Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

unvermeidlich zu einem solchen Ergebniß führen. Die erste Folge davon wäre
die Vereinigung Italiens in einen einzigen republikanischen Staat, die zweite,
davon unzertrennlich, der Ausbruch schrecklicher Zwietracht zwischen den hetero¬
genen Bestandtheilen dieser Republik."

Im August resümirte Pralormo von Wien aus: "Das östreichische Cabi-
net ist der Ansicht, daß man in keiner Weise mit dem sogenannten Geist des
Jahrhunderts pactiren dürfe; es ist überzeugt, daß der Krieg zwischen der Mon¬
archie und dem Liberalismus, zwischen der socialen Ordnung und der demago¬
gischen Unordnung ein Krieg auf Leben und Tod ist, und mit der.Vernichtung
der einen oder der anderen endigen muß. Es ist überzeugt, daß jede Idee
einer Transaction absurd ist, und daß jeder Fürst, der sich eines Theils seiner
souveränes beraubt, damit die Waffen bereitet, welche sie ihm ganz entreißen
müssen."

Dazu hielt Oestreich Piemont in völliger polizeilicher Aufsicht. "Ich muß
Eure Excellenz in Kenntniß setzen ," berichtet derselbe Diplomat im Februar
1822, "daß der wiener Hof in den Staaten seiner Majestät die Mittel mög-
ichst vervielfältigt hat, um über alles informire zu werden, was die moralischen
und politischen Tendenzen der Negierung in Piemont und ihrer Unterthanen
betrifft. Fast in jeder bedeutenderen Stadt des Königreichs unterhält der
Wiener Hof geheime Agenten. Außerdem sendet er noch außerordentliche Agen¬
ten nach Piemont, so oft etwas vorkommt, was eine besondere Erwägung zu
verdienen scheint. Daher sehe ich zu meiner großen Ueberraschung, daß das
Wiener Cabinet sich auf eine wahrhaft staunenerregende Weise im Besitz der
kleinsten Thatsachen und der detaillirtesten Notizen über den Charakter, die Ge¬
wohnheiten und politischen Tendenzen vieler unserer Leute befindet. Der Kaiser
Franz interessirte sich persönlich für diese Polizeiberichte, denen man u. a. ent¬
nahm, daß der neue König allgemein verhaßt war, während man Victor Emanuel
überall eine große Anhänglichkeit bewahrte. Man wußte auch, daß der letztere
Wieder nach Turin zurückkehren wollte, was nun Metternich auf jede Weise zu
verhindern suchte. Er fürchtete, daß Karl Felix die Krone wieder seinem weniger
gefügigen Bruder abtreten könnte, und wandte sich im Juli 1822 Sagar an die
Höfe von Berlin und Se. Petersburg, um ihnen vorzustellen, daß die italieni¬
schen Revolutionäre die größten Hoffnungen auf die Rückkehr Victor Emanuels
nach Turin setzen."

Nur in einem Punkt wehrte sich der turiner Hof standhaft gegen die Zu-
wuthungen Oestreichs. Schon seit dem Jahre 1817 war man in Wien bemüht.
PostVerträge mit den einzelnen Staaten abzuschließen, welche den gesammten
Briefverkehr unter östreichische Obhut stellen sollten. Der römische Hof hatte
Mrst seinen Widerstand erklärt, desgleichen Toscana, das überhaupt, sobald die
politischen Zustände sich mehr consolidirten. eine unabhängige, neutrale, wo


unvermeidlich zu einem solchen Ergebniß führen. Die erste Folge davon wäre
die Vereinigung Italiens in einen einzigen republikanischen Staat, die zweite,
davon unzertrennlich, der Ausbruch schrecklicher Zwietracht zwischen den hetero¬
genen Bestandtheilen dieser Republik."

Im August resümirte Pralormo von Wien aus: „Das östreichische Cabi-
net ist der Ansicht, daß man in keiner Weise mit dem sogenannten Geist des
Jahrhunderts pactiren dürfe; es ist überzeugt, daß der Krieg zwischen der Mon¬
archie und dem Liberalismus, zwischen der socialen Ordnung und der demago¬
gischen Unordnung ein Krieg auf Leben und Tod ist, und mit der.Vernichtung
der einen oder der anderen endigen muß. Es ist überzeugt, daß jede Idee
einer Transaction absurd ist, und daß jeder Fürst, der sich eines Theils seiner
souveränes beraubt, damit die Waffen bereitet, welche sie ihm ganz entreißen
müssen."

