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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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auch nur persönlich in München oder Stuttgart auf versammeltes Volk zu wir-
ken: sie würden mit Widerwillen und Hohn empfangen und abgewiesen werden.
Die Staaten Würtemberg und Bayern sind jetzt in eine Krisis gekommen,
welche, wie wir alle hoffen, für sie und uns in Zukunft zum Heil werden wird.
Die Kläglichkeit ihrer politischen Existenz ist ihnen endlich auffällig geworden,
aber vorläufig nur dadurch, weil ihre Antipathie gegen Preußen, welche ihre
Heere gegen den Norden bewaffnete, sich als kraftlos und ohnmächtig erwiesen
hat. Sie sind mit aller Welt unzufrieden, am wenigsten immer noch mit sich,
am meisten mit uns. Es braucht dort Zeit, bis die Erkenntniß der Besten, daß
nur die Unterordnung unter Preußen ihnen Hilfe bringen könne, auch Er¬
kenntniß des Volkes wird. Die preußische Regierung hat dafür zu sorgen, daß
die innere Auflösung Regierungen und Völker nicht zu einer völlig undeutschen
Politik treibe, mehr ist jetzt nicht zu erreichen. Und jede Partei muß sich hüten
eine Phrase, deren Realisirung sie selbst zur Zeit für unmöglich hält, als
dringende Forderung in ihr Programm aufzunehmen.

Zu den Ideen, welche das Jahr 1849 und die Reichsverfassung im Volke
zurückgelassen haben, gehört auch die Uebertragung der deutschen Kaiserkrone an
den König von Preußen. Schon damals war der Gedanke kein glücklicher. Es
war wenigstens kein gutes Omen, daß man ernste Männerarbeit durch einen
alten Titel lebendig machen wollte. Indeß hatte die poetische Stimmung doch noch
einige Opportunitätsgründe für sich. Seitdem haben die Franzosen und sogar
die Mexikaner erlebt, daß ihre neue Dynastie die Kaiserwürde wiederherstellte,
in Deutschland aber ist durch die lyrischen Dichter und andere politische Tenore
der arme verschlafene Kaiser Barbarossa so oft in seiner Ruhe gestört, heftig
ermahnt und mit seinen Raben zur Rettung Deutschlands citirt worden, daß
die Kaiseridee wirklich recht abgenutzt ist. An sich ist es nur Trödelkram. Die
größte Monarchie der Welt trägt auch nur eine Königskrone. Wenn die Hohen-
zollern sich jetzt mit einer neuen Art von Goldreif schmücken, so wird Italien
und am Ende auch Spanien nicht zurückbleiben, und es wird eine allgemeine
Potenzirung der fürstlichen Prädicate stattfinden. Einen Sinn hätte die Annahme
doch nur, wenn sie nach irgendeiner Richtung praktischen Vortheil gewährte,
und diesen Vortheil leugnen wir. Das Kaiserthum würde gegenwärtig weder
die Dynastien, soweit ihr böser Wille noch zu fürchten ist. noch die süddeutschen
Stämme mit dem preußischen Principal versöhnen. Dem norddeutschen Sinn
aber stört die Erinnerung an die elenden Zustände des heiligen römischen Reiches
den romantischen Schimmer, der etwa noch an der Krone des abgestorbenen
Reiches hängt. Es ist ein moderner Bau, den wir aufführen, und auf neuen
Grundlagen; die altpreußische Zucht, welche in ihm zu Ehren kommt, wurde
unter der Königskrone erworben; haben wir überhaupt eine Pietät für altes
Königsritual, so haben wir sie dafür, daß der erste König von Preußen sich


auch nur persönlich in München oder Stuttgart auf versammeltes Volk zu wir-
ken: sie würden mit Widerwillen und Hohn empfangen und abgewiesen werden.
Die Staaten Würtemberg und Bayern sind jetzt in eine Krisis gekommen,
welche, wie wir alle hoffen, für sie und uns in Zukunft zum Heil werden wird.
Die Kläglichkeit ihrer politischen Existenz ist ihnen endlich auffällig geworden,
aber vorläufig nur dadurch, weil ihre Antipathie gegen Preußen, welche ihre
Heere gegen den Norden bewaffnete, sich als kraftlos und ohnmächtig erwiesen
hat. Sie sind mit aller Welt unzufrieden, am wenigsten immer noch mit sich,
am meisten mit uns. Es braucht dort Zeit, bis die Erkenntniß der Besten, daß
nur die Unterordnung unter Preußen ihnen Hilfe bringen könne, auch Er¬
kenntniß des Volkes wird. Die preußische Regierung hat dafür zu sorgen, daß
die innere Auflösung Regierungen und Völker nicht zu einer völlig undeutschen
Politik treibe, mehr ist jetzt nicht zu erreichen. Und jede Partei muß sich hüten
eine Phrase, deren Realisirung sie selbst zur Zeit für unmöglich hält, als
dringende Forderung in ihr Programm aufzunehmen.

Zu den Ideen, welche das Jahr 1849 und die Reichsverfassung im Volke
zurückgelassen haben, gehört auch die Uebertragung der deutschen Kaiserkrone an
den König von Preußen. Schon damals war der Gedanke kein glücklicher. Es
war wenigstens kein gutes Omen, daß man ernste Männerarbeit durch einen
alten Titel lebendig machen wollte. Indeß hatte die poetische Stimmung doch noch
einige Opportunitätsgründe für sich. Seitdem haben die Franzosen und sogar
die Mexikaner erlebt, daß ihre neue Dynastie die Kaiserwürde wiederherstellte,
in Deutschland aber ist durch die lyrischen Dichter und andere politische Tenore
der arme verschlafene Kaiser Barbarossa so oft in seiner Ruhe gestört, heftig
ermahnt und mit seinen Raben zur Rettung Deutschlands citirt worden, daß
die Kaiseridee wirklich recht abgenutzt ist. An sich ist es nur Trödelkram. Die
größte Monarchie der Welt trägt auch nur eine Königskrone. Wenn die Hohen-
zollern sich jetzt mit einer neuen Art von Goldreif schmücken, so wird Italien
und am Ende auch Spanien nicht zurückbleiben, und es wird eine allgemeine
Potenzirung der fürstlichen Prädicate stattfinden. Einen Sinn hätte die Annahme
doch nur, wenn sie nach irgendeiner Richtung praktischen Vortheil gewährte,
und diesen Vortheil leugnen wir. Das Kaiserthum würde gegenwärtig weder
die Dynastien, soweit ihr böser Wille noch zu fürchten ist. noch die süddeutschen
Stämme mit dem preußischen Principal versöhnen. Dem norddeutschen Sinn
aber stört die Erinnerung an die elenden Zustände des heiligen römischen Reiches
den romantischen Schimmer, der etwa noch an der Krone des abgestorbenen
Reiches hängt. Es ist ein moderner Bau, den wir aufführen, und auf neuen
Grundlagen; die altpreußische Zucht, welche in ihm zu Ehren kommt, wurde
unter der Königskrone erworben; haben wir überhaupt eine Pietät für altes
Königsritual, so haben wir sie dafür, daß der erste König von Preußen sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/353>, abgerufen am 22.07.2024.