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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Die piemontesische Diplomatie in der Nestammtionsperiode.
FiKomöäe Zianeui, Ltoria avoua. ävlla Zjplom^ig, italiana.

Als nach Ausbruch der neapolitanischen Revolution Metternich 1820 ein dro¬
hendes Rundschreiben an die italienischen Höfe richtete, worin das überhand¬
nehmende Sectenwesen als Ursache der revolutionären Aufregung geschildert
wurde, schrieb der piemontefische Gesandte d'Aglio aus Paris, wo er sich im
September aufhielt, nach Turin: "In den verschiedenen Unterredungen, die
ich mit ven französischen Ministern und anderen hier beglaubigten Gesandten
hatte, war ich beständig bemüht, den gegenwärtigen Zustand Italiens in seinem
wahren Lichte zu zeigen, nämlich daß der Heerd der Unzufriedenheit in den
Oestreich unterworfenen Provinzen liegt, und daß dieselbe viel weniger die
Wirkung geheimer Gesellschaften, als vielmehr der Fremdherrschaft und der
Mittel ist, mit welchen diese ausgeübt wird. Um jeden Verdacht von eigen¬
nützigen Absichten unsererseits abzuwenden, fügte ich bei, daß ich gar kein Heil¬
mittel gegen das Hauptübel sähe, da dasselbe nur in Veränderungen bestehe,
auf welche es jetzt nicht mehr Zeit sei zurückzukommen. Dagegen habe ich bei¬
gefügt, daß es ebensowohl im Interesse Oestreichs, als in dem seiner Nachbarn
wäre, wenn es darauf Bedacht nähme, ein an sich so drückendes Joch zu er¬
leichtern und ein System aufzugeben, das einer Ausplünderung ähnlicher sei als
einer weisen und aufgeklärten Regierung."

Wesentlich damit übereinstimmend, aber noch tiefer dringend in der Er¬
kenntniß der Grundübel, sowie der Mittel zu ihrer Hebung waren die Berichte,
welche damals Graf Brusasco, dieser frühverstorbene ausgezeichnete Diplomat,
nach Turin schrieb (ausführlicher bei Farini als bei Bianchi). In einer De¬
pesche vom August 1820 bemerkte er über den Druck, den die östreichische Herr¬
schaft über die Lombardei nicht blos auf diese, sondern auf ganz Italien aus¬
übe: "Man muß in Erwägung ziehen, wie es möglich wäre, daß eine östreichische
Occupation als letzte Consequenz eine ganz entgegengesetzte Wirkung als die
gehoffte hätte, nämlich, daß die durch sie geweckte Erbitterung der Gemüther
der Nation schließlich den Muth der Verzweiflung gäbe." In einem eingehenden
Gesandtschaftsbcricht vom Januar 1821, der wie ein letztes Vermächtnis) der
alten piemontesischen Staatskunst an eine künftige bessere Generation klingt,
hieß es: "Die Wiederherstellung der Ordnung in Neapel genügt nicht, die
allgemeine Ruhe sicher zu stellen, es genügt nicht, die Revolutionen zu unter¬
drücken, man muß ihnen zuvorkommen, man muß das Heilmittel suchen, indem
man die Natur des Uebels studirt. Nun lehrt eine aufmerksame Betrachtung


Grenzboten III. 18Kö. 42
Die piemontesische Diplomatie in der Nestammtionsperiode.
FiKomöäe Zianeui, Ltoria avoua. ävlla Zjplom^ig, italiana.

Als nach Ausbruch der neapolitanischen Revolution Metternich 1820 ein dro¬
hendes Rundschreiben an die italienischen Höfe richtete, worin das überhand¬
nehmende Sectenwesen als Ursache der revolutionären Aufregung geschildert
wurde, schrieb der piemontefische Gesandte d'Aglio aus Paris, wo er sich im
September aufhielt, nach Turin: „In den verschiedenen Unterredungen, die
ich mit ven französischen Ministern und anderen hier beglaubigten Gesandten
hatte, war ich beständig bemüht, den gegenwärtigen Zustand Italiens in seinem
wahren Lichte zu zeigen, nämlich daß der Heerd der Unzufriedenheit in den
Oestreich unterworfenen Provinzen liegt, und daß dieselbe viel weniger die
Wirkung geheimer Gesellschaften, als vielmehr der Fremdherrschaft und der
Mittel ist, mit welchen diese ausgeübt wird. Um jeden Verdacht von eigen¬
nützigen Absichten unsererseits abzuwenden, fügte ich bei, daß ich gar kein Heil¬
mittel gegen das Hauptübel sähe, da dasselbe nur in Veränderungen bestehe,
auf welche es jetzt nicht mehr Zeit sei zurückzukommen. Dagegen habe ich bei¬
gefügt, daß es ebensowohl im Interesse Oestreichs, als in dem seiner Nachbarn
wäre, wenn es darauf Bedacht nähme, ein an sich so drückendes Joch zu er¬
leichtern und ein System aufzugeben, das einer Ausplünderung ähnlicher sei als
einer weisen und aufgeklärten Regierung."

