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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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risäer ausriefen: "Herr, ich danke dir, daß ich nicht bin. wie jener Norddeutschen
Einer!"

Gewiß, es war eine sehr schwere Aufgabe für den Nationalverein, sich in
dieser veränderten Sachlage zurecht zu finden und, ohne seinem Princip etwas
zu vergeben, den verschiedenen Richtungen. welchen seine Mitglieder angehörten,
Rechnung zu tragen. Bei den Difficulläten seiner Stellung muß man Mi߬
griffe, die er machte, entschuldigen. Aber läugnen darf man sie nicht. Um den
Süddeutschen zu genügen., ließ er die Frage der Einheit hinter die der Freiheit
zurücktreten. Allein die sogenannte "Volkspartei". welche von den radicalen
Particularistcn in Stuttgart, dem Abgeordneten Oesterlen und den mit beson¬
derem Agitationstalente begabten Redacteuren des dortigen "Beobachters", dem
bayerischen Abgeordneten Crcimer-Doos und einem Herrn Trabert, welcher in
der kurhessischen Ständeversammlung das verkannte Genie spielte, gegründet
worden war und. in starkem Mißverhältniß zu ihrem realen Bestände und ihren
wirklichen Leistungen, selbst sehr viel von sich reden machte, floh um so schneller,
je mehr man ihr nachlief. Sie wies diese Concession als unzureichend mit "sitt¬
licher Entrüstung" zurück, ohne indeß deutlich sagen zu können, was sie selbst
denn eigentlich wolle. Denn der Eine bezeichnete als Ziel eine demokratische
Heer-, Steuer- und Staatsverfassung unter Beibehaltung der monarchischen Viel-
siaaterei, der Zweite wollte die Föderativrepublik, der Dritte die "repudlicius
uns et illclivisidlö", und der Vierte suchte die Eigenthümlichkeit seiner eigenen
Partei darin, daß sie schlechtweg eine "programmlose" und grade des¬
halb zu allem im Stande und zu Großem berufen sei.

Um der liberalen Opposition in Preußen zu genügen, betonte der Verein
die Reichsverfassung und machte den Eintritt der preußischen Führung von Be¬
dingungen abhängig, welchen vielleicht das Preußen der Zukunft dereinst zu
genügen vermag, welche aber das Preußen der Gegenwart nicht erfüllen konnte,
ohne sich den größten Gefahren auszusetzen. Alles das schützte ihn jedoch nicht
gegen den vom Süden aus erhobenen Vorwurf, er sei eine Borussificirungs-
maschine, und ebenso wenig gegen die vom Norden her erhobene Beschuldigung,
er habe die preußische Spitze entweder inconsequenterweise fallen lassen, oder
muthlos hinter der Reichsverfassung versteckt.

Der Verein war den Preußenfeinden zu viel, den Preußenfreunden zu
wenig preußisch. Er hätte bei dem Bestreben, es allen recht zu machen, an
den Schillerschen Pentameter erinnern können:


"Mache es Wenigen recht, -- Alten genügen ist schwer."

Zu alledem kam. daß er über große Geldmittel verfügte, ohne daß greifbare
Resultate der Verwendung derselben an den Tag kamen. Einzelne Opponenten
brummten allerlei, d'as wie "Nepotism" und "Gevatterschaftspolitik" klang.
Indessen ist es nicht unsere Sache, Anklagen zu erheben. Wir wollen nur die


risäer ausriefen: „Herr, ich danke dir, daß ich nicht bin. wie jener Norddeutschen
Einer!"

Gewiß, es war eine sehr schwere Aufgabe für den Nationalverein, sich in
dieser veränderten Sachlage zurecht zu finden und, ohne seinem Princip etwas
zu vergeben, den verschiedenen Richtungen. welchen seine Mitglieder angehörten,
Rechnung zu tragen. Bei den Difficulläten seiner Stellung muß man Mi߬
griffe, die er machte, entschuldigen. Aber läugnen darf man sie nicht. Um den
Süddeutschen zu genügen., ließ er die Frage der Einheit hinter die der Freiheit
zurücktreten. Allein die sogenannte „Volkspartei". welche von den radicalen
Particularistcn in Stuttgart, dem Abgeordneten Oesterlen und den mit beson¬
derem Agitationstalente begabten Redacteuren des dortigen „Beobachters", dem
bayerischen Abgeordneten Crcimer-Doos und einem Herrn Trabert, welcher in
der kurhessischen Ständeversammlung das verkannte Genie spielte, gegründet
worden war und. in starkem Mißverhältniß zu ihrem realen Bestände und ihren
wirklichen Leistungen, selbst sehr viel von sich reden machte, floh um so schneller,
je mehr man ihr nachlief. Sie wies diese Concession als unzureichend mit „sitt¬
licher Entrüstung" zurück, ohne indeß deutlich sagen zu können, was sie selbst
denn eigentlich wolle. Denn der Eine bezeichnete als Ziel eine demokratische
Heer-, Steuer- und Staatsverfassung unter Beibehaltung der monarchischen Viel-
siaaterei, der Zweite wollte die Föderativrepublik, der Dritte die „repudlicius
uns et illclivisidlö", und der Vierte suchte die Eigenthümlichkeit seiner eigenen
Partei darin, daß sie schlechtweg eine „programmlose" und grade des¬
halb zu allem im Stande und zu Großem berufen sei.

Um der liberalen Opposition in Preußen zu genügen, betonte der Verein
die Reichsverfassung und machte den Eintritt der preußischen Führung von Be¬
dingungen abhängig, welchen vielleicht das Preußen der Zukunft dereinst zu
genügen vermag, welche aber das Preußen der Gegenwart nicht erfüllen konnte,
ohne sich den größten Gefahren auszusetzen. Alles das schützte ihn jedoch nicht
gegen den vom Süden aus erhobenen Vorwurf, er sei eine Borussificirungs-
maschine, und ebenso wenig gegen die vom Norden her erhobene Beschuldigung,
er habe die preußische Spitze entweder inconsequenterweise fallen lassen, oder
muthlos hinter der Reichsverfassung versteckt.

Der Verein war den Preußenfeinden zu viel, den Preußenfreunden zu
wenig preußisch. Er hätte bei dem Bestreben, es allen recht zu machen, an
den Schillerschen Pentameter erinnern können:


„Mache es Wenigen recht, — Alten genügen ist schwer."

Zu alledem kam. daß er über große Geldmittel verfügte, ohne daß greifbare
Resultate der Verwendung derselben an den Tag kamen. Einzelne Opponenten
brummten allerlei, d'as wie „Nepotism" und „Gevatterschaftspolitik" klang.
Indessen ist es nicht unsere Sache, Anklagen zu erheben. Wir wollen nur die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/334>, abgerufen am 22.07.2024.