Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu erhalten, darf es in dieser Situation den auswärtigen Geschäften Schwierig¬
keit bereiten. Und von allen erdenkbaren Formen, in denen die Volksvertretung
solchen Wunsch ihrer Regierung ausdrücken könnte, scheint uns die feierliche,
welche in dem Lapidarstil der Adresse polemistrt, die unzweckmäßigste.

Wenn die Commission des Abgeordnetenhauses in ihrem Adreßentwurf
Einführung der Reichsverfassung von 1849 beantragt, so ist die Presse diesem
ausfallenden Schritt gegenüber gar nicht in der Lage, auf die Paragraphen der
Reichsverfassung eingehen zu müssen; die Einführung ist für gemeinen Verstand jetzt
unmöglich. Der Entwurf des Grafen Bismarck vom 10. Juli ist bereits Grund¬
lage von Staatsverträgen geworden; für seine Durchführung und nicht für die
der Reichsverfassung haben eine Anzahl von Regierungen sich mit Preußen ver¬
bunden, ihre Truppen in das Feld geschickt u. s. w. Es wäre doch völlig gegen
Recht und Klugheit, wenn Preußen jetzt sofort diese Grundlagen eines neuen
Bundes hinfällig machte, und es wäre ein sehr schlechtes Zeichen für den Ernst,
mit dem es an eine große Aufgabe geht. Wenn die Volksvertretung aber, wie
jeder verständige Mann, erkennt, daß die Negierung die einmal eingenommene
Basis nicht verlassen kann, so darf sie das Unthunliche nicht fordern, aus Rück¬
sicht auf ihre eigene Würde nicht und weil sie dadurch im unrechten Augenblick
entweder das Vertrauen zu ihrer eigenen Einsicht, oder zu einer loyalen Politik
der Regierung vermindern würde.

Eine Voraussetzung der alten Reichsverfassung ist ferner Einschluß der ge-
sammten deutschen Staaten mit Ausnahme Oestreichs. Will die Adresse der Com¬
mission etwa gar der preußischen Regierung eine Mahnung zugehn lassen, auch die
Länder südlich vom Main in den neuen Bundesstaat zu zwingen? Wieder ist die
Regierung durch Staatsverträge verhindert, solche Anmuthung zu realisiren. Nach
vielem Blutvergießen in Böhmen, nachdem mit Mühe der Einspruch Frankreichs
und Rußlands abgewendet wurde, ist grade jetzt ein Friede geschlossen, der
die Staaten im Süden des Main ausscheidet. Soll noch einmal das zur Zeit
Unmögliche der Regierung von dem eigenen Volke zugemuthet werden? Wollen
unsere Freunde von der Linken Staatsieitung und Kommando in einem neuen
Kriege gegen eine Koalition der Großmächte übernehmen, so mögen sie uns
das offen sagen, sie werden in Preußen wenig Anhänger einer solchen eroberungs¬
lustigen Politik finden, die uns bis vor wenig Wochen ganz fremd war. Es
ist ihnen selbst in den letzten Jahren fast unmöglich gewesen, im Nationalverein
und auf Abgeordnetentagen mit denjenigen süddeutschen Deputirten, welche
wohlgemerkt -- ihnen politisch am nächsten standen, zurecht zu kommen. Müh¬
sam sind ungenügende Beschlüsse dem harten Gegensatz abgewonnen worden.
Wollen sie jetzt dasselbe öde Wortgefecht in den ersten Reichstag hereintragen?
Wir werden ohnedies genug von chaotischen Durcheinander der Parteien darin
ertragen müssen. Unsere Freunde von der Fortschrittspartei sollen doch versuchen,


zu erhalten, darf es in dieser Situation den auswärtigen Geschäften Schwierig¬
keit bereiten. Und von allen erdenkbaren Formen, in denen die Volksvertretung
solchen Wunsch ihrer Regierung ausdrücken könnte, scheint uns die feierliche,
welche in dem Lapidarstil der Adresse polemistrt, die unzweckmäßigste.

Wenn die Commission des Abgeordnetenhauses in ihrem Adreßentwurf
Einführung der Reichsverfassung von 1849 beantragt, so ist die Presse diesem
ausfallenden Schritt gegenüber gar nicht in der Lage, auf die Paragraphen der
Reichsverfassung eingehen zu müssen; die Einführung ist für gemeinen Verstand jetzt
unmöglich. Der Entwurf des Grafen Bismarck vom 10. Juli ist bereits Grund¬
lage von Staatsverträgen geworden; für seine Durchführung und nicht für die
der Reichsverfassung haben eine Anzahl von Regierungen sich mit Preußen ver¬
bunden, ihre Truppen in das Feld geschickt u. s. w. Es wäre doch völlig gegen
Recht und Klugheit, wenn Preußen jetzt sofort diese Grundlagen eines neuen
Bundes hinfällig machte, und es wäre ein sehr schlechtes Zeichen für den Ernst,
mit dem es an eine große Aufgabe geht. Wenn die Volksvertretung aber, wie
jeder verständige Mann, erkennt, daß die Negierung die einmal eingenommene
Basis nicht verlassen kann, so darf sie das Unthunliche nicht fordern, aus Rück¬
sicht auf ihre eigene Würde nicht und weil sie dadurch im unrechten Augenblick
entweder das Vertrauen zu ihrer eigenen Einsicht, oder zu einer loyalen Politik
der Regierung vermindern würde.

