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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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äußere Nothwendigkeit, hat folglich auf die Entwickelung der wirthschaftlichen
Tugenden nur sehr geringen Einfluß. Zunächst setzen Mann und Frau daS
sorglose Leben fort, welches Braut und Bräutigam geführt haben; und kommt
dann ein zweites, drittes Wochenbett, oder gar irgendein Unfall ins Haus ge¬
schneit, so fehlt es plötzlich an allen Ecken und Enden. Dann wird nur allzu
leicht der Branntwein, wenn er bis dahin eine scheinbar harmlose Nebenrolle
spielte, zum stehenden Tröster, und glättet die Bahn, auf welcher es zusehends
schneller abwärts geht.

Es hat natürlich zu der Zeit, da die Mäßigkeitsbestrebungen an der Tages¬
ordnung waren, auch im Wupperthale an solchen nicht gefehlt. Allein dort wie
anderswo ist diese Predigt jetzt mehr oder weniger verstummt. Zum Theil mag
ihnen, wie ihrem Feinde, das bayerische Bier eine überlegene Concurrenz be¬
reitet haben. Aber das Bier, so viel es auch zur Beschränkung des Brannt¬
weingenusses gethan hat. namentlich des öffentlichen und gemeinschaftlichen, hat
ihn doch keineswegs ganz verdrängt. In den meisten Wandschränken der Arbeiter¬
stuben hat eine Schnapsflasche ihren Platz, aus der schon Morgens, bevor es
zur Arbeit geht, ohne allen Zeitverlust ein paar Schlucke genommen werden.
Damit wird ein Stück Geld rasch verthan, und was noch schlimmer ist, die
Magen- und Gehirnnerven werden an diese gefährliche Arznei immer sklavischer
gewöhnt. Eine neue, wirksame Mäßigkeitspredigt wäre daher für die Arbeiter¬
bevölkerung des Wupperthals ein großer Segen. Vielleicht indessen ist solche
Wirkung im Allgemeinen überhaupt von keiner Predigt, sondern von der zu¬
nehmenden Ausklärung der Köpfe, Veredelung der Sitten und Mischung der
verschiedenen Stände zu erwarten.

Die frühere Mäßigkeitspredigt ging von der Kirche aus. Nicht eigentlich
Von der Kirche, aber von den Hauptträgern des kirchlichen Lebens ist über¬
haupt allerhand ausgegangen, woran auch der prüdeste Liberale keinen Anstoß
nehmen kann. Dem einflußreichen und thatkräftigen Vorsteher der reformirten
Gemeinde in Elberfeld, Commerzienrath Wilhelm Meckel. verdankt man das
sogenannte Vereinshaus, das in seinem unteren Theile eine Herberge mit hun¬
dert Betten für fahrende Handwerksgesellen u. tgi. enthält, während die oberen
Räume jedem Verein und jeder Versammlung offen stehen, deren Zwecke oder
Beschäftigungen nicht gradezu widerchristlicher oder unchristlicher Art sind. Ein
anderer streng kirchlicher und politisch conservativer Mann, Daniel von der Heydt,
Bruder des ehemaligen Ministers, nimmt die Ehre des ersten Anstoßes zu der
jetzigen mustergiltigen Armenpflege Elberfelds für sich in Anspruch. Die Mei¬
nungen über den Urheber sind zwar getheilt; andere nennen seinen Schwieger¬
sohn. Oberbürgermeister Lischke, der aus dem Hamburger Kirchentage und in der
Monatsschrift für deutsches Städtewesen darüber Bericht erstattet hat, -- noch
andere das Stadtrathsmitglied David Peters, einen Liberalen von großen Ver-


äußere Nothwendigkeit, hat folglich auf die Entwickelung der wirthschaftlichen
Tugenden nur sehr geringen Einfluß. Zunächst setzen Mann und Frau daS
sorglose Leben fort, welches Braut und Bräutigam geführt haben; und kommt
dann ein zweites, drittes Wochenbett, oder gar irgendein Unfall ins Haus ge¬
schneit, so fehlt es plötzlich an allen Ecken und Enden. Dann wird nur allzu
leicht der Branntwein, wenn er bis dahin eine scheinbar harmlose Nebenrolle
spielte, zum stehenden Tröster, und glättet die Bahn, auf welcher es zusehends
schneller abwärts geht.

Es hat natürlich zu der Zeit, da die Mäßigkeitsbestrebungen an der Tages¬
ordnung waren, auch im Wupperthale an solchen nicht gefehlt. Allein dort wie
anderswo ist diese Predigt jetzt mehr oder weniger verstummt. Zum Theil mag
ihnen, wie ihrem Feinde, das bayerische Bier eine überlegene Concurrenz be¬
reitet haben. Aber das Bier, so viel es auch zur Beschränkung des Brannt¬
weingenusses gethan hat. namentlich des öffentlichen und gemeinschaftlichen, hat
ihn doch keineswegs ganz verdrängt. In den meisten Wandschränken der Arbeiter¬
stuben hat eine Schnapsflasche ihren Platz, aus der schon Morgens, bevor es
zur Arbeit geht, ohne allen Zeitverlust ein paar Schlucke genommen werden.
Damit wird ein Stück Geld rasch verthan, und was noch schlimmer ist, die
Magen- und Gehirnnerven werden an diese gefährliche Arznei immer sklavischer
gewöhnt. Eine neue, wirksame Mäßigkeitspredigt wäre daher für die Arbeiter¬
bevölkerung des Wupperthals ein großer Segen. Vielleicht indessen ist solche
Wirkung im Allgemeinen überhaupt von keiner Predigt, sondern von der zu¬
nehmenden Ausklärung der Köpfe, Veredelung der Sitten und Mischung der
verschiedenen Stände zu erwarten.

