Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.einer der drei rivalisirenden großen rheinisch-westfälischen Eisenbahngesellschaften, Im Wupperthale fehlt demnach, was in Industriestädten gleich Berlin und einer der drei rivalisirenden großen rheinisch-westfälischen Eisenbahngesellschaften, Im Wupperthale fehlt demnach, was in Industriestädten gleich Berlin und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285910"/> <p xml:id="ID_970" prev="#ID_969"> einer der drei rivalisirenden großen rheinisch-westfälischen Eisenbahngesellschaften,<lb/> die in Elberfeld ihr Hauptquartier hat, würde die Schicht der kleinen Beamten<lb/> innerhalb des Mittelstandes kaum mitzählen. Von den Ständen, welche die<lb/> geschulte Intelligenz vertreten, gilt Gleiches. Das geistliche Leben des Thales<lb/> ist bekanntermaßen stark entwickelt, aber da der Protestantismus keine Klöster<lb/> hat, so ist der geistliche Stand darum doch nicht auffallend und ungewöhn¬<lb/> lich massenhaft vertreten. Die Zahl der Lehrer bleibt trotz der Schulen¬<lb/> gründungen der letzten Jahrzehnte eher hinter dem vorhandenen Bedürfniß<lb/> zurück. Dasselbe ist noch entschiedener mit den Aerzten der Fall, von denen<lb/> im Wupperthal eine außerordentlich kleine Quote auf die Bevölkerung kommt,<lb/> ohne daß man hier merklich gesünder wäre als anderswo. Die eigentliche<lb/> Masse der Bewohner, die Fabrikarbeiter, sind eben nicht im Stande den Arzt<lb/> angemessen zu bezahlen, und die verhältnißmäßig hohen Honorare der Fabrik¬<lb/> herren und ihresgleichen reichen nicht hin. vertheilen sich auch nicht gleichmäßig<lb/> genug, um eine wirklich ausreichende Zahl junger Mediciner hierher zu locken.<lb/> Die Folge ist. daß die Selvstdisvensation in den Apotheken großen Umfang<lb/> gewonnen hat, — mit andern Worten, daß Pharmaceuten in die Heilkunst<lb/> hineinpfuschen, und die zünftigen Künstler vor der Nothwendigkeit ein Auge<lb/> zudrücken.</p><lb/> <p xml:id="ID_971" next="#ID_972"> Im Wupperthale fehlt demnach, was in Industriestädten gleich Berlin und<lb/> Hamburg einhüllend, abstumpfend, mildernd auf den großen Gegensatz zwischen<lb/> Arm und Reich wirkt: eine zahlreiche andern Geschäften gewidmete, mit der<lb/> industriellen bunt und dicht gemischte Bevölkerung. Wenn die Arbeiter ihre<lb/> täglichen vier Gänge nach und aus der Fabrik machen, so Vassiren sie regel¬<lb/> mäßig die Paar Straßen voll Paläste, in denen ihre Brodherren nach Geschmack<lb/> und Laune das Leben genießen. Wenn die Inhaber dieser Paläste Waldes¬<lb/> schatten suchen oder eine Aussicht genießen wollen, so führt ihr Weg sie an<lb/> den roh gezimmerten Häusern aus Holz und Fachwerk vorbei, in welchen die<lb/> Webstuhle klappern, deren Erzeugnisse ihnen so viel Ueberfluß gewähren. Denn<lb/> hier haben, wie Goethe in der „Harzreise" sagt, „die Reichen in die Sümpfe<lb/> sich gesenkt", ihre Wohnhäuser hart neben den Fabrikgebäuden in der Niede¬<lb/> rung errichtet, den Arbeitern aber die schwerer zugänglichen Abhänge der das<lb/> Thal begrenzenden Höhen überlassen. Wenn man an einem Sommerabend von<lb/> den Bergen heruntersteige, so merkt man an dem ewig über der Thalsohle lie¬<lb/> genden dicken Dunst, welche bedeutungsvolle sociale Ausgleichung in den körper¬<lb/> lichen Wirkungen dieser rein aus dem Geschästsbedürfniß. oder wenn man will,<lb/> aus der Bequemlichkeit hervorgegangenen Wahl der Wohnungsstätten liegen<lb/> muß. So weit dieselbe reicht, ist jeder gefährlichen Anhäufung auf engem<lb/> Raum vorgebeugt: diejenigen Classen, welche wirthschaftlich genöthigt sind sich<lb/> räumlich aufs äußerste zu beschränken, deren Familien die meisten Köpfe zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0322]
