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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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halte ihn für nichts anders als für einen preußischen Spion. Das offen¬
bart sich denn auch alsbald. Ohnehin hatte in der letzten Zeit beim Heran¬
nahen der Preußen unter der dortigen Bevölkerung eine wahre Manie geherrscht,
Spione zu wittern, und schon waren eine Menge Leute, darunter recht ange¬
sehene, insultirt und delirirt worden. Jetzt dachte man nach mancher Täuschung
endlich einmal einen ordentlichen Fang gethan zu haben. Ueberall, wo der Zug
anhält, sammeln sich Soldaten und Bürgersleute am Waggon des Gefangenen,
weisen mit Fingern auf ihn und rufen ihm höhnende Donverworte wie "preußi¬
scher Spitzel" u. a. zu.. In Schwandorf kommts zu förmlichem Tumult. Be¬
sonders das Militär wird so ausfallend und unverschämt, daß der Begleiter des
Grafen genöthigt ist, mit gezogenem Säbel auf seine eigenen Leute loszugehen
und sie abzuwehren, während andre Offiziere laut für die entfesselten Enthusiasten
bayrischen Anstandes Partei nehmen. Endlich kommt die Erlösung in Gestalt
eines bayrischen Hauptmanns, der unter den Zuschauern gestanden und'den
Grafen erkannt hat. Mit tausend Entschuldigungen wird nun sofort Ordnung
geschafft, die Legitimation bewerkstelligt. "Ihr dummen Biersimpel", haranguirt
indessen der eskortirende Offizier die Menge, "wie könnt ihr Euch das gegen
diesen Herrn erlauben, der für unsre Bundesgenossen zu wirken kommt!"
Das Blatt wendet sich. Unter Jubel wird der Reisende nach Regensburg ent¬
lassen.

So kann kurze Kriegsgewöhnung die Milch der frömmsten Denkungsart
in Gift verwandeln! Aber daß es nicht überall so ist, das mag die Stimmung
lehren, mit welcher man den Grafen bei seiner Abreise in Leipzig auf dem
bayrischen Bahnhofe entließ. Dort hatte sich die Kunde von seiner Mission
schnell verdienet; alles beeifert sich, dem Gesandten die Reise so bequem als
möglich zu machen. Bei der Abfahrt umringen ihn eine Anzahl unbekannter
Leute: "Bringen Sie uns nur unsern König wieder! -- alles Uebrige ist
gleichgiltig!" schallt es ihm nach. O Eldorado der Loyalität!

Ob dies wirklich die Meinung Leipzigs ist?




halte ihn für nichts anders als für einen preußischen Spion. Das offen¬
bart sich denn auch alsbald. Ohnehin hatte in der letzten Zeit beim Heran¬
nahen der Preußen unter der dortigen Bevölkerung eine wahre Manie geherrscht,
Spione zu wittern, und schon waren eine Menge Leute, darunter recht ange¬
sehene, insultirt und delirirt worden. Jetzt dachte man nach mancher Täuschung
endlich einmal einen ordentlichen Fang gethan zu haben. Ueberall, wo der Zug
anhält, sammeln sich Soldaten und Bürgersleute am Waggon des Gefangenen,
weisen mit Fingern auf ihn und rufen ihm höhnende Donverworte wie „preußi¬
scher Spitzel" u. a. zu.. In Schwandorf kommts zu förmlichem Tumult. Be¬
sonders das Militär wird so ausfallend und unverschämt, daß der Begleiter des
Grafen genöthigt ist, mit gezogenem Säbel auf seine eigenen Leute loszugehen
und sie abzuwehren, während andre Offiziere laut für die entfesselten Enthusiasten
bayrischen Anstandes Partei nehmen. Endlich kommt die Erlösung in Gestalt
eines bayrischen Hauptmanns, der unter den Zuschauern gestanden und'den
Grafen erkannt hat. Mit tausend Entschuldigungen wird nun sofort Ordnung
geschafft, die Legitimation bewerkstelligt. „Ihr dummen Biersimpel", haranguirt
indessen der eskortirende Offizier die Menge, „wie könnt ihr Euch das gegen
diesen Herrn erlauben, der für unsre Bundesgenossen zu wirken kommt!"
Das Blatt wendet sich. Unter Jubel wird der Reisende nach Regensburg ent¬
lassen.

So kann kurze Kriegsgewöhnung die Milch der frömmsten Denkungsart
in Gift verwandeln! Aber daß es nicht überall so ist, das mag die Stimmung
lehren, mit welcher man den Grafen bei seiner Abreise in Leipzig auf dem
bayrischen Bahnhofe entließ. Dort hatte sich die Kunde von seiner Mission
schnell verdienet; alles beeifert sich, dem Gesandten die Reise so bequem als
möglich zu machen. Bei der Abfahrt umringen ihn eine Anzahl unbekannter
Leute: „Bringen Sie uns nur unsern König wieder! — alles Uebrige ist
gleichgiltig!" schallt es ihm nach. O Eldorado der Loyalität!

Ob dies wirklich die Meinung Leipzigs ist?




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[0320] halte ihn für nichts anders als für einen preußischen Spion. Das offen¬ bart sich denn auch alsbald. Ohnehin hatte in der letzten Zeit beim Heran¬ nahen der Preußen unter der dortigen Bevölkerung eine wahre Manie geherrscht, Spione zu wittern, und schon waren eine Menge Leute, darunter recht ange¬ sehene, insultirt und delirirt worden. Jetzt dachte man nach mancher Täuschung endlich einmal einen ordentlichen Fang gethan zu haben. Ueberall, wo der Zug anhält, sammeln sich Soldaten und Bürgersleute am Waggon des Gefangenen, weisen mit Fingern auf ihn und rufen ihm höhnende Donverworte wie „preußi¬ scher Spitzel" u. a. zu.. In Schwandorf kommts zu förmlichem Tumult. Be¬ sonders das Militär wird so ausfallend und unverschämt, daß der Begleiter des Grafen genöthigt ist, mit gezogenem Säbel auf seine eigenen Leute loszugehen und sie abzuwehren, während andre Offiziere laut für die entfesselten Enthusiasten bayrischen Anstandes Partei nehmen. Endlich kommt die Erlösung in Gestalt eines bayrischen Hauptmanns, der unter den Zuschauern gestanden und'den Grafen erkannt hat. Mit tausend Entschuldigungen wird nun sofort Ordnung geschafft, die Legitimation bewerkstelligt. „Ihr dummen Biersimpel", haranguirt indessen der eskortirende Offizier die Menge, „wie könnt ihr Euch das gegen diesen Herrn erlauben, der für unsre Bundesgenossen zu wirken kommt!" Das Blatt wendet sich. Unter Jubel wird der Reisende nach Regensburg ent¬ lassen. So kann kurze Kriegsgewöhnung die Milch der frömmsten Denkungsart in Gift verwandeln! Aber daß es nicht überall so ist, das mag die Stimmung lehren, mit welcher man den Grafen bei seiner Abreise in Leipzig auf dem bayrischen Bahnhofe entließ. Dort hatte sich die Kunde von seiner Mission schnell verdienet; alles beeifert sich, dem Gesandten die Reise so bequem als möglich zu machen. Bei der Abfahrt umringen ihn eine Anzahl unbekannter Leute: „Bringen Sie uns nur unsern König wieder! — alles Uebrige ist gleichgiltig!" schallt es ihm nach. O Eldorado der Loyalität! Ob dies wirklich die Meinung Leipzigs ist?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/320>, abgerufen am 22.07.2024.