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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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haben. Die Hessen waren natürlich sür eine solche Verwendung nicht sehr ein¬
genommen.

Hessen-Darmstädter sah man nur einige Male ab und zugehen. Dagegen
kamen noch einige würtemberger Truppen, die sich für eine längere Dauer hier
niederließen. Auch Nassauer kamen zum Schluß des Dramas, nachdem endlich
ihr Kriegsherr den andringenden Preußen hatte weichen müssen, die denn auch,
ihm fast auf dem Fuße, in der schönen Sommerresidenz Biberich einrückten.
Die Nassauer brachten nicht weniger als 185 Kranke mit. Kein Arzt, kein
Offizier, nur ein Sergeant war bei diesem traurigen Transport. Sie wurden
in der von Meiningern belegten Kaserne untergebracht und meiningischen Aerzten
zur Behandlung übergeben. Da bereits alle Räume belegt waren, so mußte
ein Theil der nassauer Truppen die außerhalb der Stadt gelegenen Baracken
beziehen oder gar bivouakiren. So brachte denn der Zufall die Mainzer Be¬
satzung zusammen, die im Ganzen 15--16,000 Mann betragen mochte. Aber
auch Oestreicher kamen noch ab und zu auf Besuch. Als am 27. Abends allar-
mirt wurde, da man einen Ueberfall der Preußen vermuthete, rückten nach
Mitternacht zwei starke östreichische Bataillone, Ungarn, ein, die auf den öffent¬
lichen Plätzen und in den benachbarten Straßen bivouaürten. Noch am andern
Morgen bis gegen elf Uhr lagen die Söhne der Pusta auf dem Pflaster, den
Tornister als Kissen, oder an die Häuser gelehnt und auf den Treppen sitzend.
Ein Theil der Einwohner brachte für die Ermüdeten einige Lebensmittel und
Cigarren herbei, sie wurden zwar noch einquartirt, zogen aber gegen Abend
wieder ab. Ständig waren von den Oestreichern noch eine Abtheilung Genie¬
soldaten und ein Theil der Bäckerei, sowie mehre vom Sanitätspersonale.

Wie fast überall im Süden Deutschlands, trat auch in Mainz die Manie
auf, Spione einzufangen. In jedem, der nur einigermaßen von dem gewöhn¬
lichen Aussehen, abwich, wollte man einen.gefährlichen Spion erkennen, von
diesem Fieber war auch die Mainzer Bevölkerung, namentlich die niedrige, heftig
angesteckt. Immer wieder wollte man einen geheimnißvollen Fang gemacht
haben, den man im Triumph vor das Gouvernementsgebäude brachte, vor dem
sich dann im Nu eine Menge im Waffen- und Civilrock versammelte. Es er¬
gab sich gewöhnlich bald, daß der Verdächtige ein armer Wicht war, der sich
zu einem Spion wie der Esel zum Lautenschläger geeignet haben würde. Der
Unsinn war um so größer, als die Fangwuth am stärksten war, während
noch preußische Offiziere, namentlich vom Geniecorps und der Artillerie, in der
Festung weilten. Ueberdies konnten die Preußen, durch Verwandtschaft und
vieljährige Bekanntschaft mit jedem Detail vertraut, alles leicht erfahren, was sie
wissen wollten. Als nun die letzten preußischen Offiziere abgereist waren, wurde
vollends mit allem, was an Preußen erinnerte, tadulg, rasa gemacht und zu
einer festgesetzten Frist mußte jede preußische Seele zum Thore hinaus. Selbst


haben. Die Hessen waren natürlich sür eine solche Verwendung nicht sehr ein¬
genommen.

Hessen-Darmstädter sah man nur einige Male ab und zugehen. Dagegen
kamen noch einige würtemberger Truppen, die sich für eine längere Dauer hier
niederließen. Auch Nassauer kamen zum Schluß des Dramas, nachdem endlich
ihr Kriegsherr den andringenden Preußen hatte weichen müssen, die denn auch,
ihm fast auf dem Fuße, in der schönen Sommerresidenz Biberich einrückten.
Die Nassauer brachten nicht weniger als 185 Kranke mit. Kein Arzt, kein
Offizier, nur ein Sergeant war bei diesem traurigen Transport. Sie wurden
in der von Meiningern belegten Kaserne untergebracht und meiningischen Aerzten
zur Behandlung übergeben. Da bereits alle Räume belegt waren, so mußte
ein Theil der nassauer Truppen die außerhalb der Stadt gelegenen Baracken
beziehen oder gar bivouakiren. So brachte denn der Zufall die Mainzer Be¬
satzung zusammen, die im Ganzen 15—16,000 Mann betragen mochte. Aber
auch Oestreicher kamen noch ab und zu auf Besuch. Als am 27. Abends allar-
mirt wurde, da man einen Ueberfall der Preußen vermuthete, rückten nach
Mitternacht zwei starke östreichische Bataillone, Ungarn, ein, die auf den öffent¬
lichen Plätzen und in den benachbarten Straßen bivouaürten. Noch am andern
Morgen bis gegen elf Uhr lagen die Söhne der Pusta auf dem Pflaster, den
Tornister als Kissen, oder an die Häuser gelehnt und auf den Treppen sitzend.
Ein Theil der Einwohner brachte für die Ermüdeten einige Lebensmittel und
Cigarren herbei, sie wurden zwar noch einquartirt, zogen aber gegen Abend
wieder ab. Ständig waren von den Oestreichern noch eine Abtheilung Genie¬
soldaten und ein Theil der Bäckerei, sowie mehre vom Sanitätspersonale.

Wie fast überall im Süden Deutschlands, trat auch in Mainz die Manie
auf, Spione einzufangen. In jedem, der nur einigermaßen von dem gewöhn¬
lichen Aussehen, abwich, wollte man einen.gefährlichen Spion erkennen, von
diesem Fieber war auch die Mainzer Bevölkerung, namentlich die niedrige, heftig
angesteckt. Immer wieder wollte man einen geheimnißvollen Fang gemacht
haben, den man im Triumph vor das Gouvernementsgebäude brachte, vor dem
sich dann im Nu eine Menge im Waffen- und Civilrock versammelte. Es er¬
gab sich gewöhnlich bald, daß der Verdächtige ein armer Wicht war, der sich
zu einem Spion wie der Esel zum Lautenschläger geeignet haben würde. Der
Unsinn war um so größer, als die Fangwuth am stärksten war, während
noch preußische Offiziere, namentlich vom Geniecorps und der Artillerie, in der
Festung weilten. Ueberdies konnten die Preußen, durch Verwandtschaft und
vieljährige Bekanntschaft mit jedem Detail vertraut, alles leicht erfahren, was sie
wissen wollten. Als nun die letzten preußischen Offiziere abgereist waren, wurde
vollends mit allem, was an Preußen erinnerte, tadulg, rasa gemacht und zu
einer festgesetzten Frist mußte jede preußische Seele zum Thore hinaus. Selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/372>, abgerufen am 25.08.2024.