Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

als sie jemals in Oestreich war. Sie hat ohne Zweifel bessere Berechtigung,
denn sie kann auf glorreiche Thaten im Felde und auf nicht minder glor¬
reiche Eroberungen im Gebiete der Wissenschaft, Kunst und des Erwerbes
hinweisen. Aber sie droht deshalb, weil sie durch eine große, wohlfundirte Kraft
gestützt wird, um so verderblicher für Europa zu werden. Das Volk betrachtet
sich als Herrn des Continents, Gesetzgeber Europas, Mittelpunkt der Civili¬
sation. Nur die Besten sind frei von einer suffisance, welche intolerant das Fremde
abweist und sich gewaltthätig gegen die Nachbarn geltend zu machen sucht.
Noch immer sind die Franzosen darin der gerade Gegensatz unserer Landsleute,
deren billiger Sinn sehr bereit ist, das Fremde anzuerkennen, ja zuweilen in
Gefahr kommt, die eigene Tüchtigkeit zu gering anzuschlagen. Dieser natio¬
nale Stolz ist den Franzosen oft eine Quelle männlicher Tugenden gewor¬
den, er setzt sie jetzt in Gefahr, sich selbst ein Unglück über das Land zu
beschwören.

Wir Deutschen sind keine Gegner des kaiserlichen Frankreichs; wir haben
keine Sympathien weder für den Grasen Chaud ort. noch für das Haus Orleans,
noch für irgendeins der republikanischen Ideale, welche durch französische Emigran¬
ten vertreten werden. Der neue preußische Bundesstaat konnte im Gegentheil
die beste Stütze des Hauses Napoleon sein, wenn dies die Politik hätte, uns
in unsern heimischen Angelegenheiten gewähren zu lassen. Wenn nicht, dann
nicht. Wir wissen sehr wohl, daß ein Krieg gegen Frankreich für Preußen
eine schwere, und harte Sache ist, vollends nach dem Kampfe mit Oestreich. Denn
Kugel und Krankheit haben auch in das stegreiche Heer Lücken gerissen, deren
Ergänzung nicht leicht wird. Wir sind uns auch bewußt, daß bei einem Kriege
gegen Frankreich, welcher jetzt oder in nächster Zukunft ausbräche, der militärische
Machtzuwachs, den Preußen durch die annectirten Länder und die Bundes¬
genossen erhalten würde, nicht von entscheidender Wichtigkeit wäre. Die kleinen
Heerkörper der einzuverleibenden Länder müssen neu organisirt werben, die ent¬
thronten Souveräne werden zuverlässig das Ihrige thun, die Offiziercorps an
dem alten Fahneneid festzuhalten, auch die Stimmung der Mannschaften würde
nach der Verwirrung der letzten Monate keineswegs einer neuen Formation
geneigt sein, und es ist fraglich, ob der Aufwand an Kraft, welcher dabei für
Preußen nöthig ist, und ob die ersten Schwierigkeiten der Neubildung nicht in den
nächsten Monaten den Zuwachs an Macht überwiegen. Vollends im Süden
des Main ist die Desorganisation der Heere und der Stimmung sehr groß,
und dieser Theil des frühern Bundes, zwischen Frankreich und Oestreich einge¬
klemmt, bietet militärisch so wenig Aussicht auf eine erfolgreiche Behauptung,
daß Preußen durch eine Bundesgenossenschaft derselben in einem französischen
Kriege gegenwärtig mehr gehindert als gefördert sein würde. Es stünden
also bei einem Conflict mit Frankreich wieder nur die militärischen Kräfte von


als sie jemals in Oestreich war. Sie hat ohne Zweifel bessere Berechtigung,
denn sie kann auf glorreiche Thaten im Felde und auf nicht minder glor¬
reiche Eroberungen im Gebiete der Wissenschaft, Kunst und des Erwerbes
hinweisen. Aber sie droht deshalb, weil sie durch eine große, wohlfundirte Kraft
gestützt wird, um so verderblicher für Europa zu werden. Das Volk betrachtet
sich als Herrn des Continents, Gesetzgeber Europas, Mittelpunkt der Civili¬
sation. Nur die Besten sind frei von einer suffisance, welche intolerant das Fremde
abweist und sich gewaltthätig gegen die Nachbarn geltend zu machen sucht.
Noch immer sind die Franzosen darin der gerade Gegensatz unserer Landsleute,
deren billiger Sinn sehr bereit ist, das Fremde anzuerkennen, ja zuweilen in
Gefahr kommt, die eigene Tüchtigkeit zu gering anzuschlagen. Dieser natio¬
nale Stolz ist den Franzosen oft eine Quelle männlicher Tugenden gewor¬
den, er setzt sie jetzt in Gefahr, sich selbst ein Unglück über das Land zu
beschwören.

