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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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zählen Pflegen, deren Umstände am wenigsten erlauben der Gesundheitspflege
alle wünschenswerthe Aufmerksamkeit zu widmen, eben diese Classen wohnen
Vorzugsweise da, wo die Beschaffenheit des Bodens schon das allzu dichte Zu¬
sammenrücken, die allzu hohe Aufthürmung der Häuser verbietet, wo die Luft
in beständiger reinigender und auffrischender Bewegung ist, wo die Senkung der
Erdschichten jede giftausathmende Flüssigkeit rascher verrinnen läßt. Diese "wirth¬
schaftliche Harmonie", wie Bastiat sich ausdrücken würde, ist bisher von dem
durch sie begünstigten Stande wenig gewürdigt worden. Je mehr sich indessen
das allgemeine Augenmerk auf die Gesundheitsfragen richtet, desto weniger kann
sie unbemerkt und ungewürdigt bleiben.

Freilich ist daran die gegenwärtige Generation der Fabrikbesitzer überhaupt
nicht Schuld, und auch die voraufgegangene nicht in dem Sinne eines Ver¬
dienstes. In anderer Hinsicht unterscheidet sich jene von dieser sehr zu ihrer
Ehre. Sie hat im Arbeiter den Nebenmenschen erkannt. Noch vor einem
Menschenalter sah man durchschnittlich in ihm ein Wesen niederer Ordnung
das da sei, um rücksichtslos ausgebeutet zu werden. Die geringe Spanne Zeit,
welche seit der gesetzlichen Aufhebung der Dienstbarkeit, ja der Leibeigenschaft
verflossen war, sein eigner ans Thierische grenzender Stumpfsinn, dem jeder An¬
fang von Bildung mangelte, schien dazu aufzufordern. Er schien weder eines
besseren Looses werth zu sein, noch für wesentliche, sittliche Berbesserungen seiner
Lage überhaupt empfänglich. So verfolgte man denn rücksichtslos sein eigenes
egoistisches Interesse. Das berüchtigte Trucksystem war im vollen Schwange.
Statt baaren Gelbes erhielt der Arbeiter seinen Lohn in Anweisungen oder
Wechseln, die nur mit Mühe und Schaden zu versilbern waren, in Waarenbons,
die ebenfalls weniger werth waren als der Betrag, auf den sie lauteten, in aus¬
geschossenen eigenen Fabrikaten endlich, falls ihnen an den Fehlern derselben
der geringste Antheil von Schuld beigemessen werden konnte. Seit den dreißiger
und vierziger Jahren indessen begann man alle diese Mißbräuche abzustellen.
nöthigte dazu kein aus dem eignen, verkümmerten Staatsleben hervorgehender
Zwang, so ließ man die Verhandlungen auf sich wirken, welche die gleichen
Uebelstände in England, Frankreich und Belgien zu Wege brachten. Zeigte
sich im Wupperthal keine glänzende und großartige sociale Initiative wirksam,
so sanken die Arbeiterverhciltnisse der Regel nach doch auch nicht unter ein er¬
trägliches mittleres Maß hinab. Der Lohn war. namentlich in Elberfeld,
Meistens gut und fest. Wenn der Absatz stockte, setzte man die Beschäftigung
bis zu einem gewissen Grade nur um der Arbeiter willen fort.

Diese Praxis hat freilich offenbar ihre zwei Seiten und unterliegt daher
auch entgegengesetzter Beurtheilung. Den Fabrikanten kann dabei ein doppeltes
Interesse leiten: dasjenige, nicht wegen einer vielleicht ganz vorübergehenden
Stockung des Absatzes eingeübte Arbeitskräfte zu verlieren, die nach Wiederher-


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zählen Pflegen, deren Umstände am wenigsten erlauben der Gesundheitspflege
alle wünschenswerthe Aufmerksamkeit zu widmen, eben diese Classen wohnen
Vorzugsweise da, wo die Beschaffenheit des Bodens schon das allzu dichte Zu¬
sammenrücken, die allzu hohe Aufthürmung der Häuser verbietet, wo die Luft
in beständiger reinigender und auffrischender Bewegung ist, wo die Senkung der
Erdschichten jede giftausathmende Flüssigkeit rascher verrinnen läßt. Diese „wirth¬
schaftliche Harmonie", wie Bastiat sich ausdrücken würde, ist bisher von dem
durch sie begünstigten Stande wenig gewürdigt worden. Je mehr sich indessen
das allgemeine Augenmerk auf die Gesundheitsfragen richtet, desto weniger kann
sie unbemerkt und ungewürdigt bleiben.

