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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Concentration der piemontesischen Streitkräfte gegen Frankreich. Daß Sardinien
diesen Gebietszuwachs erhielt, ohne an Oestreich das Obernovarese abtreten zu
müssen, war wiederum Rußland zu verdanken.

Dagegen blieben die russischen Vorstellungen, daß Oestreich endlich Ales¬
sandria räumen möge, noch, immer ohne Erfolg. Victor Emanuel erwog be¬
reits die Streitkräfte. die ihm in einem Krieg gegen Oestreich zu Gebote stän¬
den, und machte daraus gegen die östreichischen Generale gar kein Hehl. Er
berechnete, daß Oestreich nicht mehr als 120,000 Mann gegen Sardinien auf¬
bieten könnte, während dieses zu einem Angriffskrieg 100,000 Mann zur Ver¬
fügung hätte, wozu noch in einem Defensivkrieg 80.000 Mann Milizen, un¬
gerechnet die Reserven, kommen könnten. Von Rußland wiederholt gedrängt
und eines weiteren Vorwärts entbehrend, gab endlich Kaiser Franz nach und
ordnete im März 1816 die Räumung an. Bevor die Oestreicher abzogen,
demolirten sie noch auf eigene Faust die Außenwerke der Festung. Nach dem
Aufgeben Alessandrias war es für Oestreich um so werthvoller, daß es im fol¬
genden Jahre das Garnisonsrecht in Piacenza erlangte, eine beständige Bedro¬
hung Piemonts, wogegen der turiner Hof und insbesondere d'Aglio in London
vergebens sich aus allen Kräften wehrten. Piemont hatte .selbst das Heimfall¬
recht auf Piacenza besessen, aber schon in einem geheimen Vertrag mit Oestreich
vom 20. Mai 1815 darauf Verzicht geleistet.

Ueber das ganze Werk des wiener Congresses sah"iev im Mai 1815 d'Aglio
an den Grafen Valesia: Niemand ist mehr als ich von den traurigen Folgen
der letzten Anordnungen in Italien durchdrungen, durch welche der schwächste
und offenste Theil der Staaten Sr. Majestät in unmittelbare Berührung mit
einer Macht gesetzt ist, welche nun ohne Unterbrechung ihr Gebiet von der
Türkei bis zum Tessin ausdehnt. Eine solche Lage der Dinge, welche auf der
einen Seite so viele Versuchungen, auf der andern so viele Besorgnisse wach¬
rufen muß, kann für die Folgezeit nur die unheilvollsten Wirkungen haben.




Concentration der piemontesischen Streitkräfte gegen Frankreich. Daß Sardinien
diesen Gebietszuwachs erhielt, ohne an Oestreich das Obernovarese abtreten zu
müssen, war wiederum Rußland zu verdanken.

Dagegen blieben die russischen Vorstellungen, daß Oestreich endlich Ales¬
sandria räumen möge, noch, immer ohne Erfolg. Victor Emanuel erwog be¬
reits die Streitkräfte. die ihm in einem Krieg gegen Oestreich zu Gebote stän¬
den, und machte daraus gegen die östreichischen Generale gar kein Hehl. Er
berechnete, daß Oestreich nicht mehr als 120,000 Mann gegen Sardinien auf¬
bieten könnte, während dieses zu einem Angriffskrieg 100,000 Mann zur Ver¬
fügung hätte, wozu noch in einem Defensivkrieg 80.000 Mann Milizen, un¬
gerechnet die Reserven, kommen könnten. Von Rußland wiederholt gedrängt
und eines weiteren Vorwärts entbehrend, gab endlich Kaiser Franz nach und
ordnete im März 1816 die Räumung an. Bevor die Oestreicher abzogen,
demolirten sie noch auf eigene Faust die Außenwerke der Festung. Nach dem
Aufgeben Alessandrias war es für Oestreich um so werthvoller, daß es im fol¬
genden Jahre das Garnisonsrecht in Piacenza erlangte, eine beständige Bedro¬
hung Piemonts, wogegen der turiner Hof und insbesondere d'Aglio in London
vergebens sich aus allen Kräften wehrten. Piemont hatte .selbst das Heimfall¬
recht auf Piacenza besessen, aber schon in einem geheimen Vertrag mit Oestreich
vom 20. Mai 1815 darauf Verzicht geleistet.

Ueber das ganze Werk des wiener Congresses sah»iev im Mai 1815 d'Aglio
an den Grafen Valesia: Niemand ist mehr als ich von den traurigen Folgen
der letzten Anordnungen in Italien durchdrungen, durch welche der schwächste
und offenste Theil der Staaten Sr. Majestät in unmittelbare Berührung mit
einer Macht gesetzt ist, welche nun ohne Unterbrechung ihr Gebiet von der
Türkei bis zum Tessin ausdehnt. Eine solche Lage der Dinge, welche auf der
einen Seite so viele Versuchungen, auf der andern so viele Besorgnisse wach¬
rufen muß, kann für die Folgezeit nur die unheilvollsten Wirkungen haben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/32>, abgerufen am 25.08.2024.