Wir Deutschen sind keine Gegner des kaiserlichen Frankreichs; wir haben
keine Sympathien weder für den Grasen Chaud ort. noch für das Haus Orleans,
noch für irgendeins der republikanischen Ideale, welche durch französische Emigran¬
ten vertreten werden. Der neue preußische Bundesstaat konnte im Gegentheil
die beste Stütze des Hauses Napoleon sein, wenn dies die Politik hätte, uns
in unsern heimischen Angelegenheiten gewähren zu lassen. Wenn nicht, dann
nicht. Wir wissen sehr wohl, daß ein Krieg gegen Frankreich für Preußen
eine schwere, und harte Sache ist, vollends nach dem Kampfe mit Oestreich. Denn
Kugel und Krankheit haben auch in das stegreiche Heer Lücken gerissen, deren
Ergänzung nicht leicht wird. Wir sind uns auch bewußt, daß bei einem Kriege
gegen Frankreich, welcher jetzt oder in nächster Zukunft ausbräche, der militärische
Machtzuwachs, den Preußen durch die annectirten Länder und die Bundes¬
genossen erhalten würde, nicht von entscheidender Wichtigkeit wäre. Die kleinen
Heerkörper der einzuverleibenden Länder müssen neu organisirt werben, die ent¬
thronten Souveräne werden zuverlässig das Ihrige thun, die Offiziercorps an
dem alten Fahneneid festzuhalten, auch die Stimmung der Mannschaften würde
nach der Verwirrung der letzten Monate keineswegs einer neuen Formation
geneigt sein, und es ist fraglich, ob der Aufwand an Kraft, welcher dabei für
Preußen nöthig ist, und ob die ersten Schwierigkeiten der Neubildung nicht in den
nächsten Monaten den Zuwachs an Macht überwiegen. Vollends im Süden
des Main ist die Desorganisation der Heere und der Stimmung sehr groß,
und dieser Theil des frühern Bundes, zwischen Frankreich und Oestreich einge¬
klemmt, bietet militärisch so wenig Aussicht auf eine erfolgreiche Behauptung,
daß Preußen durch eine Bundesgenossenschaft derselben in einem französischen
Kriege gegenwärtig mehr gehindert als gefördert sein würde. Es stünden
also bei einem Conflict mit Frankreich wieder nur die militärischen Kräfte von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285896"/>
          <p xml:id="ID_930" prev="#ID_929"> als sie jemals in Oestreich war. Sie hat ohne Zweifel bessere Berechtigung,<lb/>
denn sie kann auf glorreiche Thaten im Felde und auf nicht minder glor¬<lb/>
reiche Eroberungen im Gebiete der Wissenschaft, Kunst und des Erwerbes<lb/>
hinweisen. Aber sie droht deshalb, weil sie durch eine große, wohlfundirte Kraft<lb/>
gestützt wird, um so verderblicher für Europa zu werden. Das Volk betrachtet<lb/>
sich als Herrn des Continents, Gesetzgeber Europas, Mittelpunkt der Civili¬<lb/>
sation. Nur die Besten sind frei von einer suffisance, welche intolerant das Fremde<lb/>
abweist und sich gewaltthätig gegen die Nachbarn geltend zu machen sucht.<lb/>
Noch immer sind die Franzosen darin der gerade Gegensatz unserer Landsleute,<lb/>
deren billiger Sinn sehr bereit ist, das Fremde anzuerkennen, ja zuweilen in<lb/>
Gefahr kommt, die eigene Tüchtigkeit zu gering anzuschlagen. Dieser natio¬<lb/>
nale Stolz ist den Franzosen oft eine Quelle männlicher Tugenden gewor¬<lb/>
den, er setzt sie jetzt in Gefahr, sich selbst ein Unglück über das Land zu<lb/>
beschwören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_931" next="#ID_932"> Wir Deutschen sind keine Gegner des kaiserlichen Frankreichs; wir haben<lb/>
keine Sympathien weder für den Grasen Chaud ort. noch für das Haus Orleans,<lb/>
noch für irgendeins der republikanischen Ideale, welche durch französische Emigran¬<lb/>
ten vertreten werden. Der neue preußische Bundesstaat konnte im Gegentheil<lb/>
die beste Stütze des Hauses Napoleon sein, wenn dies die Politik hätte, uns<lb/>
in unsern heimischen Angelegenheiten gewähren zu lassen. Wenn nicht, dann<lb/>
nicht. Wir wissen sehr wohl, daß ein Krieg gegen Frankreich für Preußen<lb/>
eine schwere, und harte Sache ist, vollends nach dem Kampfe mit Oestreich. Denn<lb/>
Kugel und Krankheit haben auch in das stegreiche Heer Lücken gerissen, deren<lb/>
Ergänzung nicht leicht wird. Wir sind uns auch bewußt, daß bei einem Kriege<lb/>
gegen Frankreich, welcher jetzt oder in nächster Zukunft ausbräche, der militärische<lb/>
Machtzuwachs, den Preußen durch die annectirten Länder und die Bundes¬<lb/>
genossen erhalten würde, nicht von entscheidender Wichtigkeit wäre. Die kleinen<lb/>
