Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Sociale Zustande im Wupperthal.

Im ersten Briefe haben wir das Wupperthal von seiner productiven. in¬
dustriellen Seite geschildert, der es seine Bedeutung für die übrige Welt größten,
theils verdankt. Wir wollen jetzt darstellen, wie sich der Ertrag dieser
Massenarbeit vertheilt und verbraucht, und halten uns berechtigt, dabei von
den temporären Störungen abzusehen, welche die Kriegszeit und der Nothstand
hervorgebracht haben.

Neben der industriellen Bevölkerung hat sich hier, wie schon zahlenmäßig
angeführt worden ist, nur das nothdürftigste Maß von andern Einwohnerclassen
angesiedelt. Zwischen den Fabrikbesitzern und Großhändlern auf der einen Seite,
den Arbeitern auf der andern vertritt nur eine eben ausreichende Zahl von
Krämern und Handwerkern den Mittelstand. Der Staat hat keine seiner großen,
an den Ort weniger gebundenen Anstalten hierher gelegt. Selbst das Poly-
technikum der westlichen Landestheile war stets nur entweder Aachen, wohin es
nun kommen soll, oder Köln zugedacht, nicht dem Wupperthal. das beide Städte
an industrieller Bedeutung doch noch überragt. Es ist nichts hier als ein
Landgericht, das sich inmitten einer Bewohnerzahl von 120.000 schlechterdings
nicht entbehren ließ. Von Militär keine Spur; einer der entzündlichsten Be¬
völkerungen des Landes ist nicht der geringste Bruchtheil jener bewaffneten
Macht gegenübergestellt, die auf dem Festland von Europa allenthalben ja
auch für den innern Frieden aufkommen muß. Freilich wäre es in hohem
Grade bedenklich, die Müßiggänger und gezwungnen Hagestolze einer Garnison
an einem Orte, der so fabelhaft wenig Zerstreuungen bietet, mit einigen tausend
Fabrikmädchen in Berührung zu bringen, zwischen ihnen und den noch zahl-
reicheren männlichen Fabrikarbeitern einen unaufhörlichen Krieg tödtlicher Eifer¬
sucht und Nebenbuhlerschaft heraufzubeschwören. Braucht man aber einmal die
uniformirten Landeskinder gegen die im Kittel oder einfarbigen Rock, so ist
Düsseldorf heutzutage nur noch eine Stunde weit entfernt. Die Verschönung
der beiden Städte mit Garnisonen mag also in der Ordnung sein. Die grund-
sätzliche Abneigung des Staates aber, der Selbstregierung des Wupperthals
Abbruch zu thun, geht so weit, daß er neuerdings auch die Polizeiverwaltung
in die Hände der städtischen Behörde zurückgelegt hat. und sowohl das Land-
rathsamt Elberfeld wie das Landrathsamt Barmer durch den dortigen Ober'
bürgermeister versehen läßt. So kommt es, daß sich von Staatsdienern jeder
Art nur das durch die örtlichen Bedürfnisse unbedingt geforderte Minimum
hier aufhält. Ohne das zahlreiche Personal der bergisch.märkischen Eisenbahn,


Grenzboten III. 186S. 38
Sociale Zustande im Wupperthal.

Im ersten Briefe haben wir das Wupperthal von seiner productiven. in¬
dustriellen Seite geschildert, der es seine Bedeutung für die übrige Welt größten,
theils verdankt. Wir wollen jetzt darstellen, wie sich der Ertrag dieser
Massenarbeit vertheilt und verbraucht, und halten uns berechtigt, dabei von
den temporären Störungen abzusehen, welche die Kriegszeit und der Nothstand
hervorgebracht haben.