Dazu hielt Oestreich Piemont in völliger polizeilicher Aufsicht. „Ich muß
Eure Excellenz in Kenntniß setzen ," berichtet derselbe Diplomat im Februar
1822, „daß der wiener Hof in den Staaten seiner Majestät die Mittel mög-
ichst vervielfältigt hat, um über alles informire zu werden, was die moralischen
und politischen Tendenzen der Negierung in Piemont und ihrer Unterthanen
betrifft. Fast in jeder bedeutenderen Stadt des Königreichs unterhält der
Wiener Hof geheime Agenten. Außerdem sendet er noch außerordentliche Agen¬
ten nach Piemont, so oft etwas vorkommt, was eine besondere Erwägung zu
verdienen scheint. Daher sehe ich zu meiner großen Ueberraschung, daß das
Wiener Cabinet sich auf eine wahrhaft staunenerregende Weise im Besitz der
kleinsten Thatsachen und der detaillirtesten Notizen über den Charakter, die Ge¬
wohnheiten und politischen Tendenzen vieler unserer Leute befindet. Der Kaiser
Franz interessirte sich persönlich für diese Polizeiberichte, denen man u. a. ent¬
nahm, daß der neue König allgemein verhaßt war, während man Victor Emanuel
überall eine große Anhänglichkeit bewahrte. Man wußte auch, daß der letztere
Wieder nach Turin zurückkehren wollte, was nun Metternich auf jede Weise zu
verhindern suchte. Er fürchtete, daß Karl Felix die Krone wieder seinem weniger
gefügigen Bruder abtreten könnte, und wandte sich im Juli 1822 Sagar an die
Höfe von Berlin und Se. Petersburg, um ihnen vorzustellen, daß die italieni¬
schen Revolutionäre die größten Hoffnungen auf die Rückkehr Victor Emanuels
nach Turin setzen."

Nur in einem Punkt wehrte sich der turiner Hof standhaft gegen die Zu-
wuthungen Oestreichs. Schon seit dem Jahre 1817 war man in Wien bemüht.
PostVerträge mit den einzelnen Staaten abzuschließen, welche den gesammten
Briefverkehr unter östreichische Obhut stellen sollten. Der römische Hof hatte
Mrst seinen Widerstand erklärt, desgleichen Toscana, das überhaupt, sobald die
politischen Zustände sich mehr consolidirten. eine unabhängige, neutrale, wo


