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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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An einer Lohnstatistik fehlt es dem Wupperthal, wie Rheinland-Westfalen
überhaupt, noch gänzlich. Als von Basel her dieserhalb vor kurzem eine An-
frage hierher erging, war man in großer Verlegenheit sie halbwegs zufrieden¬
stellend zu beantworten. Wenn der Staat aber Behörden für Statistik einsetzt
und hält, so kann er denselben kaum eine dringlichere Aufgabe stellen, als daß
sie für die Ermittelung und rechtzeitige regelmäßige Veröffentlichung der Lohn¬
sätze sorgen. Die freie Bewegung, welche das Gesetz dem Arbeiter heutzutage
giebt, die Fähigkeit vernünftig zu wählen und seine Lage vortheilhaft zu ändern,
welche er einer sorgfältigeren Bildung verdankt, erlangen in Bezug aus die
Lohnfrage, d. h. auf die Cardinalfrage der Existenz, für ihn erst vollen Werth,
wenn sich ihm zu jeder Zeit eine erschöpfende Uebersicht über den Stand der
Löhne in seinen und in verwandten Gewerben darbietet. Der Gedanke, die
Lohnsätze durchweg regelmäßig bekannt zu machen, ist im Wupperthal nicht neu.
Schon 1848 ist er aufgetaucht, aber im Strudel der damaligen sich überstürzenden
Ereignisse auch alsbald wieder untergegangen.

Gänzlich neu dagegen scheint, was die Praxis anbetrifft, und nicht blos
theoretische Ueberlegung oder Besprechung, die Idee des Tantiömelohns, des
iheilweise vom Gewinn abhängigen und am Gewinn theilnehmenden Lohnes
Zu sein, zu deren Anwalt in Deutschland sich neuerdings V. A. Huber gemacht
hat. Dies ist eine so conservative und solide Firma, daß man denken sollte,
ihr Vorschlag werde aller Orten willige und unbefangene Erörterung finden.

Professor Huber ist freilich zu vorwiegend Beobachter und Forscher statt
Agitator, um eigentlich Propaganda zu machen oder Anhänger zu besitzen.
Dagegen kann man sagen, daß unter den Fabrikbesitzern des Wupperthals und
den mit ihnen verwachsenen Kreisen seit mehren Jahren ein anderer moderner
Socialpolitiker wahrhaft populär ist, Schulze-Delitzsch. Er hat in dieser Be¬
ziehung völlig Lifts Stelle eingenommen, wie die sociale Frage den Platz der
Freihandels- oder Schutzzollfrage. Und zwar hat man schon vor der Gegen-
azitation Lassalles seine unsterblichen Verdienste um die wirthschaftlich leidenden
lassen sowohl, als um den gesellschaftlichen Frieden würdigen gelernt. Jüngere
Fabrikanten, von den Ideen der Gegenwart erfüllt, fanden in seinen Schriften
Und praktischen Experimenten, wonach es sie verlangte: Mittel und Wege, um
der vorhandenen Noth besser als durch Almosen, nachhaltiger als durch bloße
einseitige Philanthropie abzuhelfen. Unter ihren Auspicien, d. h. mit ihrer
Unterstützung durch Rath und That entstanden zwei mit einander wetteifernde
Konsumvereine, die den verbundenen Arbeitern und Handwerkern den unent-
behrlichsten Haushaltsbedarf brauchbarer und billiger als der Kleinhändler liefern.
Auf den Schultern des einen derselben soll sich demnächst eine Productivgenossen-
schaft von Posamentirern erheben.

Aber während die Popularität des Begründers der deutschen Genossen-


An einer Lohnstatistik fehlt es dem Wupperthal, wie Rheinland-Westfalen
überhaupt, noch gänzlich. Als von Basel her dieserhalb vor kurzem eine An-
frage hierher erging, war man in großer Verlegenheit sie halbwegs zufrieden¬
stellend zu beantworten. Wenn der Staat aber Behörden für Statistik einsetzt
und hält, so kann er denselben kaum eine dringlichere Aufgabe stellen, als daß
sie für die Ermittelung und rechtzeitige regelmäßige Veröffentlichung der Lohn¬
sätze sorgen. Die freie Bewegung, welche das Gesetz dem Arbeiter heutzutage
giebt, die Fähigkeit vernünftig zu wählen und seine Lage vortheilhaft zu ändern,
welche er einer sorgfältigeren Bildung verdankt, erlangen in Bezug aus die
Lohnfrage, d. h. auf die Cardinalfrage der Existenz, für ihn erst vollen Werth,
wenn sich ihm zu jeder Zeit eine erschöpfende Uebersicht über den Stand der
Löhne in seinen und in verwandten Gewerben darbietet. Der Gedanke, die
Lohnsätze durchweg regelmäßig bekannt zu machen, ist im Wupperthal nicht neu.
Schon 1848 ist er aufgetaucht, aber im Strudel der damaligen sich überstürzenden
Ereignisse auch alsbald wieder untergegangen.

Gänzlich neu dagegen scheint, was die Praxis anbetrifft, und nicht blos
theoretische Ueberlegung oder Besprechung, die Idee des Tantiömelohns, des
iheilweise vom Gewinn abhängigen und am Gewinn theilnehmenden Lohnes
Zu sein, zu deren Anwalt in Deutschland sich neuerdings V. A. Huber gemacht
hat. Dies ist eine so conservative und solide Firma, daß man denken sollte,
ihr Vorschlag werde aller Orten willige und unbefangene Erörterung finden.