Eine Voraussetzung der alten Reichsverfassung ist ferner Einschluß der ge-
sammten deutschen Staaten mit Ausnahme Oestreichs. Will die Adresse der Com¬
mission etwa gar der preußischen Regierung eine Mahnung zugehn lassen, auch die
Länder südlich vom Main in den neuen Bundesstaat zu zwingen? Wieder ist die
Regierung durch Staatsverträge verhindert, solche Anmuthung zu realisiren. Nach
vielem Blutvergießen in Böhmen, nachdem mit Mühe der Einspruch Frankreichs
und Rußlands abgewendet wurde, ist grade jetzt ein Friede geschlossen, der
die Staaten im Süden des Main ausscheidet. Soll noch einmal das zur Zeit
Unmögliche der Regierung von dem eigenen Volke zugemuthet werden? Wollen
unsere Freunde von der Linken Staatsieitung und Kommando in einem neuen
Kriege gegen eine Koalition der Großmächte übernehmen, so mögen sie uns
das offen sagen, sie werden in Preußen wenig Anhänger einer solchen eroberungs¬
lustigen Politik finden, die uns bis vor wenig Wochen ganz fremd war. Es
ist ihnen selbst in den letzten Jahren fast unmöglich gewesen, im Nationalverein
und auf Abgeordnetentagen mit denjenigen süddeutschen Deputirten, welche
wohlgemerkt — ihnen politisch am nächsten standen, zurecht zu kommen. Müh¬
sam sind ungenügende Beschlüsse dem harten Gegensatz abgewonnen worden.
Wollen sie jetzt dasselbe öde Wortgefecht in den ersten Reichstag hereintragen?
Wir werden ohnedies genug von chaotischen Durcheinander der Parteien darin
ertragen müssen. Unsere Freunde von der Fortschrittspartei sollen doch versuchen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285940"/>
          <p xml:id="ID_1054" prev="#ID_1053"> zu erhalten, darf es in dieser Situation den auswärtigen Geschäften Schwierig¬<lb/>
keit bereiten. Und von allen erdenkbaren Formen, in denen die Volksvertretung<lb/>
solchen Wunsch ihrer Regierung ausdrücken könnte, scheint uns die feierliche,<lb/>
welche in dem Lapidarstil der Adresse polemistrt, die unzweckmäßigste.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1055"> Wenn die Commission des Abgeordnetenhauses in ihrem Adreßentwurf<lb/>
Einführung der Reichsverfassung von 1849 beantragt, so ist die Presse diesem<lb/>
ausfallenden Schritt gegenüber gar nicht in der Lage, auf die Paragraphen der<lb/>
Reichsverfassung eingehen zu müssen; die Einführung ist für gemeinen Verstand jetzt<lb/>
unmöglich. Der Entwurf des Grafen Bismarck vom 10. Juli ist bereits Grund¬<lb/>
lage von Staatsverträgen geworden; für seine Durchführung und nicht für die<lb/>
der Reichsverfassung haben eine Anzahl von Regierungen sich mit Preußen ver¬<lb/>
bunden, ihre Truppen in das Feld geschickt u. s. w. Es wäre doch völlig gegen<lb/>
Recht und Klugheit, wenn Preußen jetzt sofort diese Grundlagen eines neuen<lb/>
Bundes hinfällig machte, und es wäre ein sehr schlechtes Zeichen für den Ernst,<lb/>
mit dem es an eine große Aufgabe geht. Wenn die Volksvertretung aber, wie<lb/>
jeder verständige Mann, erkennt, daß die Negierung die einmal eingenommene<lb/>
Basis nicht verlassen kann, so darf sie das Unthunliche nicht fordern, aus Rück¬<lb/>
sicht auf ihre eigene Würde nicht und weil sie dadurch im unrechten Augenblick<lb/>
entweder das Vertrauen zu ihrer eigenen Einsicht, oder zu einer loyalen Politik<lb/>
der Regierung vermindern würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1056" next="#ID_1057"> Eine Voraussetzung der alten Reichsverfassung ist ferner Einschluß der ge-<lb/>
sammten deutschen Staaten mit Ausnahme Oestreichs. Will die Adresse der Com¬<lb/>
mission etwa gar der preußischen Regierung eine Mahnung zugehn lassen, auch die<lb/>
Länder südlich vom Main in den neuen Bundesstaat zu zwingen? Wieder ist die<lb/>
Regierung durch Staatsverträge verhindert, solche Anmuthung zu realisiren. Nach<lb/>
vielem Blutvergießen in Böhmen, nachdem mit Mühe der Einspruch Frankreichs<lb/>
und Rußlands abgewendet wurde, ist grade jetzt ein Friede geschlossen, der<lb/>
die Staaten im Süden des Main ausscheidet. Soll noch einmal das zur Zeit<lb/>
Unmögliche der Regierung von dem eigenen Volke zugemuthet werden? Wollen<lb/>