Neben der industriellen Bevölkerung hat sich hier, wie schon zahlenmäßig
angeführt worden ist, nur das nothdürftigste Maß von andern Einwohnerclassen
angesiedelt. Zwischen den Fabrikbesitzern und Großhändlern auf der einen Seite,
den Arbeitern auf der andern vertritt nur eine eben ausreichende Zahl von
Krämern und Handwerkern den Mittelstand. Der Staat hat keine seiner großen,
an den Ort weniger gebundenen Anstalten hierher gelegt. Selbst das Poly-
technikum der westlichen Landestheile war stets nur entweder Aachen, wohin es
nun kommen soll, oder Köln zugedacht, nicht dem Wupperthal. das beide Städte
an industrieller Bedeutung doch noch überragt. Es ist nichts hier als ein
Landgericht, das sich inmitten einer Bewohnerzahl von 120.000 schlechterdings
nicht entbehren ließ. Von Militär keine Spur; einer der entzündlichsten Be¬
völkerungen des Landes ist nicht der geringste Bruchtheil jener bewaffneten
Macht gegenübergestellt, die auf dem Festland von Europa allenthalben ja
auch für den innern Frieden aufkommen muß. Freilich wäre es in hohem
Grade bedenklich, die Müßiggänger und gezwungnen Hagestolze einer Garnison
an einem Orte, der so fabelhaft wenig Zerstreuungen bietet, mit einigen tausend
Fabrikmädchen in Berührung zu bringen, zwischen ihnen und den noch zahl-
reicheren männlichen Fabrikarbeitern einen unaufhörlichen Krieg tödtlicher Eifer¬
sucht und Nebenbuhlerschaft heraufzubeschwören. Braucht man aber einmal die
uniformirten Landeskinder gegen die im Kittel oder einfarbigen Rock, so ist
Düsseldorf heutzutage nur noch eine Stunde weit entfernt. Die Verschönung
der beiden Städte mit Garnisonen mag also in der Ordnung sein. Die grund-
sätzliche Abneigung des Staates aber, der Selbstregierung des Wupperthals
Abbruch zu thun, geht so weit, daß er neuerdings auch die Polizeiverwaltung
in die Hände der städtischen Behörde zurückgelegt hat. und sowohl das Land-
rathsamt Elberfeld wie das Landrathsamt Barmer durch den dortigen Ober'
bürgermeister versehen läßt. So kommt es, daß sich von Staatsdienern jeder
Art nur das durch die örtlichen Bedürfnisse unbedingt geforderte Minimum
hier aufhält. Ohne das zahlreiche Personal der bergisch.märkischen Eisenbahn,


