und trommelnd die Straßen durchziehen.
Aber es kam grade entgegengesetzt: erst machten die Spielleute sehr eifrig ihr
Geräusch und wohl eine halbe Stunde später, als fast alles sich gesammelt
hatte, donnerten die Kanonen. — Bewundernswerthe Praxis und Geschicklich-
keit bewährten dabei die Kurhessen. Kaum fünf bis sechs Minuten nach dem
Signal stand das Bataillon fix und fertig in Reih und Glied im Kasernenhofe.
Das war ihnen in ihren Garnisonen gelernt worden, denn bekanntlich wurde
wohl in keiner Bundestruppe so viel allarmirt, als in Hessen, namentlich in
Kassel, wo der Kriegsherr selbst sich daraus ein besonderes Vergnügen machte.

Auch der präsumtive Thronfolger der Hessen, Prinz Friedrich — von
Numpenheim genannt — hielt sich mit Gemahlin in Mainz auf und wohnte
im Schlosse. Er trug zwar stets die hessische Uniform, stand aber zu den
Truppen nicht in näherer Beziehung. Er galt für ein Subject und, da ihm
beträchtliche Geldmittel zu Gebote standen, so konnte er seinen unregelmäßigen
Neigungen Lauf lassen, und man erzählte sich davon manches Anstößige. Außer¬
dem waren nicht weniger als sechs Prinzen von Hanau bei den Hessen, eine
Zugabe, die im Allgemeinen nicht gern gesehen wurde. Wer die hessischen
Hosverhältnisse einigermaßen kennt, wird das leicht zu beurtheilen wissen. —-
In ihrer üblen Lage benahmen sich die Hessen äußerst tactvoll. So ließen sie
ihre Musikchöre nirgend öffentlich spielen. „So lange er unser Kriegsherr und
ein Gefangener ist — sagten sie — ziemt es sich nicht." Nur dreimal wurde
eine Ausnahme gemacht: einmal vor dem Prinzen Friedrich, der es wünschte.
Man entsprach diesem Wunsch unter der Bedingung, daß sich der Prinz in den
Kasernenhof desjenigen Regiments begeben möge, zu dem das Musikcorps ge¬
hörte, da dieses auswärts nicht spielen sollte. Der Prinz kam auch Nachmit¬
tags mit Gemahlin und wurde vom Offiziercorps des betreffenden Regiments
empfangen. Für das hohe Paar hatte man auf der Freitreppe ein Sopha auf¬
gestellt und unten im Hofe war die Musik placirt. Ein andres Mal gab die
Musik des Garderegiments in der „Neuen Anlage" ein Concert gegen Euer6,
das aber hilfsbedürftigen Militärs zu Gute kommen sollte; das dritte Mal
spielte die Musik eines Regiments vor dem Palais des Gouverneurs. Die
andern Musikcorps spielten da und dort, namentlich im nahen Wiesbaden.
Wir konnten das in so ernster Zeit, während eines traurigen Bruderkrieges,
nicht in der Ordnung finden. — In Mainz selbst wurde bei Appell, beim Auf-
und Einrücken, beim Beziehen der Wachen viel gedudelt und getrommelt. Bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/378>, abgerufen am 22.07.2024.