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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Der wichtigste unter letzteren ist der Jspravnik, der ungefähr dem preußischen
Landrath entspricht." "Ferner war !den Adelsmarschällen eine große Gewalt
beigelegt, namentlich sollten sie strenge Aufsicht über die Gutsbesitzer und deren
Verhalten zu ihren Leibeignen führen und einem bösartigen Herrn selbst die
Verwaltung seines Gutes entziehen können. Die Aufsicht wurde nur schwach
geführt, und ebenso erfüllten die Jspravniks ihre Pflichten nur selten gewissen¬
haft. Aber die Institution an sich war vortrefflich und sollte beibehalten und
weiter ausgebildet werden."

Ebenso, meint der Verfasser, sollte man dem Gutsbesitzer die Oberaufsicht
über die emancipirte Dorfgemeinde lassen, und in gleicher Weise sollte der Adel
nach dem Amt der Friedensrichter streben, in deren Hände fast die ganze frei¬
willige Gerichtsbarkeit gelegt ist, und welche die volle Exekutivgewalt haben.
"Faßt der Adel dies richtig und energisch auf, so wird er eine Stellung wie
die englische Gentry erlangen können. Dies liegt im Staats- wie im Volks¬
interesse, und das Gouvernement muß daher alles thun, um diese Richtung zu
fördern, alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen und die Stellung des Land¬
adels möglichst frei, unabhängig und ehrenvoll zu machen. Wenn dies gelingt,
so wird diese neue Stellung des Adels außer positiven Vortheilen auch den
negativen politischen haben, daß derselbe ein Gegengewicht gegen den bis jetzt
omnipotenten Beamtenstaat bildet. Wer jetzt nicht einer der vierzehn Classen
der Beamtenhierarchie angehört, gilt, gleichviel welchem vornehmen Geschlecht
er angehört, wie trefflich gesinnt, wie gebildet er ist, in der Gesellschaft nichts.
Und doch, ist nicht der Landedelmann mit seinem Ockonomiegute, welches einen
kleinen Staat bildet, und mit seinen vielfachen socialen und industriellen Be¬
ziehungen zu benachbarten Gütern und Dörfern ein ebenso wichtiges und ein¬
flußreiches Glied in der großen Kette der Staats- und Volksregierung als der
am grünen Tische arbeitende Collegienrath?"

Hierin l^ge ohne Zweil Viel Wahres, aber dery. worauf der Verfasser
eigentlich hinaus will, können wir uns nicht anschließen, und zwar aus den¬
selben Gründen, mit denen ihn eine Petersburger Korrespondenz, die er anführt.
Widerlegt. Bereits die Hälfte der Bauerngemeinden hat sich jetzt, indem sie
durch Ablauf zu freiem Grundbesitz gelangt ist, der Oberaufsicht der Guts¬
besitzer entzogen, und in der andern mischt sich der Herr fast gar nicht in die
AnHelxgenheitcn der Gemeinde, weil er recht wohl Weiß, daß er entweder Herr
im alten Sinne oder nur ein reicher Nachbar der Bauern sein kann und eine
Mittelstellung zwischen diesen beiden auf die Dauer unhaltbar und schädlich für
beide Theile sein würde.

Ferner aber: richtig, daß dem allmächtigen Beamtenstaat, dem anmaßenden
und vielfach eorrumpirten Tschinownikwesen ein Gegengewicht gegenübergestellt
werden muß. Aber dazu braucht man kein Monopol des Adels auf Friedens-


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Der wichtigste unter letzteren ist der Jspravnik, der ungefähr dem preußischen
Landrath entspricht." „Ferner war !den Adelsmarschällen eine große Gewalt
beigelegt, namentlich sollten sie strenge Aufsicht über die Gutsbesitzer und deren
Verhalten zu ihren Leibeignen führen und einem bösartigen Herrn selbst die
Verwaltung seines Gutes entziehen können. Die Aufsicht wurde nur schwach
geführt, und ebenso erfüllten die Jspravniks ihre Pflichten nur selten gewissen¬
haft. Aber die Institution an sich war vortrefflich und sollte beibehalten und
weiter ausgebildet werden."

Ebenso, meint der Verfasser, sollte man dem Gutsbesitzer die Oberaufsicht
über die emancipirte Dorfgemeinde lassen, und in gleicher Weise sollte der Adel
nach dem Amt der Friedensrichter streben, in deren Hände fast die ganze frei¬
willige Gerichtsbarkeit gelegt ist, und welche die volle Exekutivgewalt haben.
„Faßt der Adel dies richtig und energisch auf, so wird er eine Stellung wie
die englische Gentry erlangen können. Dies liegt im Staats- wie im Volks¬
interesse, und das Gouvernement muß daher alles thun, um diese Richtung zu
fördern, alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen und die Stellung des Land¬
adels möglichst frei, unabhängig und ehrenvoll zu machen. Wenn dies gelingt,
so wird diese neue Stellung des Adels außer positiven Vortheilen auch den
negativen politischen haben, daß derselbe ein Gegengewicht gegen den bis jetzt
omnipotenten Beamtenstaat bildet. Wer jetzt nicht einer der vierzehn Classen
der Beamtenhierarchie angehört, gilt, gleichviel welchem vornehmen Geschlecht
er angehört, wie trefflich gesinnt, wie gebildet er ist, in der Gesellschaft nichts.
Und doch, ist nicht der Landedelmann mit seinem Ockonomiegute, welches einen
kleinen Staat bildet, und mit seinen vielfachen socialen und industriellen Be¬
ziehungen zu benachbarten Gütern und Dörfern ein ebenso wichtiges und ein¬
flußreiches Glied in der großen Kette der Staats- und Volksregierung als der
am grünen Tische arbeitende Collegienrath?"

Hierin l^ge ohne Zweil Viel Wahres, aber dery. worauf der Verfasser
eigentlich hinaus will, können wir uns nicht anschließen, und zwar aus den¬
selben Gründen, mit denen ihn eine Petersburger Korrespondenz, die er anführt.
Widerlegt. Bereits die Hälfte der Bauerngemeinden hat sich jetzt, indem sie
durch Ablauf zu freiem Grundbesitz gelangt ist, der Oberaufsicht der Guts¬
besitzer entzogen, und in der andern mischt sich der Herr fast gar nicht in die
AnHelxgenheitcn der Gemeinde, weil er recht wohl Weiß, daß er entweder Herr
im alten Sinne oder nur ein reicher Nachbar der Bauern sein kann und eine
Mittelstellung zwischen diesen beiden auf die Dauer unhaltbar und schädlich für
beide Theile sein würde.

Ferner aber: richtig, daß dem allmächtigen Beamtenstaat, dem anmaßenden
und vielfach eorrumpirten Tschinownikwesen ein Gegengewicht gegenübergestellt
werden muß. Aber dazu braucht man kein Monopol des Adels auf Friedens-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/281>, abgerufen am 22.07.2024.