Professor Huber ist freilich zu vorwiegend Beobachter und Forscher statt
Agitator, um eigentlich Propaganda zu machen oder Anhänger zu besitzen.
Dagegen kann man sagen, daß unter den Fabrikbesitzern des Wupperthals und
den mit ihnen verwachsenen Kreisen seit mehren Jahren ein anderer moderner
Socialpolitiker wahrhaft populär ist, Schulze-Delitzsch. Er hat in dieser Be¬
ziehung völlig Lifts Stelle eingenommen, wie die sociale Frage den Platz der
Freihandels- oder Schutzzollfrage. Und zwar hat man schon vor der Gegen-
azitation Lassalles seine unsterblichen Verdienste um die wirthschaftlich leidenden
lassen sowohl, als um den gesellschaftlichen Frieden würdigen gelernt. Jüngere
Fabrikanten, von den Ideen der Gegenwart erfüllt, fanden in seinen Schriften
Und praktischen Experimenten, wonach es sie verlangte: Mittel und Wege, um
der vorhandenen Noth besser als durch Almosen, nachhaltiger als durch bloße
einseitige Philanthropie abzuhelfen. Unter ihren Auspicien, d. h. mit ihrer
Unterstützung durch Rath und That entstanden zwei mit einander wetteifernde
Konsumvereine, die den verbundenen Arbeitern und Handwerkern den unent-
behrlichsten Haushaltsbedarf brauchbarer und billiger als der Kleinhändler liefern.
Auf den Schultern des einen derselben soll sich demnächst eine Productivgenossen-
schaft von Posamentirern erheben.

Aber während die Popularität des Begründers der deutschen Genossen-


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[0325] An einer Lohnstatistik fehlt es dem Wupperthal, wie Rheinland-Westfalen überhaupt, noch gänzlich. Als von Basel her dieserhalb vor kurzem eine An- frage hierher erging, war man in großer Verlegenheit sie halbwegs zufrieden¬ stellend zu beantworten. Wenn der Staat aber Behörden für Statistik einsetzt und hält, so kann er denselben kaum eine dringlichere Aufgabe stellen, als daß sie für die Ermittelung und rechtzeitige regelmäßige Veröffentlichung der Lohn¬ sätze sorgen. Die freie Bewegung, welche das Gesetz dem Arbeiter heutzutage giebt, die Fähigkeit vernünftig zu wählen und seine Lage vortheilhaft zu ändern, welche er einer sorgfältigeren Bildung verdankt, erlangen in Bezug aus die Lohnfrage, d. h. auf die Cardinalfrage der Existenz, für ihn erst vollen Werth, wenn sich ihm zu jeder Zeit eine erschöpfende Uebersicht über den Stand der Löhne in seinen und in verwandten Gewerben darbietet. Der Gedanke, die Lohnsätze durchweg regelmäßig bekannt zu machen, ist im Wupperthal nicht neu. Schon 1848 ist er aufgetaucht, aber im Strudel der damaligen sich überstürzenden Ereignisse auch alsbald wieder untergegangen. Gänzlich neu dagegen scheint, was die Praxis anbetrifft, und nicht blos theoretische Ueberlegung oder Besprechung, die Idee des Tantiömelohns, des iheilweise vom Gewinn abhängigen und am Gewinn theilnehmenden Lohnes Zu sein, zu deren Anwalt in Deutschland sich neuerdings V. A. Huber gemacht hat. Dies ist eine so conservative und solide Firma, daß man denken sollte, ihr Vorschlag werde aller Orten willige und unbefangene Erörterung finden. Professor Huber ist freilich zu vorwiegend Beobachter und Forscher statt Agitator, um eigentlich Propaganda zu machen oder Anhänger zu besitzen. Dagegen kann man sagen, daß unter den Fabrikbesitzern des Wupperthals und den mit ihnen verwachsenen Kreisen seit mehren Jahren ein anderer moderner Socialpolitiker wahrhaft populär ist, Schulze-Delitzsch. Er hat in dieser Be¬ ziehung völlig Lifts Stelle eingenommen, wie die sociale Frage den Platz der Freihandels- oder Schutzzollfrage. Und zwar hat man schon vor der Gegen- azitation Lassalles seine unsterblichen Verdienste um die wirthschaftlich leidenden lassen sowohl, als um den gesellschaftlichen Frieden würdigen gelernt. Jüngere Fabrikanten, von den Ideen der Gegenwart erfüllt, fanden in seinen Schriften Und praktischen Experimenten, wonach es sie verlangte: Mittel und Wege, um der vorhandenen Noth besser als durch Almosen, nachhaltiger als durch bloße einseitige Philanthropie abzuhelfen. Unter ihren Auspicien, d. h. mit ihrer Unterstützung durch Rath und That entstanden zwei mit einander wetteifernde Konsumvereine, die den verbundenen Arbeitern und Handwerkern den unent- behrlichsten Haushaltsbedarf brauchbarer und billiger als der Kleinhändler liefern. Auf den Schultern des einen derselben soll sich demnächst eine Productivgenossen- schaft von Posamentirern erheben. Aber während die Popularität des Begründers der deutschen Genossen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/325>, abgerufen am 22.07.2024.