Heerkörper der einzuverleibenden Länder müssen neu organisirt werben, die ent¬<lb/>
thronten Souveräne werden zuverlässig das Ihrige thun, die Offiziercorps an<lb/>
dem alten Fahneneid festzuhalten, auch die Stimmung der Mannschaften würde<lb/>
nach der Verwirrung der letzten Monate keineswegs einer neuen Formation<lb/>
geneigt sein, und es ist fraglich, ob der Aufwand an Kraft, welcher dabei für<lb/>
Preußen nöthig ist, und ob die ersten Schwierigkeiten der Neubildung nicht in den<lb/>
nächsten Monaten den Zuwachs an Macht überwiegen. Vollends im Süden<lb/>
des Main ist die Desorganisation der Heere und der Stimmung sehr groß,<lb/>
und dieser Theil des frühern Bundes, zwischen Frankreich und Oestreich einge¬<lb/>
klemmt, bietet militärisch so wenig Aussicht auf eine erfolgreiche Behauptung,<lb/>
daß Preußen durch eine Bundesgenossenschaft derselben in einem französischen<lb/>
Kriege gegenwärtig mehr gehindert als gefördert sein würde. Es stünden<lb/>
also bei einem Conflict mit Frankreich wieder nur die militärischen Kräfte von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0308] als sie jemals in Oestreich war. Sie hat ohne Zweifel bessere Berechtigung, denn sie kann auf glorreiche Thaten im Felde und auf nicht minder glor¬ reiche Eroberungen im Gebiete der Wissenschaft, Kunst und des Erwerbes hinweisen. Aber sie droht deshalb, weil sie durch eine große, wohlfundirte Kraft gestützt wird, um so verderblicher für Europa zu werden. Das Volk betrachtet sich als Herrn des Continents, Gesetzgeber Europas, Mittelpunkt der Civili¬ sation. Nur die Besten sind frei von einer suffisance, welche intolerant das Fremde abweist und sich gewaltthätig gegen die Nachbarn geltend zu machen sucht. Noch immer sind die Franzosen darin der gerade Gegensatz unserer Landsleute, deren billiger Sinn sehr bereit ist, das Fremde anzuerkennen, ja zuweilen in Gefahr kommt, die eigene Tüchtigkeit zu gering anzuschlagen. Dieser natio¬ nale Stolz ist den Franzosen oft eine Quelle männlicher Tugenden gewor¬ den, er setzt sie jetzt in Gefahr, sich selbst ein Unglück über das Land zu beschwören. Wir Deutschen sind keine Gegner des kaiserlichen Frankreichs; wir haben keine Sympathien weder für den Grasen Chaud ort. noch für das Haus Orleans, noch für irgendeins der republikanischen Ideale, welche durch französische Emigran¬ ten vertreten werden. Der neue preußische Bundesstaat konnte im Gegentheil die beste Stütze des Hauses Napoleon sein, wenn dies die Politik hätte, uns in unsern heimischen Angelegenheiten gewähren zu lassen. Wenn nicht, dann nicht. Wir wissen sehr wohl, daß ein Krieg gegen Frankreich für Preußen eine schwere, und harte Sache ist, vollends nach dem Kampfe mit Oestreich. Denn Kugel und Krankheit haben auch in das stegreiche Heer Lücken gerissen, deren Ergänzung nicht leicht wird. Wir sind uns auch bewußt, daß bei einem Kriege gegen Frankreich, welcher jetzt oder in nächster Zukunft ausbräche, der militärische Machtzuwachs, den Preußen durch die annectirten Länder und die Bundes¬ genossen erhalten würde, nicht von entscheidender Wichtigkeit wäre. Die kleinen Heerkörper der einzuverleibenden Länder müssen neu organisirt werben, die ent¬ thronten Souveräne werden zuverlässig das Ihrige thun, die Offiziercorps an dem alten Fahneneid festzuhalten, auch die Stimmung der Mannschaften würde nach der Verwirrung der letzten Monate keineswegs einer neuen Formation geneigt sein, und es ist fraglich, ob der Aufwand an Kraft, welcher dabei für Preußen nöthig ist, und ob die ersten Schwierigkeiten der Neubildung nicht in den nächsten Monaten den Zuwachs an Macht überwiegen. Vollends im Süden des Main ist die Desorganisation der Heere und der Stimmung sehr groß, und dieser Theil des frühern Bundes, zwischen Frankreich und Oestreich einge¬ klemmt, bietet militärisch so wenig Aussicht auf eine erfolgreiche Behauptung, daß Preußen durch eine Bundesgenossenschaft derselben in einem französischen Kriege gegenwärtig mehr gehindert als gefördert sein würde. Es stünden also bei einem Conflict mit Frankreich wieder nur die militärischen Kräfte von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/308
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/308>, abgerufen am 22.07.2024.