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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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selbst die Krone vom Kissen nahm und auf das Haupt setzte, und dabei nicht
um Kurfürsten, um Salböl und Priesterweihe sorgte. Schon haben die Hohen-
zollern in letzter Zeit diesen charakteristischen und stolzen Brauch ihres Hauses
mit einem schwächlicheren vertauscht; es ist nicht gut für sie selbst und für
uns, wenn sie eine neue Stufe unter ihren Thronsessel zimmern und für ihre
Häupter eine neue Weihe erfinden. Der neue Bundesstaat ist, soweit er nicht
Preußen heißt, durch ein nüchternes, klares Vertragsverhältniß gegründet, der
König von Preußen erhält dadurch das Wesen der Macht, er braucht für sich
keine anderen Attribute, als das neue Gesetzbuch und sein altes Schwert.

Zuverlässig wird der preußische Verfassungsentwurf vom 10. Juni in der
Praxis durch den neuen Reichstag sehr bald Fortbildung und Erweiterung er¬
fahren, aus dem Parlament für Verkehrsinteressen wird zuletzt eine wirkliche
Volksvertretung werden, und immer wieder wird man dabei auf die große
Arbeit des Jahres 1849 Hinblicken. Diese weitere Ausführung ist Sache der
Zukunft. Jetzt aber gilt es, schnell und mit gutem Willen nach den gegebenen
Baurissen das Haus über uns zu Stande zu bringen. Wer in solchen Tagen
Streit über neue Pläne beginnt, handelt unklug gegen seine Partei und un¬
patriotisch gegen das Baterland. Grade jetzt ist der preußischen Opposition
eine mächtige Aufgabe gestellt. Die Vertrauensmänner des Volkes, welche in
schwerer Zeit Front gegen harte Uebergriffe der Regierung gemacht haben, sollen
erweisen, ob sie wirklich kluge und gute Werkführer sind. Was ihnen selbst
nie zweifelhaft sein konnte, das ist jetzt sonnenklar geworden. Sieg und Herr¬
schaft des Liberalismus ist in Deutschland fortan nicht mehr aufzuhalten, das
Legitimitätsprincip ist vernichtet, die letzten Ueberreste des Feudalstaats zerfallen.
Es ist ein früherer Gegner, der uns diesen großen Erfolg vorbereitet hat, unsere
Aufgabe ist, daß wir ihn dabei stützen; handeln wir anders, so werden grade
während des Siegs unsrer Sache die Personen, denen wir bisher Vertrauen
schenkten, verloren gehen. Die alten Führer vermögen sich dem deutschen Volk
nur dann zu bewahren, wenn sie loyal und mit ehrlichem Willen die begonnene
Arbeit der preußischen Regierung im festen Einvernehmen mit derselben weiter
führen. Wollen sie das nicht, so geht die neue Zeit über sie hinweg, sie ver¬
lieren ihre Berechtigung, die höchsten Interessen der Nation zu vertreten, und
wir werden erleben, daß alte Gegner unsere Ideen ausführen, und daß unsere
große Partei zum zweiten Male in der Lage ist. in schwieriger Zeit ihre Führer
zu wechseln.




selbst die Krone vom Kissen nahm und auf das Haupt setzte, und dabei nicht
um Kurfürsten, um Salböl und Priesterweihe sorgte. Schon haben die Hohen-
zollern in letzter Zeit diesen charakteristischen und stolzen Brauch ihres Hauses
mit einem schwächlicheren vertauscht; es ist nicht gut für sie selbst und für
uns, wenn sie eine neue Stufe unter ihren Thronsessel zimmern und für ihre
Häupter eine neue Weihe erfinden. Der neue Bundesstaat ist, soweit er nicht
Preußen heißt, durch ein nüchternes, klares Vertragsverhältniß gegründet, der
König von Preußen erhält dadurch das Wesen der Macht, er braucht für sich
keine anderen Attribute, als das neue Gesetzbuch und sein altes Schwert.