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0361" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285949"/>
          <p xml:id="ID_1077" prev="#ID_1076"> unvermeidlich zu einem solchen Ergebniß führen. Die erste Folge davon wäre<lb/>
die Vereinigung Italiens in einen einzigen republikanischen Staat, die zweite,<lb/>
davon unzertrennlich, der Ausbruch schrecklicher Zwietracht zwischen den hetero¬<lb/>
genen Bestandtheilen dieser Republik."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1078"> Im August resümirte Pralormo von Wien aus: &#x201E;Das östreichische Cabi-<lb/>
net ist der Ansicht, daß man in keiner Weise mit dem sogenannten Geist des<lb/>
Jahrhunderts pactiren dürfe; es ist überzeugt, daß der Krieg zwischen der Mon¬<lb/>
archie und dem Liberalismus, zwischen der socialen Ordnung und der demago¬<lb/>
gischen Unordnung ein Krieg auf Leben und Tod ist, und mit der.Vernichtung<lb/>
der einen oder der anderen endigen muß. Es ist überzeugt, daß jede Idee<lb/>
einer Transaction absurd ist, und daß jeder Fürst, der sich eines Theils seiner<lb/>
souveränes beraubt, damit die Waffen bereitet, welche sie ihm ganz entreißen<lb/>
müssen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1079"> Dazu hielt Oestreich Piemont in völliger polizeilicher Aufsicht. &#x201E;Ich muß<lb/>
Eure Excellenz in Kenntniß setzen ," berichtet derselbe Diplomat im Februar<lb/>
1822, &#x201E;daß der wiener Hof in den Staaten seiner Majestät die Mittel mög-<lb/>
ichst vervielfältigt hat, um über alles informire zu werden, was die moralischen<lb/>
und politischen Tendenzen der Negierung in Piemont und ihrer Unterthanen<lb/>
betrifft. Fast in jeder bedeutenderen Stadt des Königreichs unterhält der<lb/>
Wiener Hof geheime Agenten. Außerdem sendet er noch außerordentliche Agen¬<lb/>
ten nach Piemont, so oft etwas vorkommt, was eine besondere Erwägung zu<lb/>
verdienen scheint. Daher sehe ich zu meiner großen Ueberraschung, daß das<lb/>
Wiener Cabinet sich auf eine wahrhaft staunenerregende Weise im Besitz der<lb/>
kleinsten Thatsachen und der detaillirtesten Notizen über den Charakter, die Ge¬<lb/>
wohnheiten und politischen Tendenzen vieler unserer Leute befindet. Der Kaiser<lb/>
Franz interessirte sich persönlich für diese Polizeiberichte, denen man u. a. ent¬<lb/>
nahm, daß der neue König allgemein verhaßt war, während man Victor Emanuel<lb/>
überall eine große Anhänglichkeit bewahrte. Man wußte auch, daß der letztere<lb/>
Wieder nach Turin zurückkehren wollte, was nun Metternich auf jede Weise zu<lb/>
verhindern suchte. Er fürchtete, daß Karl Felix die Krone wieder seinem weniger<lb/>
gefügigen Bruder abtreten könnte, und wandte sich im Juli 1822 Sagar an die<lb/>
Höfe von Berlin und Se. Petersburg, um ihnen vorzustellen, daß die italieni¬<lb/>
schen Revolutionäre die größten Hoffnungen auf die Rückkehr Victor Emanuels<lb/>
nach Turin setzen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1080" next="#ID_1081"> Nur in einem Punkt wehrte sich der turiner Hof standhaft gegen die Zu-<lb/>
wuthungen Oestreichs. Schon seit dem Jahre 1817 war man in Wien bemüht.<lb/>
PostVerträge mit den einzelnen Staaten abzuschließen, welche den gesammten<lb/>
Briefverkehr unter östreichische Obhut stellen sollten. Der römische Hof hatte<lb/>
Mrst seinen Widerstand erklärt, desgleichen Toscana, das überhaupt, sobald die<lb/>
politischen Zustände sich mehr consolidirten. eine unabhängige, neutrale, wo</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0361] unvermeidlich zu einem solchen Ergebniß führen. Die erste Folge davon wäre die Vereinigung Italiens in einen einzigen republikanischen Staat, die zweite, davon unzertrennlich, der Ausbruch schrecklicher Zwietracht zwischen den hetero¬ genen Bestandtheilen dieser Republik." Im August resümirte Pralormo von Wien aus: „Das östreichische Cabi- net ist der Ansicht, daß man in keiner Weise mit dem sogenannten Geist des Jahrhunderts pactiren dürfe; es ist überzeugt, daß der Krieg zwischen der Mon¬ archie und dem Liberalismus, zwischen der socialen Ordnung und der demago¬ gischen Unordnung ein Krieg auf Leben und Tod ist, und mit der.Vernichtung der einen oder der anderen endigen muß. Es ist überzeugt, daß jede Idee einer Transaction absurd ist, und daß jeder Fürst, der sich eines Theils seiner souveränes beraubt, damit die Waffen bereitet, welche sie ihm ganz entreißen müssen." Dazu hielt Oestreich Piemont in völliger polizeilicher Aufsicht. „Ich muß Eure Excellenz in Kenntniß setzen ," berichtet derselbe Diplomat im Februar 1822, „daß der wiener Hof in den Staaten seiner Majestät die Mittel mög- ichst vervielfältigt hat, um über alles informire zu werden, was die moralischen und politischen Tendenzen der Negierung in Piemont und ihrer Unterthanen betrifft. Fast in jeder bedeutenderen Stadt des Königreichs unterhält der Wiener Hof geheime Agenten. Außerdem sendet er noch außerordentliche Agen¬ ten nach Piemont, so oft etwas vorkommt, was eine besondere Erwägung zu verdienen scheint. Daher sehe ich zu meiner großen Ueberraschung, daß das Wiener Cabinet sich auf eine wahrhaft staunenerregende Weise im Besitz der kleinsten Thatsachen und der detaillirtesten Notizen über den Charakter, die Ge¬ wohnheiten und politischen Tendenzen vieler unserer Leute befindet. Der Kaiser Franz interessirte sich persönlich für diese Polizeiberichte, denen man u. a. ent¬ nahm, daß der neue König allgemein verhaßt war, während man Victor Emanuel überall eine große Anhänglichkeit bewahrte. Man wußte auch, daß der letztere Wieder nach Turin zurückkehren wollte, was nun Metternich auf jede Weise zu verhindern suchte. Er fürchtete, daß Karl Felix die Krone wieder seinem weniger gefügigen Bruder abtreten könnte, und wandte sich im Juli 1822 Sagar an die Höfe von Berlin und Se. Petersburg, um ihnen vorzustellen, daß die italieni¬ schen Revolutionäre die größten Hoffnungen auf die Rückkehr Victor Emanuels nach Turin setzen." Nur in einem Punkt wehrte sich der turiner Hof standhaft gegen die Zu- wuthungen Oestreichs. Schon seit dem Jahre 1817 war man in Wien bemüht. PostVerträge mit den einzelnen Staaten abzuschließen, welche den gesammten Briefverkehr unter östreichische Obhut stellen sollten. Der römische Hof hatte Mrst seinen Widerstand erklärt, desgleichen Toscana, das überhaupt, sobald die politischen Zustände sich mehr consolidirten. eine unabhängige, neutrale, wo

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/361
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/361>, abgerufen am 22.07.2024.