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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Und dieser Beginn einer neuen Periode des deutschen Lebens wie findet
er die Niedersachsen, die Hessen und die lustigen Franken am Main? Still,
passiv, gedrückt wie Leidende, an denen der Arzt eine schmerzliche Operation
vollzogen hat. Und die Preußen selbst? Neben der schönen Freude über ein
gelungenes Werk doch die Ueberreste alter Verstimmung, persönliches Mißtrauen
und aufgesammelten Groll, viele beengende Empfindungen, welche für den Augen¬
blick unterdrückt, aber nicht beseitigt sind.

Wir wissen alle warum. Der Gewinn ist uns geworden, durch kühnen
Entschluß Einzelner, die sich vorher selbst in die Lage gebracht hatten, die war¬
men Sympathien der deutschen Stämme und ihrer populären Vertrauensmänner
zu entbehren. Denn was sie während der letzten Jahre in Preußen gethan
oder zugelassen hatten, war oft so, daß es den Deutschen ihren stark aus¬
geprägten Sinn für Billigkeit und Gerechtigkeit empören mußte. Jetzt ist Vielen
unbehaglich, das Größte solchen zu verdanken, denen sie mißtrauten, und sie
mäkeln an dem Gewinn oder vermögen den Schmerz nicht zu überwinden, daß
er nicht aus dem Wege erworben wurde, den sie selbst im Kampf gegen die
Regierenden mit gutem Grunde empfohlen haben. Die langen Berathungen des
preußischen Abgeordnetenhauses über die Adresse sind ein Symptom dieser Stim¬
mung, das vorsichtige Zurückhalten der Patrioten in den annectirten Ländern
ein anderes.

Ja es ist wahr, das Volk verdankt einen großen Fortschritt dem Zufall,
daß ein talentvoller und muthiger Mann die auswärtigen Geschäfte sehr patrio¬
tisch und sehr eigenwillig leitete. Er besaß das Vertrauen seines Fürsten, nicht
das seiner frühern Parteigenossen, noch weniger das Vertrauen des preußischen
Volkes. Es ist natürlich, daß die Resultate, welche seine Diplomatie nach den
Siegen des Heeres sichert und daß die Organisation des künftigen Bundes¬
staates, welche er sich erfunden hat, anders nüancirt sind, als wenn er von
allgemeinem Zutrauen gestützt, in engem Verkehr mit den namhaften Vertretern
unserer Bolkswünsche, sein Programm gebildet hätte. -- Aber zu groß darf man
sich den Unterschied doch nicht denken. Die Thätigkeit des Diplomaten ist grade
in den größten Momenten, wo es sich um Krieg und Frieden, um Landerwerb
und Verlust handelt, von höchst discreter Natur. I" dem eigenen Geist und
Charakter muß er seine Hilfsquellen finden; seine Erfolge hängen davon ab,
ob er in schnell vorüberfliegenden Stunden die Einwürfe und die geheime Mei¬
nung eines Gegners oder Verbündeten richtig erfaßt hat, ob er die Kräfte seines
Staates und der feindlichen sicher würdigt, ob er das Wesen seines Fürsten
genau versteht und zu beeinflussen weiß, und vor allem, ob er nach langen
Reibungen und nach vielen Kompromissen noch unbefangene Frische, Geistes¬
gegenwart und Festigkeit hat. Niemand als er übersieht die zahlreichen Fäden,
in denen die größten Interessen laufen, und niemandem vielleicht als seinem


Und dieser Beginn einer neuen Periode des deutschen Lebens wie findet
er die Niedersachsen, die Hessen und die lustigen Franken am Main? Still,
passiv, gedrückt wie Leidende, an denen der Arzt eine schmerzliche Operation
vollzogen hat. Und die Preußen selbst? Neben der schönen Freude über ein
gelungenes Werk doch die Ueberreste alter Verstimmung, persönliches Mißtrauen
und aufgesammelten Groll, viele beengende Empfindungen, welche für den Augen¬
blick unterdrückt, aber nicht beseitigt sind.

Wir wissen alle warum. Der Gewinn ist uns geworden, durch kühnen
Entschluß Einzelner, die sich vorher selbst in die Lage gebracht hatten, die war¬
men Sympathien der deutschen Stämme und ihrer populären Vertrauensmänner
zu entbehren. Denn was sie während der letzten Jahre in Preußen gethan
oder zugelassen hatten, war oft so, daß es den Deutschen ihren stark aus¬
geprägten Sinn für Billigkeit und Gerechtigkeit empören mußte. Jetzt ist Vielen
unbehaglich, das Größte solchen zu verdanken, denen sie mißtrauten, und sie
mäkeln an dem Gewinn oder vermögen den Schmerz nicht zu überwinden, daß
er nicht aus dem Wege erworben wurde, den sie selbst im Kampf gegen die
Regierenden mit gutem Grunde empfohlen haben. Die langen Berathungen des
preußischen Abgeordnetenhauses über die Adresse sind ein Symptom dieser Stim¬
mung, das vorsichtige Zurückhalten der Patrioten in den annectirten Ländern
ein anderes.

Ja es ist wahr, das Volk verdankt einen großen Fortschritt dem Zufall,
daß ein talentvoller und muthiger Mann die auswärtigen Geschäfte sehr patrio¬
tisch und sehr eigenwillig leitete. Er besaß das Vertrauen seines Fürsten, nicht
das seiner frühern Parteigenossen, noch weniger das Vertrauen des preußischen
Volkes. Es ist natürlich, daß die Resultate, welche seine Diplomatie nach den
Siegen des Heeres sichert und daß die Organisation des künftigen Bundes¬
staates, welche er sich erfunden hat, anders nüancirt sind, als wenn er von
allgemeinem Zutrauen gestützt, in engem Verkehr mit den namhaften Vertretern
unserer Bolkswünsche, sein Programm gebildet hätte. — Aber zu groß darf man
sich den Unterschied doch nicht denken. Die Thätigkeit des Diplomaten ist grade
in den größten Momenten, wo es sich um Krieg und Frieden, um Landerwerb
und Verlust handelt, von höchst discreter Natur. I» dem eigenen Geist und
Charakter muß er seine Hilfsquellen finden; seine Erfolge hängen davon ab,
ob er in schnell vorüberfliegenden Stunden die Einwürfe und die geheime Mei¬
nung eines Gegners oder Verbündeten richtig erfaßt hat, ob er die Kräfte seines
Staates und der feindlichen sicher würdigt, ob er das Wesen seines Fürsten
genau versteht und zu beeinflussen weiß, und vor allem, ob er nach langen
Reibungen und nach vielen Kompromissen noch unbefangene Frische, Geistes¬
gegenwart und Festigkeit hat. Niemand als er übersieht die zahlreichen Fäden,
in denen die größten Interessen laufen, und niemandem vielleicht als seinem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/350>, abgerufen am 25.08.2024.