Wesentlich damit übereinstimmend, aber noch tiefer dringend in der Er¬
kenntniß der Grundübel, sowie der Mittel zu ihrer Hebung waren die Berichte,
welche damals Graf Brusasco, dieser frühverstorbene ausgezeichnete Diplomat,
nach Turin schrieb (ausführlicher bei Farini als bei Bianchi). In einer De¬
pesche vom August 1820 bemerkte er über den Druck, den die östreichische Herr¬
schaft über die Lombardei nicht blos auf diese, sondern auf ganz Italien aus¬
übe: „Man muß in Erwägung ziehen, wie es möglich wäre, daß eine östreichische
Occupation als letzte Consequenz eine ganz entgegengesetzte Wirkung als die
gehoffte hätte, nämlich, daß die durch sie geweckte Erbitterung der Gemüther
der Nation schließlich den Muth der Verzweiflung gäbe." In einem eingehenden
Gesandtschaftsbcricht vom Januar 1821, der wie ein letztes Vermächtnis) der
alten piemontesischen Staatskunst an eine künftige bessere Generation klingt,
hieß es: „Die Wiederherstellung der Ordnung in Neapel genügt nicht, die
allgemeine Ruhe sicher zu stellen, es genügt nicht, die Revolutionen zu unter¬
drücken, man muß ihnen zuvorkommen, man muß das Heilmittel suchen, indem
man die Natur des Uebels studirt. Nun lehrt eine aufmerksame Betrachtung


Grenzboten III. 18Kö. 42
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[0355] Die piemontesische Diplomatie in der Nestammtionsperiode. FiKomöäe Zianeui, Ltoria avoua. ävlla Zjplom^ig, italiana. Als nach Ausbruch der neapolitanischen Revolution Metternich 1820 ein dro¬ hendes Rundschreiben an die italienischen Höfe richtete, worin das überhand¬ nehmende Sectenwesen als Ursache der revolutionären Aufregung geschildert wurde, schrieb der piemontefische Gesandte d'Aglio aus Paris, wo er sich im September aufhielt, nach Turin: „In den verschiedenen Unterredungen, die ich mit ven französischen Ministern und anderen hier beglaubigten Gesandten hatte, war ich beständig bemüht, den gegenwärtigen Zustand Italiens in seinem wahren Lichte zu zeigen, nämlich daß der Heerd der Unzufriedenheit in den Oestreich unterworfenen Provinzen liegt, und daß dieselbe viel weniger die Wirkung geheimer Gesellschaften, als vielmehr der Fremdherrschaft und der Mittel ist, mit welchen diese ausgeübt wird. Um jeden Verdacht von eigen¬ nützigen Absichten unsererseits abzuwenden, fügte ich bei, daß ich gar kein Heil¬ mittel gegen das Hauptübel sähe, da dasselbe nur in Veränderungen bestehe, auf welche es jetzt nicht mehr Zeit sei zurückzukommen. Dagegen habe ich bei¬ gefügt, daß es ebensowohl im Interesse Oestreichs, als in dem seiner Nachbarn wäre, wenn es darauf Bedacht nähme, ein an sich so drückendes Joch zu er¬ leichtern und ein System aufzugeben, das einer Ausplünderung ähnlicher sei als einer weisen und aufgeklärten Regierung." Wesentlich damit übereinstimmend, aber noch tiefer dringend in der Er¬ kenntniß der Grundübel, sowie der Mittel zu ihrer Hebung waren die Berichte, welche damals Graf Brusasco, dieser frühverstorbene ausgezeichnete Diplomat, nach Turin schrieb (ausführlicher bei Farini als bei Bianchi). In einer De¬ pesche vom August 1820 bemerkte er über den Druck, den die östreichische Herr¬ schaft über die Lombardei nicht blos auf diese, sondern auf ganz Italien aus¬ übe: „Man muß in Erwägung ziehen, wie es möglich wäre, daß eine östreichische Occupation als letzte Consequenz eine ganz entgegengesetzte Wirkung als die gehoffte hätte, nämlich, daß die durch sie geweckte Erbitterung der Gemüther der Nation schließlich den Muth der Verzweiflung gäbe." In einem eingehenden Gesandtschaftsbcricht vom Januar 1821, der wie ein letztes Vermächtnis) der alten piemontesischen Staatskunst an eine künftige bessere Generation klingt, hieß es: „Die Wiederherstellung der Ordnung in Neapel genügt nicht, die allgemeine Ruhe sicher zu stellen, es genügt nicht, die Revolutionen zu unter¬ drücken, man muß ihnen zuvorkommen, man muß das Heilmittel suchen, indem man die Natur des Uebels studirt. Nun lehrt eine aufmerksame Betrachtung Grenzboten III. 18Kö. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/355>, abgerufen am 22.07.2024.