Die frühere Mäßigkeitspredigt ging von der Kirche aus. Nicht eigentlich
Von der Kirche, aber von den Hauptträgern des kirchlichen Lebens ist über¬
haupt allerhand ausgegangen, woran auch der prüdeste Liberale keinen Anstoß
nehmen kann. Dem einflußreichen und thatkräftigen Vorsteher der reformirten
Gemeinde in Elberfeld, Commerzienrath Wilhelm Meckel. verdankt man das
sogenannte Vereinshaus, das in seinem unteren Theile eine Herberge mit hun¬
dert Betten für fahrende Handwerksgesellen u. tgi. enthält, während die oberen
Räume jedem Verein und jeder Versammlung offen stehen, deren Zwecke oder
Beschäftigungen nicht gradezu widerchristlicher oder unchristlicher Art sind. Ein
anderer streng kirchlicher und politisch conservativer Mann, Daniel von der Heydt,
Bruder des ehemaligen Ministers, nimmt die Ehre des ersten Anstoßes zu der
jetzigen mustergiltigen Armenpflege Elberfelds für sich in Anspruch. Die Mei¬
nungen über den Urheber sind zwar getheilt; andere nennen seinen Schwieger¬
sohn. Oberbürgermeister Lischke, der aus dem Hamburger Kirchentage und in der
Monatsschrift für deutsches Städtewesen darüber Bericht erstattet hat, — noch
andere das Stadtrathsmitglied David Peters, einen Liberalen von großen Ver-


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[0328] äußere Nothwendigkeit, hat folglich auf die Entwickelung der wirthschaftlichen Tugenden nur sehr geringen Einfluß. Zunächst setzen Mann und Frau daS sorglose Leben fort, welches Braut und Bräutigam geführt haben; und kommt dann ein zweites, drittes Wochenbett, oder gar irgendein Unfall ins Haus ge¬ schneit, so fehlt es plötzlich an allen Ecken und Enden. Dann wird nur allzu leicht der Branntwein, wenn er bis dahin eine scheinbar harmlose Nebenrolle spielte, zum stehenden Tröster, und glättet die Bahn, auf welcher es zusehends schneller abwärts geht. Es hat natürlich zu der Zeit, da die Mäßigkeitsbestrebungen an der Tages¬ ordnung waren, auch im Wupperthale an solchen nicht gefehlt. Allein dort wie anderswo ist diese Predigt jetzt mehr oder weniger verstummt. Zum Theil mag ihnen, wie ihrem Feinde, das bayerische Bier eine überlegene Concurrenz be¬ reitet haben. Aber das Bier, so viel es auch zur Beschränkung des Brannt¬ weingenusses gethan hat. namentlich des öffentlichen und gemeinschaftlichen, hat ihn doch keineswegs ganz verdrängt. In den meisten Wandschränken der Arbeiter¬ stuben hat eine Schnapsflasche ihren Platz, aus der schon Morgens, bevor es zur Arbeit geht, ohne allen Zeitverlust ein paar Schlucke genommen werden. Damit wird ein Stück Geld rasch verthan, und was noch schlimmer ist, die Magen- und Gehirnnerven werden an diese gefährliche Arznei immer sklavischer gewöhnt. Eine neue, wirksame Mäßigkeitspredigt wäre daher für die Arbeiter¬ bevölkerung des Wupperthals ein großer Segen. Vielleicht indessen ist solche Wirkung im Allgemeinen überhaupt von keiner Predigt, sondern von der zu¬ nehmenden Ausklärung der Köpfe, Veredelung der Sitten und Mischung der verschiedenen Stände zu erwarten. Die frühere Mäßigkeitspredigt ging von der Kirche aus. Nicht eigentlich Von der Kirche, aber von den Hauptträgern des kirchlichen Lebens ist über¬ haupt allerhand ausgegangen, woran auch der prüdeste Liberale keinen Anstoß nehmen kann. Dem einflußreichen und thatkräftigen Vorsteher der reformirten Gemeinde in Elberfeld, Commerzienrath Wilhelm Meckel. verdankt man das sogenannte Vereinshaus, das in seinem unteren Theile eine Herberge mit hun¬ dert Betten für fahrende Handwerksgesellen u. tgi. enthält, während die oberen Räume jedem Verein und jeder Versammlung offen stehen, deren Zwecke oder Beschäftigungen nicht gradezu widerchristlicher oder unchristlicher Art sind. Ein anderer streng kirchlicher und politisch conservativer Mann, Daniel von der Heydt, Bruder des ehemaligen Ministers, nimmt die Ehre des ersten Anstoßes zu der jetzigen mustergiltigen Armenpflege Elberfelds für sich in Anspruch. Die Mei¬ nungen über den Urheber sind zwar getheilt; andere nennen seinen Schwieger¬ sohn. Oberbürgermeister Lischke, der aus dem Hamburger Kirchentage und in der Monatsschrift für deutsches Städtewesen darüber Bericht erstattet hat, — noch andere das Stadtrathsmitglied David Peters, einen Liberalen von großen Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/328>, abgerufen am 22.07.2024.