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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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doch wie immer veranlaßt waren, sich "nach rückwärts zu concentriren".
So war man eben beschäftigt, ein ganzes Bataillon per Militärzug "zurück-
zubefördern" und der Bahnhof bot daher mit der Masse aufgeschichteter Ge¬
wehre, Tornister, Bagage und den ringsum lagernden Soldaten den Anblick
eines kleinen Feldlagers. Unser Reisender hofft gleich diese Fahrgelegenheit be¬
nutzen zu dürfen, erhält aber, als er sich zum Billetschalter hindurcharbeitet,
den Bescheid, daß er erst Mittags um zwei Uhr werde reisen können. Auf dem
Rückwege findet der Graf, baß sein Wagen ohne Befehl ihm nachgefolgt ist.
Jetzt weist er den Kutscher an, im nächsten Gasthof aufzuspannen. Kaum aber
hat der Wagen gewendet, so machen sich etliche bayerische Offiziere, die das
bisher Geschehene mit Aufmerksamkeit beobachtet haben, auf, um zu folgen;
einer unter ihnen, ein Lieutenant, der vom Tage nichts hat verloren gehen
lassen, indem er -- obwohl es erst elf Uhr Morgens ist -- sich bereits in
völlig betrunkenen Zustande befindet, ruft dem Kutscher ein donnerndes "Halt"
zu. Da der Rosselenker nicht sofort parirt, sondern langsam weiter fährt, so
stürzt eine dienstbereite Schaar bajuvarischer Krieger herzu; sie fallen den Pfer¬
den in die Zügel und bringen den Wagen zum Stehen. -- "Wer sind Sie?"
-- herrscht der Betrunkene den Grafen an. "Ich bin nicht gewohnt, so ge¬
fragt zu werden!" -- "Mit solcher Redeweise dürfens nit kommen"-- droht der
Bewaffnete dawider. Der Graf sieht, daß hier herkömmliche Verkehrsformen
nicht am Platze sind und nennt kurzweg seinen Namen. "Das kann jeder
sagen!" -- wird entgegnet -- "wo ist Ihre Legitimation?" Darauf reicht
man dem Inquirenten den bestconditionirten in Dresden ausgestellten Paß.
"Die Geschichte haben wir halt schon oft gehabt" -- hohnlächelte der Ge¬
waltige. -- "der Paß ist ungiltig!" -- "Warum?" -- "Ist lithographirt und
obendrein aus Feindesland; Sachsen ist ja von Preußen besetzt!" Der Gras:
"Sie irren -- ich komme als Vertreter Ihrer eigenen Bundesgenossen, vom
Könige selbst gerufen." Lieutenant: "Oho. dann müßtens sich ganz anders
legitimiren. Jetzt Steigens aus -- Sie sind arretirt -- Diener und Kutscher
desgleichen." Kaum ist der Wagen verlassen, so stürzt ohne Weiteres eine
Schaar Soldaten auf denselben los, zertrümmert die Fensterscheiben, reißt die
Kissen auf; das Gepäck des Grafen befindet sich im Nu in sechs oder sieben
verschiedenen Händen. Möglich, baß dies alter bajuvarischer Kriegsbrauch ist;
allein der Diener des Arrestanten, ein strammer Bursche, läßt sich durch die
Möglichkeit nicht irre machen, sondern wirft sich mit Blitzesschnelle auf die
Leute, entreißt ihnen die Beute, bringt sie zusammen und ruft: "Oeffnen kön¬
nen Sie die Sachen, aber nicht auseinanderstreuen!" So gelingt es dem Diener,
die Effecten zu schützen. Dieselben werden rinn in eine Stube gebracht und er
muß sie dort öffnen. Bei einer Bemerkung, die er versucht, heißt es: "Maul
halten! -- Sehens denn nicht, daß ich bewaffnetes Militär bei mir habe?


doch wie immer veranlaßt waren, sich „nach rückwärts zu concentriren".
So war man eben beschäftigt, ein ganzes Bataillon per Militärzug „zurück-
zubefördern" und der Bahnhof bot daher mit der Masse aufgeschichteter Ge¬
wehre, Tornister, Bagage und den ringsum lagernden Soldaten den Anblick
eines kleinen Feldlagers. Unser Reisender hofft gleich diese Fahrgelegenheit be¬
nutzen zu dürfen, erhält aber, als er sich zum Billetschalter hindurcharbeitet,
den Bescheid, daß er erst Mittags um zwei Uhr werde reisen können. Auf dem
Rückwege findet der Graf, baß sein Wagen ohne Befehl ihm nachgefolgt ist.
Jetzt weist er den Kutscher an, im nächsten Gasthof aufzuspannen. Kaum aber
hat der Wagen gewendet, so machen sich etliche bayerische Offiziere, die das
bisher Geschehene mit Aufmerksamkeit beobachtet haben, auf, um zu folgen;
einer unter ihnen, ein Lieutenant, der vom Tage nichts hat verloren gehen
lassen, indem er — obwohl es erst elf Uhr Morgens ist — sich bereits in
völlig betrunkenen Zustande befindet, ruft dem Kutscher ein donnerndes „Halt"
zu. Da der Rosselenker nicht sofort parirt, sondern langsam weiter fährt, so
stürzt eine dienstbereite Schaar bajuvarischer Krieger herzu; sie fallen den Pfer¬
den in die Zügel und bringen den Wagen zum Stehen. — „Wer sind Sie?"
— herrscht der Betrunkene den Grafen an. „Ich bin nicht gewohnt, so ge¬
fragt zu werden!" — „Mit solcher Redeweise dürfens nit kommen"— droht der
Bewaffnete dawider. Der Graf sieht, daß hier herkömmliche Verkehrsformen
nicht am Platze sind und nennt kurzweg seinen Namen. „Das kann jeder
sagen!" — wird entgegnet — „wo ist Ihre Legitimation?" Darauf reicht
man dem Inquirenten den bestconditionirten in Dresden ausgestellten Paß.
„Die Geschichte haben wir halt schon oft gehabt" — hohnlächelte der Ge¬
waltige. — „der Paß ist ungiltig!" — „Warum?" — „Ist lithographirt und
obendrein aus Feindesland; Sachsen ist ja von Preußen besetzt!" Der Gras:
„Sie irren — ich komme als Vertreter Ihrer eigenen Bundesgenossen, vom
Könige selbst gerufen." Lieutenant: „Oho. dann müßtens sich ganz anders
legitimiren. Jetzt Steigens aus — Sie sind arretirt — Diener und Kutscher
desgleichen." Kaum ist der Wagen verlassen, so stürzt ohne Weiteres eine
Schaar Soldaten auf denselben los, zertrümmert die Fensterscheiben, reißt die
Kissen auf; das Gepäck des Grafen befindet sich im Nu in sechs oder sieben
verschiedenen Händen. Möglich, baß dies alter bajuvarischer Kriegsbrauch ist;
allein der Diener des Arrestanten, ein strammer Bursche, läßt sich durch die
Möglichkeit nicht irre machen, sondern wirft sich mit Blitzesschnelle auf die
Leute, entreißt ihnen die Beute, bringt sie zusammen und ruft: „Oeffnen kön¬
nen Sie die Sachen, aber nicht auseinanderstreuen!" So gelingt es dem Diener,
die Effecten zu schützen. Dieselben werden rinn in eine Stube gebracht und er
muß sie dort öffnen. Bei einer Bemerkung, die er versucht, heißt es: „Maul
halten! — Sehens denn nicht, daß ich bewaffnetes Militär bei mir habe?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/318>, abgerufen am 22.07.2024.