Zuverlässig wird der preußische Verfassungsentwurf vom 10. Juni in der
Praxis durch den neuen Reichstag sehr bald Fortbildung und Erweiterung er¬
fahren, aus dem Parlament für Verkehrsinteressen wird zuletzt eine wirkliche
Volksvertretung werden, und immer wieder wird man dabei auf die große
Arbeit des Jahres 1849 Hinblicken. Diese weitere Ausführung ist Sache der
Zukunft. Jetzt aber gilt es, schnell und mit gutem Willen nach den gegebenen
Baurissen das Haus über uns zu Stande zu bringen. Wer in solchen Tagen
Streit über neue Pläne beginnt, handelt unklug gegen seine Partei und un¬
patriotisch gegen das Baterland. Grade jetzt ist der preußischen Opposition
eine mächtige Aufgabe gestellt. Die Vertrauensmänner des Volkes, welche in
schwerer Zeit Front gegen harte Uebergriffe der Regierung gemacht haben, sollen
erweisen, ob sie wirklich kluge und gute Werkführer sind. Was ihnen selbst
nie zweifelhaft sein konnte, das ist jetzt sonnenklar geworden. Sieg und Herr¬
schaft des Liberalismus ist in Deutschland fortan nicht mehr aufzuhalten, das
Legitimitätsprincip ist vernichtet, die letzten Ueberreste des Feudalstaats zerfallen.
Es ist ein früherer Gegner, der uns diesen großen Erfolg vorbereitet hat, unsere
Aufgabe ist, daß wir ihn dabei stützen; handeln wir anders, so werden grade
während des Siegs unsrer Sache die Personen, denen wir bisher Vertrauen
schenkten, verloren gehen. Die alten Führer vermögen sich dem deutschen Volk
nur dann zu bewahren, wenn sie loyal und mit ehrlichem Willen die begonnene
Arbeit der preußischen Regierung im festen Einvernehmen mit derselben weiter
führen. Wollen sie das nicht, so geht die neue Zeit über sie hinweg, sie ver¬
lieren ihre Berechtigung, die höchsten Interessen der Nation zu vertreten, und
wir werden erleben, daß alte Gegner unsere Ideen ausführen, und daß unsere
große Partei zum zweiten Male in der Lage ist. in schwieriger Zeit ihre Führer
zu wechseln.




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[0354] selbst die Krone vom Kissen nahm und auf das Haupt setzte, und dabei nicht um Kurfürsten, um Salböl und Priesterweihe sorgte. Schon haben die Hohen- zollern in letzter Zeit diesen charakteristischen und stolzen Brauch ihres Hauses mit einem schwächlicheren vertauscht; es ist nicht gut für sie selbst und für uns, wenn sie eine neue Stufe unter ihren Thronsessel zimmern und für ihre Häupter eine neue Weihe erfinden. Der neue Bundesstaat ist, soweit er nicht Preußen heißt, durch ein nüchternes, klares Vertragsverhältniß gegründet, der König von Preußen erhält dadurch das Wesen der Macht, er braucht für sich keine anderen Attribute, als das neue Gesetzbuch und sein altes Schwert. Zuverlässig wird der preußische Verfassungsentwurf vom 10. Juni in der Praxis durch den neuen Reichstag sehr bald Fortbildung und Erweiterung er¬ fahren, aus dem Parlament für Verkehrsinteressen wird zuletzt eine wirkliche Volksvertretung werden, und immer wieder wird man dabei auf die große Arbeit des Jahres 1849 Hinblicken. Diese weitere Ausführung ist Sache der Zukunft. Jetzt aber gilt es, schnell und mit gutem Willen nach den gegebenen Baurissen das Haus über uns zu Stande zu bringen. Wer in solchen Tagen Streit über neue Pläne beginnt, handelt unklug gegen seine Partei und un¬ patriotisch gegen das Baterland. Grade jetzt ist der preußischen Opposition eine mächtige Aufgabe gestellt. Die Vertrauensmänner des Volkes, welche in schwerer Zeit Front gegen harte Uebergriffe der Regierung gemacht haben, sollen erweisen, ob sie wirklich kluge und gute Werkführer sind. Was ihnen selbst nie zweifelhaft sein konnte, das ist jetzt sonnenklar geworden. Sieg und Herr¬ schaft des Liberalismus ist in Deutschland fortan nicht mehr aufzuhalten, das Legitimitätsprincip ist vernichtet, die letzten Ueberreste des Feudalstaats zerfallen. Es ist ein früherer Gegner, der uns diesen großen Erfolg vorbereitet hat, unsere Aufgabe ist, daß wir ihn dabei stützen; handeln wir anders, so werden grade während des Siegs unsrer Sache die Personen, denen wir bisher Vertrauen schenkten, verloren gehen. Die alten Führer vermögen sich dem deutschen Volk nur dann zu bewahren, wenn sie loyal und mit ehrlichem Willen die begonnene Arbeit der preußischen Regierung im festen Einvernehmen mit derselben weiter führen. Wollen sie das nicht, so geht die neue Zeit über sie hinweg, sie ver¬ lieren ihre Berechtigung, die höchsten Interessen der Nation zu vertreten, und wir werden erleben, daß alte Gegner unsere Ideen ausführen, und daß unsere große Partei zum zweiten Male in der Lage ist. in schwieriger Zeit ihre Führer zu wechseln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/354>, abgerufen am 22.07.2024.