einer der drei rivalisirenden großen rheinisch-westfälischen Eisenbahngesellschaften,
die in Elberfeld ihr Hauptquartier hat, würde die Schicht der kleinen Beamten
innerhalb des Mittelstandes kaum mitzählen. Von den Ständen, welche die
geschulte Intelligenz vertreten, gilt Gleiches. Das geistliche Leben des Thales
ist bekanntermaßen stark entwickelt, aber da der Protestantismus keine Klöster
hat, so ist der geistliche Stand darum doch nicht auffallend und ungewöhn¬
lich massenhaft vertreten. Die Zahl der Lehrer bleibt trotz der Schulen¬
gründungen der letzten Jahrzehnte eher hinter dem vorhandenen Bedürfniß
zurück. Dasselbe ist noch entschiedener mit den Aerzten der Fall, von denen
im Wupperthal eine außerordentlich kleine Quote auf die Bevölkerung kommt,
ohne daß man hier merklich gesünder wäre als anderswo. Die eigentliche
Masse der Bewohner, die Fabrikarbeiter, sind eben nicht im Stande den Arzt
angemessen zu bezahlen, und die verhältnißmäßig hohen Honorare der Fabrik¬
herren und ihresgleichen reichen nicht hin. vertheilen sich auch nicht gleichmäßig
genug, um eine wirklich ausreichende Zahl junger Mediciner hierher zu locken.
Die Folge ist. daß die Selvstdisvensation in den Apotheken großen Umfang
gewonnen hat, — mit andern Worten, daß Pharmaceuten in die Heilkunst
hineinpfuschen, und die zünftigen Künstler vor der Nothwendigkeit ein Auge
zudrücken.
Im Wupperthale fehlt demnach, was in Industriestädten gleich Berlin und
Hamburg einhüllend, abstumpfend, mildernd auf den großen Gegensatz zwischen
Arm und Reich wirkt: eine zahlreiche andern Geschäften gewidmete, mit der
industriellen bunt und dicht gemischte Bevölkerung. Wenn die Arbeiter ihre
täglichen vier Gänge nach und aus der Fabrik machen, so Vassiren sie regel¬
mäßig die Paar Straßen voll Paläste, in denen ihre Brodherren nach Geschmack
und Laune das Leben genießen. Wenn die Inhaber dieser Paläste Waldes¬
schatten suchen oder eine Aussicht genießen wollen, so führt ihr Weg sie an
den roh gezimmerten Häusern aus Holz und Fachwerk vorbei, in welchen die
Webstuhle klappern, deren Erzeugnisse ihnen so viel Ueberfluß gewähren. Denn
hier haben, wie Goethe in der „Harzreise" sagt, „die Reichen in die Sümpfe
sich gesenkt", ihre Wohnhäuser hart neben den Fabrikgebäuden in der Niede¬
rung errichtet, den Arbeitern aber die schwerer zugänglichen Abhänge der das
Thal begrenzenden Höhen überlassen. Wenn man an einem Sommerabend von
den Bergen heruntersteige, so merkt man an dem ewig über der Thalsohle lie¬
genden dicken Dunst, welche bedeutungsvolle sociale Ausgleichung in den körper¬
lichen Wirkungen dieser rein aus dem Geschästsbedürfniß. oder wenn man will,
aus der Bequemlichkeit hervorgegangenen Wahl der Wohnungsstätten liegen
muß. So weit dieselbe reicht, ist jeder gefährlichen Anhäufung auf engem
Raum vorgebeugt: diejenigen Classen, welche wirthschaftlich genöthigt sind sich
räumlich aufs äußerste zu beschränken, deren Familien die meisten Köpfe zu
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