Freilich ist daran die gegenwärtige Generation der Fabrikbesitzer überhaupt
nicht Schuld, und auch die voraufgegangene nicht in dem Sinne eines Ver¬
dienstes. In anderer Hinsicht unterscheidet sich jene von dieser sehr zu ihrer
Ehre. Sie hat im Arbeiter den Nebenmenschen erkannt. Noch vor einem
Menschenalter sah man durchschnittlich in ihm ein Wesen niederer Ordnung
das da sei, um rücksichtslos ausgebeutet zu werden. Die geringe Spanne Zeit,
welche seit der gesetzlichen Aufhebung der Dienstbarkeit, ja der Leibeigenschaft
verflossen war, sein eigner ans Thierische grenzender Stumpfsinn, dem jeder An¬
fang von Bildung mangelte, schien dazu aufzufordern. Er schien weder eines
besseren Looses werth zu sein, noch für wesentliche, sittliche Berbesserungen seiner
Lage überhaupt empfänglich. So verfolgte man denn rücksichtslos sein eigenes
egoistisches Interesse. Das berüchtigte Trucksystem war im vollen Schwange.
Statt baaren Gelbes erhielt der Arbeiter seinen Lohn in Anweisungen oder
Wechseln, die nur mit Mühe und Schaden zu versilbern waren, in Waarenbons,
die ebenfalls weniger werth waren als der Betrag, auf den sie lauteten, in aus¬
geschossenen eigenen Fabrikaten endlich, falls ihnen an den Fehlern derselben
der geringste Antheil von Schuld beigemessen werden konnte. Seit den dreißiger
und vierziger Jahren indessen begann man alle diese Mißbräuche abzustellen.
nöthigte dazu kein aus dem eignen, verkümmerten Staatsleben hervorgehender
Zwang, so ließ man die Verhandlungen auf sich wirken, welche die gleichen
Uebelstände in England, Frankreich und Belgien zu Wege brachten. Zeigte
sich im Wupperthal keine glänzende und großartige sociale Initiative wirksam,
so sanken die Arbeiterverhciltnisse der Regel nach doch auch nicht unter ein er¬
trägliches mittleres Maß hinab. Der Lohn war. namentlich in Elberfeld,
Meistens gut und fest. Wenn der Absatz stockte, setzte man die Beschäftigung
bis zu einem gewissen Grade nur um der Arbeiter willen fort.

Diese Praxis hat freilich offenbar ihre zwei Seiten und unterliegt daher
auch entgegengesetzter Beurtheilung. Den Fabrikanten kann dabei ein doppeltes
Interesse leiten: dasjenige, nicht wegen einer vielleicht ganz vorübergehenden
Stockung des Absatzes eingeübte Arbeitskräfte zu verlieren, die nach Wiederher-


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[0323] zählen Pflegen, deren Umstände am wenigsten erlauben der Gesundheitspflege alle wünschenswerthe Aufmerksamkeit zu widmen, eben diese Classen wohnen Vorzugsweise da, wo die Beschaffenheit des Bodens schon das allzu dichte Zu¬ sammenrücken, die allzu hohe Aufthürmung der Häuser verbietet, wo die Luft in beständiger reinigender und auffrischender Bewegung ist, wo die Senkung der Erdschichten jede giftausathmende Flüssigkeit rascher verrinnen läßt. Diese „wirth¬ schaftliche Harmonie", wie Bastiat sich ausdrücken würde, ist bisher von dem durch sie begünstigten Stande wenig gewürdigt worden. Je mehr sich indessen das allgemeine Augenmerk auf die Gesundheitsfragen richtet, desto weniger kann sie unbemerkt und ungewürdigt bleiben. Freilich ist daran die gegenwärtige Generation der Fabrikbesitzer überhaupt nicht Schuld, und auch die voraufgegangene nicht in dem Sinne eines Ver¬ dienstes. In anderer Hinsicht unterscheidet sich jene von dieser sehr zu ihrer Ehre. Sie hat im Arbeiter den Nebenmenschen erkannt. Noch vor einem Menschenalter sah man durchschnittlich in ihm ein Wesen niederer Ordnung das da sei, um rücksichtslos ausgebeutet zu werden. Die geringe Spanne Zeit, welche seit der gesetzlichen Aufhebung der Dienstbarkeit, ja der Leibeigenschaft verflossen war, sein eigner ans Thierische grenzender Stumpfsinn, dem jeder An¬ fang von Bildung mangelte, schien dazu aufzufordern. Er schien weder eines besseren Looses werth zu sein, noch für wesentliche, sittliche Berbesserungen seiner Lage überhaupt empfänglich. So verfolgte man denn rücksichtslos sein eigenes egoistisches Interesse. Das berüchtigte Trucksystem war im vollen Schwange. Statt baaren Gelbes erhielt der Arbeiter seinen Lohn in Anweisungen oder Wechseln, die nur mit Mühe und Schaden zu versilbern waren, in Waarenbons, die ebenfalls weniger werth waren als der Betrag, auf den sie lauteten, in aus¬ geschossenen eigenen Fabrikaten endlich, falls ihnen an den Fehlern derselben der geringste Antheil von Schuld beigemessen werden konnte. Seit den dreißiger und vierziger Jahren indessen begann man alle diese Mißbräuche abzustellen. nöthigte dazu kein aus dem eignen, verkümmerten Staatsleben hervorgehender Zwang, so ließ man die Verhandlungen auf sich wirken, welche die gleichen Uebelstände in England, Frankreich und Belgien zu Wege brachten. Zeigte sich im Wupperthal keine glänzende und großartige sociale Initiative wirksam, so sanken die Arbeiterverhciltnisse der Regel nach doch auch nicht unter ein er¬ trägliches mittleres Maß hinab. Der Lohn war. namentlich in Elberfeld, Meistens gut und fest. Wenn der Absatz stockte, setzte man die Beschäftigung bis zu einem gewissen Grade nur um der Arbeiter willen fort. Diese Praxis hat freilich offenbar ihre zwei Seiten und unterliegt daher auch entgegengesetzter Beurtheilung. Den Fabrikanten kann dabei ein doppeltes Interesse leiten: dasjenige, nicht wegen einer vielleicht ganz vorübergehenden Stockung des Absatzes eingeübte Arbeitskräfte zu verlieren, die nach Wiederher- 38*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/323>, abgerufen am 22.07.2024.