Grenzboten III. 186S. 38
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285909"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Sociale Zustande im Wupperthal.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_968"> Im ersten Briefe haben wir das Wupperthal von seiner productiven. in¬<lb/>
dustriellen Seite geschildert, der es seine Bedeutung für die übrige Welt größten,<lb/>
theils verdankt. Wir wollen jetzt darstellen, wie sich der Ertrag dieser<lb/>
Massenarbeit vertheilt und verbraucht, und halten uns berechtigt, dabei von<lb/>
den temporären Störungen abzusehen, welche die Kriegszeit und der Nothstand<lb/>
hervorgebracht haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_969" next="#ID_970"> Neben der industriellen Bevölkerung hat sich hier, wie schon zahlenmäßig<lb/>
angeführt worden ist, nur das nothdürftigste Maß von andern Einwohnerclassen<lb/>
angesiedelt. Zwischen den Fabrikbesitzern und Großhändlern auf der einen Seite,<lb/>
den Arbeitern auf der andern vertritt nur eine eben ausreichende Zahl von<lb/>
Krämern und Handwerkern den Mittelstand. Der Staat hat keine seiner großen,<lb/>
an den Ort weniger gebundenen Anstalten hierher gelegt. Selbst das Poly-<lb/>
technikum der westlichen Landestheile war stets nur entweder Aachen, wohin es<lb/>
nun kommen soll, oder Köln zugedacht, nicht dem Wupperthal. das beide Städte<lb/>
an industrieller Bedeutung doch noch überragt. Es ist nichts hier als ein<lb/>
Landgericht, das sich inmitten einer Bewohnerzahl von 120.000 schlechterdings<lb/>
nicht entbehren ließ. Von Militär keine Spur; einer der entzündlichsten Be¬<lb/>
völkerungen des Landes ist nicht der geringste Bruchtheil jener bewaffneten<lb/>
Macht gegenübergestellt, die auf dem Festland von Europa allenthalben ja<lb/>
auch für den innern Frieden aufkommen muß. Freilich wäre es in hohem<lb/>
Grade bedenklich, die Müßiggänger und gezwungnen Hagestolze einer Garnison<lb/>
an einem Orte, der so fabelhaft wenig Zerstreuungen bietet, mit einigen tausend<lb/>
Fabrikmädchen in Berührung zu bringen, zwischen ihnen und den noch zahl-<lb/>
reicheren männlichen Fabrikarbeitern einen unaufhörlichen Krieg tödtlicher Eifer¬<lb/>
sucht und Nebenbuhlerschaft heraufzubeschwören. Braucht man aber einmal die<lb/>
uniformirten Landeskinder gegen die im Kittel oder einfarbigen Rock, so ist<lb/>
Düsseldorf heutzutage nur noch eine Stunde weit entfernt. Die Verschönung<lb/>
der beiden Städte mit Garnisonen mag also in der Ordnung sein. Die grund-<lb/>
sätzliche Abneigung des Staates aber, der Selbstregierung des Wupperthals<lb/>
Abbruch zu thun, geht so weit, daß er neuerdings auch die Polizeiverwaltung<lb/>
in die Hände der städtischen Behörde zurückgelegt hat. und sowohl das Land-<lb/>
rathsamt Elberfeld wie das Landrathsamt Barmer durch den dortigen Ober'<lb/>
bürgermeister versehen läßt. So kommt es, daß sich von Staatsdienern jeder<lb/>
Art nur das durch die örtlichen Bedürfnisse unbedingt geforderte Minimum<lb/>
hier aufhält. Ohne das zahlreiche Personal der bergisch.märkischen Eisenbahn,</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"> Grenzboten III. 186S. 38</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0321] Sociale Zustande im Wupperthal. Im ersten Briefe haben wir das Wupperthal von seiner productiven. in¬ dustriellen Seite geschildert, der es seine Bedeutung für die übrige Welt größten, theils verdankt. Wir wollen jetzt darstellen, wie sich der Ertrag dieser Massenarbeit vertheilt und verbraucht, und halten uns berechtigt, dabei von den temporären Störungen abzusehen, welche die Kriegszeit und der Nothstand hervorgebracht haben. Neben der industriellen Bevölkerung hat sich hier, wie schon zahlenmäßig angeführt worden ist, nur das nothdürftigste Maß von andern Einwohnerclassen angesiedelt. Zwischen den Fabrikbesitzern und Großhändlern auf der einen Seite, den Arbeitern auf der andern vertritt nur eine eben ausreichende Zahl von Krämern und Handwerkern den Mittelstand. Der Staat hat keine seiner großen, an den Ort weniger gebundenen Anstalten hierher gelegt. Selbst das Poly- technikum der westlichen Landestheile war stets nur entweder Aachen, wohin es nun kommen soll, oder Köln zugedacht, nicht dem Wupperthal. das beide Städte an industrieller Bedeutung doch noch überragt. Es ist nichts hier als ein Landgericht, das sich inmitten einer Bewohnerzahl von 120.000 schlechterdings nicht entbehren ließ. Von Militär keine Spur; einer der entzündlichsten Be¬ völkerungen des Landes ist nicht der geringste Bruchtheil jener bewaffneten Macht gegenübergestellt, die auf dem Festland von Europa allenthalben ja auch für den innern Frieden aufkommen muß. Freilich wäre es in hohem Grade bedenklich, die Müßiggänger und gezwungnen Hagestolze einer Garnison an einem Orte, der so fabelhaft wenig Zerstreuungen bietet, mit einigen tausend Fabrikmädchen in Berührung zu bringen, zwischen ihnen und den noch zahl- reicheren männlichen Fabrikarbeitern einen unaufhörlichen Krieg tödtlicher Eifer¬ sucht und Nebenbuhlerschaft heraufzubeschwören. Braucht man aber einmal die uniformirten Landeskinder gegen die im Kittel oder einfarbigen Rock, so ist Düsseldorf heutzutage nur noch eine Stunde weit entfernt. Die Verschönung der beiden Städte mit Garnisonen mag also in der Ordnung sein. Die grund- sätzliche Abneigung des Staates aber, der Selbstregierung des Wupperthals Abbruch zu thun, geht so weit, daß er neuerdings auch die Polizeiverwaltung in die Hände der städtischen Behörde zurückgelegt hat. und sowohl das Land- rathsamt Elberfeld wie das Landrathsamt Barmer durch den dortigen Ober' bürgermeister versehen läßt. So kommt es, daß sich von Staatsdienern jeder Art nur das durch die örtlichen Bedürfnisse unbedingt geforderte Minimum hier aufhält. Ohne das zahlreiche Personal der bergisch.märkischen Eisenbahn, Grenzboten III. 186S. 38

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/321
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/321>, abgerufen am 03.07.2024.