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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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schaften beim Kaufmannsstande so hoch stieg, daß man ihn 1863 ins Abgeord¬
netenhaus wählte, und damit zugleich der Fortschrittspartei zum ersten großen
Siege über Conservative und Altliberale half, gewann eine entgegengesetzte
Predigt unter den Arbeitermassen Boden. Solingen und Ronsdorf etwa aus¬
genommen, fand die aufreizende Lehre Lassalles nirgends mehr Anklang als in
Elberfeld und Barmer. In gewissen Kneipen, namentlich der eines heimgekehrten
Flüchtlings von 1849 in Elberfeld, sammelten sich mehre Male die Woche oder
auch allabendlich die Unzufriedenen, denen der ganze Bau der Gesellschaft nicht
mehr behagen wollte, erörterten die von Lassalle geforderte Staatsunterstützung
von hundert Millionen für Arbeitergenossenschaften, die ihnen natürlich viel zu
niedrig dünkte, und brüteten über Rachepläne nach ven Tage des sicher und
sehnlich erwarteten großen Zusammensturzes. Zu fürchten war von ihnen zu¬
nächst nun allerdings noch nichts. Ihre kaum gestiftete Organisation zerfiel
unmittelbar nach Lassalles Tode sofort wieder in ihre letzten Bestandtheile, weil
sie mit dem losen Mörtel äußerlicher Borschristen und Gebote, anstatt mit dem
festen gemeinschaftlicher Interessen, klarer Aufgaben und vernünftigen Zusammen¬
wirkens aufgebaut war. Es fand sich nicht einmal ein Apostel, der nach des
Meisters Tode dessen Predigt mit einer gewissen Begeisterung und Gewandtheit
fortgesetzt hätte. AVer das Mißtrauen gegen die Absichten der Fabrikanten, der
Haß gegen das "Capital" war doch einmal gesät; und sobald nun von dieser
Seite her versucht wurde, durch gemeinsames Bemühen ein neues praktisches
Mittel zur Hebung der Arbeiterclasse in Gang zu bringen, zeigte sich der Acker
vom Unkraut des Mißtrauens dicht besetzt. Eine Auffassung des gegenseitigen
Verhältnisses, zu welcher höchstens die Bäter oder Großväter Grund gegeben
hatten, trat den Söhnen hindernd entgegen, so oft sie unternahmen einer grade
entgegengesetzten Auffassung thatsächliche Huldigungen darzubringen, Opfer an
Muße und Geld anboten, um die Lastthiere ihrer Borfahren aus eine Stufe
voller Menschenwürde heben zu helfen.

Dies trat auch noch hervor, als im vorigen Herbste ziemlich gleichzeitig in
Elberfeld der Allgemeine BildungSverein, in Barmer der Allgemeine Bürger¬
verein gestiftet wurde. Beide Bereine sahen ihre Mitgliederzahl rasch zu starken
Ziffern anschwellen, ihre Räume von Abend zu Abend dicht besetzt; aber es
waren nicht Arbeiter, was die hauptsächliche Masse derselben ausmachte, sondern
Handwerker, Kleinhändler und deren junger Nachwuchs. So war es selbst in
Elberfeld, obgleich man sich dort nicht bedacht hatte, den Sonntagnachmittag
für die Hauptzusammenkunft der Woche herzugeben. Im Uebrigen wurde durch
diese Vereine auch in das sociale Feld des Wupperthals eine neue Saat ge-
legt. Es traf in ihnen mit den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern, den
Herren und den Dienern der Industrie, ein drittes Element zusammen, Ver¬
treter irgendeiner Art von geschulter Intelligenz, Aerzte, Advocaten, Beamte,


schaften beim Kaufmannsstande so hoch stieg, daß man ihn 1863 ins Abgeord¬
netenhaus wählte, und damit zugleich der Fortschrittspartei zum ersten großen
Siege über Conservative und Altliberale half, gewann eine entgegengesetzte
Predigt unter den Arbeitermassen Boden. Solingen und Ronsdorf etwa aus¬
genommen, fand die aufreizende Lehre Lassalles nirgends mehr Anklang als in
Elberfeld und Barmer. In gewissen Kneipen, namentlich der eines heimgekehrten
Flüchtlings von 1849 in Elberfeld, sammelten sich mehre Male die Woche oder
auch allabendlich die Unzufriedenen, denen der ganze Bau der Gesellschaft nicht
mehr behagen wollte, erörterten die von Lassalle geforderte Staatsunterstützung
von hundert Millionen für Arbeitergenossenschaften, die ihnen natürlich viel zu
niedrig dünkte, und brüteten über Rachepläne nach ven Tage des sicher und
sehnlich erwarteten großen Zusammensturzes. Zu fürchten war von ihnen zu¬
nächst nun allerdings noch nichts. Ihre kaum gestiftete Organisation zerfiel
unmittelbar nach Lassalles Tode sofort wieder in ihre letzten Bestandtheile, weil
sie mit dem losen Mörtel äußerlicher Borschristen und Gebote, anstatt mit dem
festen gemeinschaftlicher Interessen, klarer Aufgaben und vernünftigen Zusammen¬
wirkens aufgebaut war. Es fand sich nicht einmal ein Apostel, der nach des
Meisters Tode dessen Predigt mit einer gewissen Begeisterung und Gewandtheit
fortgesetzt hätte. AVer das Mißtrauen gegen die Absichten der Fabrikanten, der
Haß gegen das „Capital" war doch einmal gesät; und sobald nun von dieser
Seite her versucht wurde, durch gemeinsames Bemühen ein neues praktisches
Mittel zur Hebung der Arbeiterclasse in Gang zu bringen, zeigte sich der Acker
vom Unkraut des Mißtrauens dicht besetzt. Eine Auffassung des gegenseitigen
Verhältnisses, zu welcher höchstens die Bäter oder Großväter Grund gegeben
hatten, trat den Söhnen hindernd entgegen, so oft sie unternahmen einer grade
entgegengesetzten Auffassung thatsächliche Huldigungen darzubringen, Opfer an
Muße und Geld anboten, um die Lastthiere ihrer Borfahren aus eine Stufe
voller Menschenwürde heben zu helfen.

Dies trat auch noch hervor, als im vorigen Herbste ziemlich gleichzeitig in
Elberfeld der Allgemeine BildungSverein, in Barmer der Allgemeine Bürger¬
verein gestiftet wurde. Beide Bereine sahen ihre Mitgliederzahl rasch zu starken
Ziffern anschwellen, ihre Räume von Abend zu Abend dicht besetzt; aber es
waren nicht Arbeiter, was die hauptsächliche Masse derselben ausmachte, sondern
Handwerker, Kleinhändler und deren junger Nachwuchs. So war es selbst in
Elberfeld, obgleich man sich dort nicht bedacht hatte, den Sonntagnachmittag
für die Hauptzusammenkunft der Woche herzugeben. Im Uebrigen wurde durch
diese Vereine auch in das sociale Feld des Wupperthals eine neue Saat ge-
legt. Es traf in ihnen mit den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern, den
Herren und den Dienern der Industrie, ein drittes Element zusammen, Ver¬
treter irgendeiner Art von geschulter Intelligenz, Aerzte, Advocaten, Beamte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/326>, abgerufen am 22.07.2024.