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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Kaufleute kamen wenig über die Berge hinaus, welche ihren heimathlichen Hori¬
zont so nahe begrenzten; und wenn sie nach Leipzig oder Frankfurt zur Messe
reisten, so nahmen sie mit der bescheidenen Schnelligkeit eines Frachtwagens
vorlieb, vergaßen auch nicht, sich mit Bibel und Gesangbuch gegen die ansteckende
Kraft der draußen wehenden Weltluft auszurüsten. Im Verkehr mit anderen
Deutschen hinderte sie ihre besondere plattdeutsche Mundart, deren sich zu Hause
jedermann ohne Unterschied bediente. Mit ihrem Hochdeutsch aber konnte es schon
darum nicht gut bestellt sei", weil sie es ebenfalls beinahe nur aus dem Ge¬
sangbuch oder der Bibel hatten, indem es eine Buchhandlung bis gegen Ende
des Jahrhunderts im Thale gar nicht gab, die Buchbinder aber nichts als
Schul- und Kirchenbücher führten. Im Schlimmen wie im Guten waren sie
altväterisch zurückgeblieben. Der erste Bankerott, von welchem man im Wupper-
thale je gehört hat, brach in den achtziger oder Neunziger Jahren des achtzehn¬
ten Jahrhunderts aus; die reicheren unter den Gläubigern traten zusammen
und strichen ihre Forderungen bis zum Belauf des Fehlenden, damit der gute
Leumund des Thales rein erhalten bleibe. Der zweite bald darauffolgende
Bankerott war bctrüglicher Art, aber von einem Franzosen gemacht, der heim¬
lich davonging. In den Kriegszeiten mußte man sich dann an dieses, wie an
noch viel ärgere Dinge gewöhnen.

Zuerst freilich eröffnete der Ausbruch der französischen Revolution den ber¬
auschen Industriellen die Aussicht auf goldene Berge. Sie raubte den eignen
inländischen Fabriken Frankreichs in solchem Umfang die Arme, daß die Nachbar¬
länder nicht genug hervorbringen konnten, um die Lücken von fehlenden unent¬
behrlichen Waaren zu füllen. Unter dem Sporn dieser Nachfrage vergrößciten
sich im Wupperthal die bestehenden Fabrikanlagen und wurden neue rasch hinter
einander errichtet. Man bedürfte dazu kaum noch eignen Vermögens, wenn
Man nur des Rufes der Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit genoß. Gleichzeitig
begannen die Gegenstände der Massenproduction sich zu ändern. Da die fremde
Nachfrage so plötzlich hereinbrach und so hoch anschwoll, fehlte es einigermaßen,
wenigstens vorübergehend an Arbeitskräften, und der Lohn stieg rasch und stetig.
Danach aber machte sich die Fabrikation der sogenannten Borten (gestreifte
Linnenzeuge) für Westindien nicht mehr bezahlt, sondern verpflanzte sich nach
wohlfeileren Gegenden. An ihrer Stelle traten die Baumwollenwaaren, be¬
günstigt durch die Erfindung der Spinnmaschine, in den Vordergrund. In dem
Maße wie die Revolution und ihr militärischer Erbe Napoleon den Denys
gegen England über das ganze Festland ausdehnten, bemächtigte sich die jun^e
Baumwvllenfabrikation des Wupperthals und andrer continentaler Judustrie-
centren des europäischen Marktes. Gezwungen sich an sie zu wenden, nicht
Mehr im Stande, zu der billigeren und technisch vorgerückteren Production
Englands seine Zuflucht zu nehmen, mußte der Consument wohl mit der ge°


Kaufleute kamen wenig über die Berge hinaus, welche ihren heimathlichen Hori¬
zont so nahe begrenzten; und wenn sie nach Leipzig oder Frankfurt zur Messe
reisten, so nahmen sie mit der bescheidenen Schnelligkeit eines Frachtwagens
vorlieb, vergaßen auch nicht, sich mit Bibel und Gesangbuch gegen die ansteckende
Kraft der draußen wehenden Weltluft auszurüsten. Im Verkehr mit anderen
Deutschen hinderte sie ihre besondere plattdeutsche Mundart, deren sich zu Hause
jedermann ohne Unterschied bediente. Mit ihrem Hochdeutsch aber konnte es schon
darum nicht gut bestellt sei«, weil sie es ebenfalls beinahe nur aus dem Ge¬
sangbuch oder der Bibel hatten, indem es eine Buchhandlung bis gegen Ende
des Jahrhunderts im Thale gar nicht gab, die Buchbinder aber nichts als
Schul- und Kirchenbücher führten. Im Schlimmen wie im Guten waren sie
altväterisch zurückgeblieben. Der erste Bankerott, von welchem man im Wupper-
thale je gehört hat, brach in den achtziger oder Neunziger Jahren des achtzehn¬
ten Jahrhunderts aus; die reicheren unter den Gläubigern traten zusammen
und strichen ihre Forderungen bis zum Belauf des Fehlenden, damit der gute
Leumund des Thales rein erhalten bleibe. Der zweite bald darauffolgende
Bankerott war bctrüglicher Art, aber von einem Franzosen gemacht, der heim¬
lich davonging. In den Kriegszeiten mußte man sich dann an dieses, wie an
noch viel ärgere Dinge gewöhnen.

Zuerst freilich eröffnete der Ausbruch der französischen Revolution den ber¬
auschen Industriellen die Aussicht auf goldene Berge. Sie raubte den eignen
inländischen Fabriken Frankreichs in solchem Umfang die Arme, daß die Nachbar¬
länder nicht genug hervorbringen konnten, um die Lücken von fehlenden unent¬
behrlichen Waaren zu füllen. Unter dem Sporn dieser Nachfrage vergrößciten
sich im Wupperthal die bestehenden Fabrikanlagen und wurden neue rasch hinter
einander errichtet. Man bedürfte dazu kaum noch eignen Vermögens, wenn
Man nur des Rufes der Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit genoß. Gleichzeitig
begannen die Gegenstände der Massenproduction sich zu ändern. Da die fremde
Nachfrage so plötzlich hereinbrach und so hoch anschwoll, fehlte es einigermaßen,
wenigstens vorübergehend an Arbeitskräften, und der Lohn stieg rasch und stetig.
Danach aber machte sich die Fabrikation der sogenannten Borten (gestreifte
Linnenzeuge) für Westindien nicht mehr bezahlt, sondern verpflanzte sich nach
wohlfeileren Gegenden. An ihrer Stelle traten die Baumwollenwaaren, be¬
günstigt durch die Erfindung der Spinnmaschine, in den Vordergrund. In dem
Maße wie die Revolution und ihr militärischer Erbe Napoleon den Denys
gegen England über das ganze Festland ausdehnten, bemächtigte sich die jun^e
Baumwvllenfabrikation des Wupperthals und andrer continentaler Judustrie-
centren des europäischen Marktes. Gezwungen sich an sie zu wenden, nicht
Mehr im Stande, zu der billigeren und technisch vorgerückteren Production
Englands seine Zuflucht zu nehmen, mußte der Consument wohl mit der ge°


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/285>, abgerufen am 22.07.2024.