unsere Freunde von der Linken Staatsieitung und Kommando in einem neuen<lb/>
Kriege gegen eine Koalition der Großmächte übernehmen, so mögen sie uns<lb/>
das offen sagen, sie werden in Preußen wenig Anhänger einer solchen eroberungs¬<lb/>
lustigen Politik finden, die uns bis vor wenig Wochen ganz fremd war. Es<lb/>
ist ihnen selbst in den letzten Jahren fast unmöglich gewesen, im Nationalverein<lb/>
und auf Abgeordnetentagen mit denjenigen süddeutschen Deputirten, welche<lb/>
wohlgemerkt &#x2014; ihnen politisch am nächsten standen, zurecht zu kommen. Müh¬<lb/>
sam sind ungenügende Beschlüsse dem harten Gegensatz abgewonnen worden.<lb/>
Wollen sie jetzt dasselbe öde Wortgefecht in den ersten Reichstag hereintragen?<lb/>
Wir werden ohnedies genug von chaotischen Durcheinander der Parteien darin<lb/>
ertragen müssen. Unsere Freunde von der Fortschrittspartei sollen doch versuchen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0352] zu erhalten, darf es in dieser Situation den auswärtigen Geschäften Schwierig¬ keit bereiten. Und von allen erdenkbaren Formen, in denen die Volksvertretung solchen Wunsch ihrer Regierung ausdrücken könnte, scheint uns die feierliche, welche in dem Lapidarstil der Adresse polemistrt, die unzweckmäßigste. Wenn die Commission des Abgeordnetenhauses in ihrem Adreßentwurf Einführung der Reichsverfassung von 1849 beantragt, so ist die Presse diesem ausfallenden Schritt gegenüber gar nicht in der Lage, auf die Paragraphen der Reichsverfassung eingehen zu müssen; die Einführung ist für gemeinen Verstand jetzt unmöglich. Der Entwurf des Grafen Bismarck vom 10. Juli ist bereits Grund¬ lage von Staatsverträgen geworden; für seine Durchführung und nicht für die der Reichsverfassung haben eine Anzahl von Regierungen sich mit Preußen ver¬ bunden, ihre Truppen in das Feld geschickt u. s. w. Es wäre doch völlig gegen Recht und Klugheit, wenn Preußen jetzt sofort diese Grundlagen eines neuen Bundes hinfällig machte, und es wäre ein sehr schlechtes Zeichen für den Ernst, mit dem es an eine große Aufgabe geht. Wenn die Volksvertretung aber, wie jeder verständige Mann, erkennt, daß die Negierung die einmal eingenommene Basis nicht verlassen kann, so darf sie das Unthunliche nicht fordern, aus Rück¬ sicht auf ihre eigene Würde nicht und weil sie dadurch im unrechten Augenblick entweder das Vertrauen zu ihrer eigenen Einsicht, oder zu einer loyalen Politik der Regierung vermindern würde. Eine Voraussetzung der alten Reichsverfassung ist ferner Einschluß der ge- sammten deutschen Staaten mit Ausnahme Oestreichs. Will die Adresse der Com¬ mission etwa gar der preußischen Regierung eine Mahnung zugehn lassen, auch die Länder südlich vom Main in den neuen Bundesstaat zu zwingen? Wieder ist die Regierung durch Staatsverträge verhindert, solche Anmuthung zu realisiren. Nach vielem Blutvergießen in Böhmen, nachdem mit Mühe der Einspruch Frankreichs und Rußlands abgewendet wurde, ist grade jetzt ein Friede geschlossen, der die Staaten im Süden des Main ausscheidet. Soll noch einmal das zur Zeit Unmögliche der Regierung von dem eigenen Volke zugemuthet werden? Wollen unsere Freunde von der Linken Staatsieitung und Kommando in einem neuen Kriege gegen eine Koalition der Großmächte übernehmen, so mögen sie uns das offen sagen, sie werden in Preußen wenig Anhänger einer solchen eroberungs¬ lustigen Politik finden, die uns bis vor wenig Wochen ganz fremd war. Es ist ihnen selbst in den letzten Jahren fast unmöglich gewesen, im Nationalverein und auf Abgeordnetentagen mit denjenigen süddeutschen Deputirten, welche wohlgemerkt — ihnen politisch am nächsten standen, zurecht zu kommen. Müh¬ sam sind ungenügende Beschlüsse dem harten Gegensatz abgewonnen worden. Wollen sie jetzt dasselbe öde Wortgefecht in den ersten Reichstag hereintragen? Wir werden ohnedies genug von chaotischen Durcheinander der Parteien darin ertragen müssen. Unsere Freunde von der Fortschrittspartei sollen doch versuchen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/352
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/352>, abgerufen am 22.07.2024.